Der Gärtner war der Mörder. Wolfgang Schneider. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang Schneider
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847640257
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Wenn nicht, kill ich ihn persönlich, dann hat der Leichentransport noch einen weiteren Auftrag heute. Ich ruf ihn mal eben an, warte 'nen Moment.“ Sie drückte ein paar Tasten auf ihrem Mobiltelefon, wartete ein paar Sekunden und sprach danach kurz mit der Stimme am anderen Ende. Dann legte sie auf.

      „Kommt gleich runter.“ Sie warteten schweigend fünf Minuten, dann glitt eine Schiebetüre an der Vorderseite des Gebäudes auseinander und ein kleiner, dicklicher Mann Mitte fünfzig kam heraus. Er trug einen dunklen Anzug ohne Krawatte, der oberste Hemdknopf war geöffnet. Sein blondes Haar klebte ihm in Form eines Seitenscheitels am Kopf und sein rundes Gesicht umrahmte einen voluminösen Schnauzbart. Er kam mit schnellen Schritten zu ihnen herüber und begrüßte zunächst Jutta per Handschlag.

      „Morgen, Frau Hemmers,“ sagte er, dann reichte er Sedlmeyer wortlos die Hand. Der wusste nicht recht, was er sagen sollte und versuchte sich mit smalltalk:

      „Wie geht’s ihrem Wagen, Herr Mommsen?“ Dafür erntete er einen vernichtenden Blick.

      „Dem fabulösen ADAC sei Dank, vermutlich inzwischen besser als mir. Könnten Sie mich schonmal auf den Stand der Dinge bringen, während wir auf die Leiche warten?“ Sedlmeyer war leicht irritiert von dieser Wortwahl. Auf die Leiche warten, das hatte etwas vom Warten auf den Weihnachtsmann. Er begann, Mommsen zu informieren:

      „Wie Frau Hemmers schon mit Ihnen besprochen hat, hatten wir heute morgen einen Leichenfund an der Isar. Wir haben einigen Grund zu der Vermutung, dass es sich dabei um die vor drei Wochen als vermisst gemeldete Schülerin handelt. Der Leichnam schien längere Zeit im Wasser gelegen zu haben und ist gelinde gesagt... nicht sehr ansehnlich.“ Mommsen runzelte die Stirn.

      „Für die Wissenschaft gibt es kein 'ansehnlich' oder nicht, Herr Sedlmeyer. Was Ihnen vielleicht unangenehm aufgestoßen ist, sind die normalen Mazerations-Prozesse toter menschlicher Körper in wässriger Umgebung.“ Er schaute kurz auf seine Uhr, dann sah er von Sedlmeyer zu Jutta und zurück und verschränkte die Arme. Sedlmeyer fuhr fort:

      „Die Kriminaltechnik war nicht in der Lage, wirklich brauchbare Spuren zu sichern. Der Zustand der Leiche ist auch nach deren Auskunft sehr dürftig, wenn man das überhaupt so sagen kann. Sie haben allerdings ein Detail gefunden, das sie nicht einordnen konnten; neben Verbissspuren von Fischen sind denen noch weitere ungewöhnliche Verletzungen im Bereich des Oberkörpers aufgefallen, die keinen natürlichen Ursprung zu haben scheinen.“ Mommsen verzog keine Miene.

      „Aha. Nun ja, wir werden ja sehen.“ Er sah sich ungeduldig um. Die drei standen etwa fünf Minuten schweigsam herum, dann sahen sie wie der Leichentransport auf den Parkplatz einbog und in der Nähe der Schiebetüre zum Stehen kam. Der Fahrer und zwei weitere Männer stiegen aus und öffneten die Heckklappe, während Sedlmeyer, Jutta und Mommsen zu ihnen herüber trabten. Eine Bahre wurde ausgeladen, auf der ein länglicher schwarzer Plastiksack lag, mit einem Reißverschluss vom einen Ende zum anderen. Ein Fahrgestell unter der Bahre wurde aufgeklappt, einer der Männer kam um den Wagen herum auf sie zu und schüttelte ihnen allen die Hand. Mommsen drehte ihnen daraufhin wortlos den Rücken zu, ging zum Eingang des Instituts und bedeutete ihnen mit einer ausladenden Handbewegung, ihm zu folgen. Dort angekommen, holte er eine kleine Plastikkarte aus der Tasche und hielt sie gegen einen Sensor neben der Schiebetür, die daraufhin geräuschlos auseinander glitt. Wie ein Sankt-Martins-Umzug betraten sie das Gebäude, Mommsen voran, danach die Bahre mit der Leiche, zum Schluss Sedlmeyer und Jutta als Nachhut. Sie marschierten durch einen breiten Gang, bis sie an dessen Ende vor einer breiten Fahrstuhltür zum Stehen kamen. Mommsen holte seine Magnetkarte hervor und entriegelte den Aufzug, dessen Türe sich daraufhin langsam und mit einem leichten Quietschen öffnete. Sie betraten eine großräumige Kabine, die sie in den Keller beförderte. Dort gingen sie einen Gang entlang, bogen um ein paar Ecken, marschierten durch die verschachtelten Eingeweide des Gebäudes und gelangten schließlich zu einer breiten Türe, die Mommsen öffnete. Sie traten ein und fanden sich in einem kühlen, hell erleuchteten Saal mit gekacheltem Fußboden wieder, in den in regelmäßigen Abständen Abflüsse eingelassen waren. Mommsen wartete, bis alle drin waren, dann schloss er die Tür. In der Mitte des Saales waren in einigem Abstand vier Stahltische montiert, jeder davon ausgestattet mit einem Auffangbecken am einen Ende und einem verschiebbaren Tablett auf Schienen, auf dem diverse chirurgische Werkzeuge lagen. Seitlich an jedem der Tische war ein Wasserschlauch angebracht mit einem Brausekopf am Ende. Mommsen ging zu einem Schrank an der Wand, öffnete ihn und entnahm ihm einen grünen Kittel, den er sich überstreifte. Dann zog er ein paar Latexhandschuhe aus einer Vorratspackung und steckte sie sich in die Kitteltasche. Dabei rief er den Männern mit der Bahre über die Schulter zu:

