Der Gärtner war der Mörder. Wolfgang Schneider. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang Schneider
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847640257
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den Wagen hinweg in die Ferne. Dann sagte er:

      „Irgendwie glaube ich das nicht.“ Jutta empörte sich:

      „Ach komm schon! So läuft das doch immer. Und das schlimme ist: es wird eine Ewigkeit dauern bis wir diesen Wichser haben, wenn überhaupt!“ Sedlmeyer grübelte eine Weile, dann sah er sie an.

      „Ja, es spricht einiges dafür, dass du recht hast... Aber irgendwas passt hier nicht. Das Ding, das Mommsen aus dem Einschnitt geholt hat. Die Entzündung an den Beinen... Wenn die nach der Entführung entstanden ist, das wäre ja schon sehr merkwürdig...“ Jutta zuckte die Schultern.

      „Das kriegen wir morgen in fünf Minuten raus, da brauchen wir nur die Angehörigen zu fragen, ob das Mädchen irgend ein Ekzem oder sowas hatte, das denen bekannt war.“

      „Ja da hast du recht... Jutta, mir ist zwar der Appetit gründlich vergangen in Mommsens Grusel-Kabinett, aber mir fällt ein, ich hab den ganzen Tag noch nichts gegessen. Du?“

      „Nee, Sedi, wenn ich's mir recht überlege. Wollen wir was essen gehen?“ Sedlmeyer sah kurz auf seine Armbanduhr.

      „Was hältst du davon, wenn wir zuvor kurz im Präsidium vorbei schauen und schonmal den Papierkram aufsetzen, dann können wir morgen früh gleich mit der richtigen Arbeit anfangen. Der Tag heute ist eh schon im Arsch und um ehrlich zu sein, ein bisschen Ablenkung täte mir ganz gut und dir wahrscheinlich auch?“ Jutta's Gesicht hellte sich ein wenig auf.

      „Das ist ne super Idee, Sedi. Jetzt sofort was essen, das wär vielleicht auch 'n büschen derbe oder?“ Sie lächelte matt. Sedlmeyer klopfte ihr auf die Schulter, dann entriegelte er den Wagen mit einem doppel-Piep.

      Auf der Fahrt zum Präsidium sprachen sie so gut wie kein Wort. Jeder war in seine eigenen Gedanken versunken und versuchte, das zuvor Erlebte auf seine Art zu verarbeiten. Sedlmeyer nestelte geistesabwesend am Autoradio herum und suchte den nächst besten Sender. Ein unerträglich fröhlicher berufsjugendlicher Spaßvogel moderierte den nächsten Song an:

      „...das war 'Summer in the City', genau der passende Song an diesem Sonntag. Hallo München, wir haben sie, die sonnigsten Hits der Stadt und der nächste Titel ist wieder ein Hörerwunsch. Die Carola aus Ottobrunn schreibt uns: 'Liebes Radio Sunshine Team! Ihr müsst unbedingt Rusty Cage für meinen Schatz spielen, der leider im Krankenhaus liegt.' Liebe Carola, das machen wir gerne und wünschen deinem Schatz auf diesem Wege gute Besserung. Allerdings haben wir zwei Versionen von Rusty Cage, nämlich das Original von Soundgarden und die geniale Cover-Version von Johnny Cash. Die spielen wir jetzt für euch...“ Sedlmeyer hatte nur mit einem Ohr hingehört, aber der letzte Satz war ihm dann doch aufgefallen. Wie war das? Er war sich immer sicher gewesen, dass das Original von Johnny Cash und die Cover-Version von Soundgarden war. Gestern noch hatte er kurz über diesen Song nachgedacht, als er abends in der Kneipe mit dem fragwürdigen DJ gesessen und mit dessen Musikauswahl gehadert hatte. Nun ja, wieder was gelernt.

      Auf dem Parkplatz vor dem Präsidium angekommen, parkten sie den Wagen auf seinem Stellplatz, betraten das Gebäude, und fuhren mit dem Lift in den viertem Stock, in dem sich ihr Büro befand. Sedlmeyer als Teamleiter hatte seinen eigenen Raum, dessen Türe er allerdings immer offen ließ, um die Nähe zu seinen Mitarbeitern zu wahren. Jutta teilte sich mit den anderen zwei Teammitgliedern den angrenzenden größeren Raum.

      „Willste auch nen Kaffee?“ fragte sie.

      „Bullen trinken doch immer Kaffee oder nicht?“ antwortete Sedlmeyer. „Ja, bitte mach mir auch einen,“ sagte er lächelnd. Jutta verschwand in der Kaffeeküche, während Sedlmeyer seinen Computer startete und einen leeren Leitz-Ordner aus einem Aktenschrank holte. Dann suchte er eine Weile ein paar PDF-Dokumente auf seinem Rechner zusammen, die er anschließend zum Drucker schickte. Derweil war Jutta mit zwei dampfenden Tassen Kaffee erschienen. Sedlmeyer bedankte sich und nippte kurz. Jutta tat es ihm nach und verzog leicht das Gesicht.

