Doch am andern Morgen ist nichts besser, im Gegenteil. Thor steht vor seinem Bett und betrachtet herablassend, wie Feldkamp den Suff aus seinem Hirn schwitzt.
„Du komm mit!“, bestimmt er so schneidend wie eine norwegische Spaltaxt.
„Wie bist du ...?“, versucht Feldkamp.
„Los, aufstehen und anziehen!“
Thor wirft ein Bündel nagelneuer Hosen, Hemden, Unterwäsche und Jacketts aufs Bett. Als Feldkamp im Bett liegen bleibt und auf seinen unerwarteten Besitz starrt, sagt Thor:
„Los, ich will dich nackt sehen!“
„Aha?“
„Keine Kabel, keine Wanzen. Neue Kleider wirken auf alle Wanzen wie eine kalte Dusche. Nur so kommst du zum Chef.“
„Weißt du, was ich ihm sagen werde, deinem Chef, diesem gottverdammten Hurensohn?“, brüllt Feldkamp und endet in einem peinlichen Husten.
Aber Thor nickt nur nachsichtig grinsend und schiebt ihn in einen gemieteten Mercedes SLK. Vier Stunden später stehen sie vor dem Flugplatz Bremgarten in Hartheim bei Freiburg. Wieder einmal startet Didi Maier seine Piper. Es geht doch nichts über alte Schulfreundschaften
„Wohin heute?“, fragt er Thor und nickt Feldkamp lässig zu, als würden sie sich täglich beim Kühemelken sehen.
„Algier“, bestimmt Thor.
„Nicht schon wieder!“, stöhnt Didi.
Der Flughafen in Algier ist provinziell klein. Die Kontrolle dagegen professionell. Die Wartenden stehen in einer Schlange, die vom Flughafengebäude bis auf die Startbahn reicht. Nur die VIPs werden an den verzweifelt Wartenden vorbei zu einem Nebenausgang geführt. Dort werden Feldkamp und Thor von Zachs Bodyguards zu einem Hummer geleitet, der sie, ungeachtet aller Verkehrsregeln, quer durch Algier zu einem unbekannten Vorort fährt. Dort halten sie vor einem unbedeutenden Flachdachbungalow mit einem kleinen Vorgarten. Nur die automatisch zu öffnende Gartentüre deutet darauf hin, dass es sich hier nicht um eine Angestelltenunterkunft handelt.
„Ist mir ein Vergnügen“, lächelt Zach.
Er trägt eine Halskrause, kann sich jedoch ohne Hilfsmittel bewegen. An ihm war ein Profi am Werk, stellt Feldkamp zufrieden fest.
„Wo ist Tankred?“, stößt er dann hervor und stürmt an Zachs ausgestreckter Hand vorbei ins Innere des Hauses. Die Bodyguards schauen ihren Chef fragend an, doch Zach winkt nachlässig ab.
„Danke der Nachfrage, meiner Wirbelsäule geht es auch gut“, antwortet Zach.
„Du hast gegen mich in meiner Klinik intrigiert, du hast mich feuern lassen, du hast Pergola dazu überredet, sich von mir zu trennen und du hast meinen Sohn entführt. Was erwartest du von mir?“, braust Feldkamp auf.
„Dasselbe wie vor einem Monat. Arbeite für mich.“
„Du streitest also nicht ab, dass du Tankred entführt hast?“, schreit Feldkamp.
„Nein“, antwortet Zach ruhig. „Tankred ist meine Geisel.“
„... meine Geisel“, echot Feldkamp leise. Jeder schlimmsten Vorstellung steht die geheime Hoffnung entgegen, sie entspringe der eigenen, kranken Phantasie und alles sei nicht so schlimm. Doch dieses Mal bestätigt die Wirklichkeit die schlimme Vermutung. Er fühlt, wie ihm das Blut aus dem Hirn weicht. Aber er will nicht vor Zach ohnmächtig werden.
„Mein Gott, ich bin Neurochirurg und kein Spion im Auftrag Ihrer Majestät!“, ruft er aus.
„Richtig“, antwortet Zach, als wäre es das Normalste der Welt, einen unbedarften Neurochirurgen quasi in einem Wochenendkurs zum Spion weiterzubilden. „Dein Sohn Tankred bleibt so lange bei mir, bis du als Spion im Auftrag von Wolfang Zach gearbeitet hast.“
„Wie eine mittelalterliche Geisel?“
„Tankred ist kein Prinzensohn und ich bin kein langmütiger König. Meine Geduld mit deinem Nichtsnutz von Sohn hat Grenzen, mach dir das schon mal klar. So, und jetzt pass mal gut auf“, schnauft Zach. „Du wirst mit Thor zusammen in Berlin diesen Hartz-IV-Künstler El Silbo aufsuchen und ihn zu einem wirklichen Künstler machen. El Silbo heißt eigentlich Pfeiffer und hat noch nie ein Kunstwerk geschaffen. Eignet sich also hervorragend als nützlicher Idiot.“ Zach kann seine Verachtung für seine ehemaligen Landsleute nicht verhehlen.