      „Bitte zuerst zur Waage“. Die fuhren daraufhin im Zickzack durch die Obduktionstische zu einer stählernen Platform an der gegenüber liegenden Seite des Saales und hievten den schwarzen Plastiksack darauf. Mommsen kam zu ihnen herüber. Er setzte seine Brille auf, ein rahmenloses Modell mit rechteckigen Gläsern, und holte ein kleines Diktiergerät aus seiner Kitteltasche, an dem eine Schlaufe befestigt war. Er schaltete es ein, was ein paar ratlose Versuche mit den falschen Schaltern und ein Stirnrunzeln erforderte, dann hängte er sich das Diktiergerät mit der angebrachten Schlaufe um den Hals. Er begann, vor sich hin zu sprechen:

      „Leichenschau, Pathologisches Institut der LMU München, Sonntag der 8. Juni 2008, Beginn“ er sah kurz auf seine Armbanduhr, „vierzehn Uhr zweiundfünfzig. Obduzent Prof. Dr. Christian Mommsen. Gewicht des Leichnams bei Einlieferung:“ Er beugte sich zu der Waage hinüber, auf dem der schwarze Plastiksack lag und las ab:

      „58,8 Kilogramm. Außerdem anwesend: die Kriminalkommissare Hemmers und Sedlmeyer.“ Dann stoppte er das Diktiergerät, nahm seine Brille ab, hielt sie an einem Bügel in der rechten Hand, drehte sich zu den Männern vom Leichentransport um und sagte:

      „Bitte auf Tisch eins rüber“. Die wuchteten den schwarzen Sack daraufhin wieder auf ihre Bahre und fuhren zu dem ihnen genannten Obduktionstisch. Dort zogen sie den Reißverschluss des Plastiksacks auf. Sedlmeyer, der mit Jutta in der Nähe des Tisches stand, drehte sich augenblicklich der Magen um; penetrant breitete sich ein unangenehmer, fauliger Geruch aus und nahm ihnen den Atem. Die Männer hatten sich derweil Latexhandschuhe angezogen und hoben den Leichnam mit ausdruckslosen Gesichtern auf den Obduktionstisch. Dann verschlossen sie den Sack. Zwei von ihnen fuhren mit der nun leeren Bahre Richtung Ausgang und warteten dort. Der dritte holte ein Klemmbrett hervor und bat Sedlmeyer und danach Mommsen um eine Unterschrift. Dann verabschiedete auch er sich und ging zur Tür, wo seine Kollegen auf ihn warteten und verließ mit ihnen zusammen den Saal. Mommsen setzte seine Brille auf, schaltete das Diktiergerät wieder auf Aufnahme und begann, die Leiche sorgsam zu betrachten, indem er langsam den Obduktionstisch umrundete. Währenddessen zog er geistesabwesend die Latexhandschuhe aus seiner Kitteltasche, streifte sie sich über und sprach vor sich hin:

      „Vorliegender Leichnam ist weiblich und nach visuellem Erstbefund ca. zwölf bis achtzehn Jahre alt. Deutliche Ausprägung von Waschhaut an den Handinnenflächen deutet auf längeren Aufenthalt in wässriger Umgebung hin. Epidermis teilweise abgelöst, Capilli fehlend, ausgeprägte autolysebedingte Verfärbung der Rumpfhaut. Abdomen stark aufgebläht.“ Dabei betastete er mit einer Hand den gewölbten Bauch der Toten. Dann betrachtete er eine Weile eine Stelle am Oberkörper und fuhr fort:

      „Möglicherweise Bisspuren im Bereich des Sternums und der Carotis, postmortal, offenbar tierischen Ursprungs. Interessant...“ Er beugte sich tiefer und betastete aufmerksam den Bereich um die Halsschlagader. Sedlmeyer wagte einen vorsichtigen Blick. Mommsen fuhr fort:

      „Druckhämatome im Bereich des fünften Halswirbels, vermutlich prämortalen Ursprungs.“ Er richtete sich auf, stoppte sein Diktiergerät und sah Sedlmeyer an. Der machte ein fragendes Gesicht, hob die Schultern, schaute erst Jutta und dann wieder Mommsen an.

      „Was bedeutet das genau?“ wollte er wissen.

      „Es sieht so aus, als ob vor dem Tod lokal begrenzte Gewalteinwirkung im Bereich des Halses stattgefunden hätte.“ Sedlmeyer sah genauer hin, konnte allerdings auf der grünschwarz verfärbten Haut nichts spezielles erkennen.

      „Das heißt...“ Er überlegte einen Moment, „Könnte das heißen, sie ist