      „Sag mal, schmeckt dir diese Plörre eigentlich, Sedi?“ Sedlmeyer stand auf und ging zum Drucker, mit Jutta im Gefolge.

      „Naja, es geht so?!?“ antwortete er.

      „Wenn du mich fragst, brauchen wir hier endlich mal ne ordentliche Kaffeemaschine. Diese Brühe hier is echt eklig. So 'n schnieken lütten Espresso, damit könnte ich gleich viel besser arbeiten...“ Sedlmeyer nahm die Blätter aus dem Drucker und grinste:

      „Schniek und lütt, aha... Ich schau mal, vielleicht lässt sich sowas ja mal organisieren.“ Er hielt ihr eines der ausgedruckten Blätter hin.

      „Kannst du das mal eben ausfüllen? Ich hock mich währenddessen hin und mach die grobe Planung für morgen.“ Sie setzten sich an ihre Schreibtische und erledigten während der nächsten Stunde ihren Papierkram. Dann heftete Sedlmeyer die ausgefüllten Blätter in den bereitstehenden Ordner und schlug vor, endlich etwas essen zu gehen:

      „Nach was steht dir der Sinn? Italiener? Mir ist es eigentlich egal.“ Jutta überlegte kurz. Dann sagte sie:

      „Kennst du das Bobolovsky in Schwabing? Die haben alles mögliche und da schmeckt's eigentlich ganz gut.“ Sedlmeyer war einverstanden:

      „Ok, ist mir recht, dann lass uns da hinfahren.“

      Sie fuhren mit der U-Bahn bis zur Haltestelle Münchner Freiheit, von wo aus das Restaurant ihrer Wahl zu Fuß lediglich ein paar Meter entfernt lag. Dort angekommen, suchten sie sich einen Tisch und stellten fest, dass das Lokal ziemlich gut besucht war und an mindestens drei Seiten große Leinwände aufgespannt waren. Sedlmeyer ging ein Licht auf: heute war ja das Deutschland-Spiel, von dem ihm die Kölner gestern im Biergarten erzählt hatten. Er sagte zu Jutta, die gerade die Speisekarte studierte:

      „Heute spielt Deutschland gegen Polen. Könnte knapp werden, die Polen haben einen sehr guten Torwart.“ Die sah irritiert zu ihm auf und runzelte die Stirn.

      „Seit wann bitte hast du denn eine Ahnung von Fußball, Sedi?“ Er lächelte überlegen und sagte:

      „Wenn du wüsstest, von was ich alles eine Ahnung habe!“ Jutta schüttelte den Kopf und widmete sich wieder ihrer Speisekarte. Nachdem sie bestellt hatten – Sedlmeyer ein Radler plus Chicken Burger und Jutta eine Apfelschorle mit Wiener Schnitzel – schlug er vor, im Anschluss noch das Fußballspiel anzuschauen. Jutta war einverstanden. Deutschland gewann das Spiel gegen Polen mit 2 : 0. Beide Tore schoss Lukas Podolski, das eine in der 20. und das andere in der 72. Minute. Er hatte nicht absichtlich daneben geschossen, wie sein Kölner Landsmann gestern noch im Biergarten prophezeit hatte.

      Präsidium I

       Montag, 9. Juni 2008, 9:15

      „Herrschaften! Spitzt mal bitte kurz die Ohren und hört mir zu!“ Sedlmeyer stand im Türrahmen seines Büros und sprach zu seinen Mitarbeitern.

      „So wie es aussieht, haben wir einen laufenden Fall übertragen bekommen, nämlich die verschwundene Schülerin von vor drei Wochen. Sie wurde tot aufgefunden; Jutta und ich haben gestern die Fundortbesichtigung gemacht und Mommsen danach ein bisschen bei der Arbeit über die Schulter geschaut.“ Er sah in ein fragendes, ein ratloses und ein wissendes Gesicht. Jutta, der letzteres gehörte, sah kurz zu ihm auf und beschäftigte sich danach rasch wieder mit ein paar Blättern, die sie mit einem geräuschhaften Schlag auf einen Tacker zusammen heftete. Die beiden anderen in Sedlmeyer's Team sahen ihn an und warteten auf eine Erklärung. Roland Baumgartner, der eine von ihnen, biss noch einmal in die Nussschnecke, über die er sich gerade hergemacht hatte, während der andere, Roland Funke, seinen Kugelschreiber geistesabwesend zwischen Zeige- und Mittelfinger hin und her pendeln ließ. Baumgartner war einer von der Sorte gemütlicher Kumpel. Ein fast zwei Meter großer, ausgeglichener Niederbayer, der gerne lachte und sich beim Reden auf das Wesentliche beschränkte. Seine Frisur war der Haargewordene Beweis jeder Chaos-Theorie; dunkelblond, in alle Richtungen abstehend und von keinem Kamm der Welt in eine vernünftige Form zu bringen. Er war verheiratet, ein paar Jahre jünger als Sedlmeyer und so etwas wie der gute Geist des Teams, der in hektischen Situationen