„El Silbo wird in deinem Auftrag sechs mannsgroße Bäume aus Blei gießen. Vier davon dienen dazu, von unserem Waffentransport abzulenken, in den beiden anderen wird die Ware transportiert. Von mir aus kann er die Bäume vergolden, damit es ein wenig nach Kunst aussieht. Und dann wirst du Nelly van Eid flachlegen.“
„Kann ich nicht!“, ruft Feldkamp. „Da musst du James Bond fragen, der kann auf Kommando lieben, ich nicht. Das ist ja wie Inzest, wenn ich mit der kleinen Nelly ...“
Feldkamp schüttelt sich bei der Vorstellung.
„Deine kleine Nelly ist jetzt 36 Jahre, also etwa so alt wie ihre Mutter damals war, als sie dich entjungfert hat. Wie alt warst du da? Neunzehn? Also komm mir nicht mit diesem pädophilen Kram.
Erpress sie, fick sie, mach was du willst mit ihr. Wir müssen herausfinden, was die internationalen Abwehrdienste vorhaben, damit wir unsere Waffen an denen vorbei oder zwischen ihnen hindurch ans Ziel bringen können. Nelly van Eid ist Abteilungsleiterin der Abteilung PW beim Bundesnachrichtendienst. Sie wird den Bundespräsidenten nächsten Monat nach Basel zu einer Ausstellungseröffnung begleiten. Der Präsident wird anschließend mit dem Schweizer Bundespräsidenten ein Fußballländerspiel ansehen. Krall sie dir auf der Vernissage. Kannst du das?“, fragt er zweifelnd.
Feldkamp kann nicht auf Befehl eine Frau „aufreißen“. Das wäre für ihn wie ein pornografischer Akt vor laufenden Kameras. Und er weiß nicht einmal, wie man eine Frau außerhalb eines Operationssaals anspricht. Alle Frauen in seinem Leben hat er von Zach geerbt, und Pergola machte da keine Ausnahme. Er hat nicht die geringste Ahnung, was Frauen anturnt. Die Frauen, die er kannte, waren relativ einfach strukturiert. Aber eine Abteilungsleiterin des BND in sich verliebt machen, um an ihrer Gedankenwelt teilhaben zu können – das scheint ihm gänzlich unmöglich.
„Du kannst das“, raunt Zach beschwörend. „Eine Frau ist wie ein fremdes Land, dessen Sprache du nicht sprichst. Die Worte ähneln den deinen, aber die innere Grammatik ist eine andere. Frauen, mein Freund, leben ständig in irgendeinem Zwiespalt. Sie wollen geliebt, jedoch nicht angebetet werden, denn wer anbetet, ist selber schwach. Frauen wollen starke Männer, aber genügend Luft für ein Eigenleben. Frauen wollen ein gepflegtes Abendessen, aber nicht dick dabei werden. Frauen wollen eigentlich immer, sind sich aber selten sicher was. Bleib ihnen ein Geheimnis, aber kein Rätsel. Suche deshalb den Körperkontakt, aber lass sie nie zu nahe an dich rankommen. Bring die Frauen zum Lachen, zum Staunen, gib ihnen das Gefühl von Erlebnis und Sicherheit. Versuch es einfach mal“, fährt Zach hypnotisierend fort und kratzt sich mit dem Zeigefinger unter der Halskrause. Das Ding juckt elend.
„Was hast du zu verlieren? Im Zweifelsfall kommst du als gemachter Mann mit viel Geld heraus. Sei einfach ein anderer Mensch. Sei der Kunstkenner, der für diesen El Silbo Vernissagen in Basel, Teheran und Wladiwostok organisieren will. Denn dorthin werden unsere bleiernen Skulpturen versandt, aber nur in einer wird der heilige Gral sein. Das ist deine Legende, mein Freund. Harry Feldkamp wird Nelly van Eid in sich verliebt machen, er wird an ihrer Gedankenwelt teilhaben und er wird uns ebenfalls daran teilhaben lassen. Verstehst du, es wird niemals wieder den Neurochirurgen Feldkamp geben. Finde dich damit ab. Du wirst dich aus deiner Vergangenheit ausblenden, wie aus einem schlechten Film.“
Zach hat Feldkamp beinahe in Trance geredet. Für diesen hört es sich an wie ein langer Spielfilm ohne Szenenschnitt. Er schüttelt den Kopf, um sich von Zachs Beschwörungen frei zu machen.
„Ich kann das nicht, Wolfgang. Du hast Übung bei Verbrechen, ich nicht.“
Zach fasst ihn an den Schultern und schüttelt