„Das kann ich mir gut vorstellen.“ Christine lächelt verschmitzt. „Für Außenstehende ist es nicht einfach, unser verwandtschaftliches Chaos zu durchschauen.“
„Würdest du bitte alle zusammentrommeln, denn er will heute gegen 17 Uhr zu uns kommen.“
„Was? Wie soll ich das bewerkstelligen, ich kann nicht hexen. Du weißt doch, dass Daniel beim Fußball ist, Richard in der Kirche zum Klavierunterricht. Bertram … oh je, den sollte ich vorher baden, sonst ist der Anwalt schneller wieder weg, als uns lieb ist. Wir sind doch auf dessen Unterstützung angewiesen.“
„Du machst das schon“, antwortet Olli und ist fast wieder zur Tür hinaus. Er dreht sich noch einmal um, wirft ihr eine Kusshand zu. „Ich sammle die Jungs ein und putze sie raus, dass du sie kaum erkennen wirst. Rufe bitte Tilly an, damit sie pünktlich ist. Baby Becky können wir bei Oma Hedi lassen, denn sie kann ihren Wunsch noch nicht äußern.“
Als die Tür geräuschvoll ins Schloss fällt, atmet Christine tief durch. Mit einem Blick auf die Uhr stellt sie fest, dass ihr nur noch zwei Stunden bleiben. Sie legt die Stoffe zusammen, schaltet die Nähmaschine aus und macht sich auf den Weg zu ihrer Mutter.
Sie findet sie in der Küche des angrenzenden Reiterhofes.
„Mhmm, lecker. Wie das hier wieder duftet. Gut, dass du Kuchen gebacken hast. Darf ich ein großes Stück mitnehmen? Wir bekommen nämlich nachher hochrangigen Besuch.“ Sie berichtet ausführlich, was sie von Olli erfahren hat.
„Oh je, der arme Anwalt. Ehe ihr ihm erklärt habt, wer von euch zu wem gehört, ist es Nacht.“
Christine winkt ab. „Ganz so schlimm wird es nicht, ich habe alles akribisch aufgeschrieben und einen Lebensbaum erstellt. Auch bereits alle Dokumente von den Geburtsurkunden bis zum aktuellsten Schriftverkehr kopiert, alles liegt bereit.“ Sie schaut sich um. „Wo ist Becky?“
„Onkel Heinrich hat sie mitgenommen. Er macht seinen Kontrollgang rund ums Gelände. Schaut nach, ob die Zäune dicht und die Pferde munter sind. So ist auch sie an der frischen Luft.“
„Können wir sie hier lassen, bis das Gespräch beendet ist?“
„Na klar, ich mache sie dann gleich bettfein, notfalls übernachtet sie bei uns. Sie ist so ein kleiner lieber Engel, der morgens länger schläft als wir.“
„Das ist ja keine große Kunst. Ihr beide fallt doch mit den Hühnern aus dem Bett. Ich hoffe sehr, dass das nicht nötig sein wird. Ihr kümmert euch schon genug um sie. Ab und zu wollen wir sie auch mal bei uns haben. Nun muss ich noch Bertram aufgabeln. Weißt du, wo er steckt?“
„Wo schon? Im Stall.“
Christine seufzt. „Nur gut, dass wir hier viel Platz haben, nicht nur für die Tiere, sondern auch für die Kinder.“
Als sie in die Nähe der Ställe kommt, ruft sie laut: „Bertram, wo bist du?“
„Hier bei meinem Hundi“, kommt die spontane Antwort.
Als er sie sieht, hopst er von dem Heuballen runter und läuft auf sie zu. „Mama Christine, weißt du, was mein Hundi schon kann?“
„Nein, aber das darfst du mir noch schnell zeigen. Wir bekommen nachher wichtigen Besuch. Da musst du dabei sein und wenn wir es noch schaffen, müssen wir dich vorher unbedingt baden und schick anziehen.“
„Kommt ein König?“ Ihm bleibt vor Staunen der Mund offen stehen.
„Nein, ein Anwalt, der mit uns reden möchte wegen der Hochzeit. Wenn man es jedoch genau betrachtet, ist der Anwalt so etwas wie ein König für uns.“
„Juhu, ein König kommt uns besuchen.“ Seine Augen leuchten auf, und er klatscht in die Hände.
„Jetzt zeig mir geschwind, was dein Hundi gelernt hat.“
Mit großen Schritten stapft der Kleine in den Stall und ruft: „Hundi, komm her.“
Sogleich erhebt sich die Mischlingshündin. Schwanzwedelnd läuft sie zu Bertram und schaut ihn erwartungsvoll an.
„Sitz!“, sagt er, worauf sie sich vor ihn setzt. „Gib Pfötchen!“ Auch diesen Befehl führt sie prompt aus. „Hundi, hopp ins Heu!“ Beide laufen los und springen gleichzeitig in den Haufen, sodass es in alle Richtungen staubt.
Bertram lacht und drückt die Hündin fest an sich. Dann schaut er überglücklich zu Christine.
„Klasse“, sagt sie. „Ihr seid ein tolles Team. Aber nun los. Sonst riechst du unangenehm, wenn alle Oma Hedis leckeren Kuchen essen wollen.“
Er fasst nach ihrer Hand, hopst neben ihr her in Richtung Haus und singt: „Ein König kommt, ein König kommt, er kommt uns gleich besuchen.“
Pünktlich 17 Uhr sitzen Olli, Christine und die Kinder aufgeregt im Wohnzimmer.
Als ein Auto vorfährt laufen sie zum Fenster. Bertram ist enttäuscht. „Das ist kein König. Och, schade“, sagt er und geht wieder zu seinem Platz.
Olli schüttelt den Kopf. „Nein, das ist eher ein Prinz, so jung wie der ausschaut. Vielleicht hat unser neuer Anwalt nur seinen Praktikanten geschickt.“
„Nun warte doch erst mal ab“, beschwichtigt ihn Christine.
Olli öffnet die Tür, um ihn willkommen zu heißen.
Bertram lugt hinter seinem Papa vor und fragt: „Bist du ein König oder ein Prinz oder nur der Praktikant?“
Erstaunt zieht der junge Mann die Brauen nach oben.
„Kommen Sie erst mal rein“, sagt Olli. „Und gehen Sie gleich durch ins Wohnzimmer. Sie werden sehnsüchtig erwartet.“
„Sie trinken doch sicher einen Kaffee mit uns?“, fragt Christine, um ihre Aufregung zu überspielen.
„Gern“, antwortet er und zieht geräuschvoll Luft durch die Nase.
Bertram reißt entsetzt seine Augen auf: „Ich müffel nicht, Mama Christine hat mich gebadet.“ Er ist den Tränen nahe.
„Nein, nein“, erwidert der Anwalt. „Ich genieße den Duft eurer Kaffeetafel. So leckeres Gebäck konnte ich schon lange nicht mehr schlemmen.“
„Dann greifen Sie zu“, fordert Olli ihn auf und verteilt die Pflaumentarte.
Der schweifende Blick des jungen Mannes verrät auch Christine, dass er sich einen ersten Überblick über die Familie verschafft. Alle sind aufgeregt, benehmen sich aber vorbildlich.
Als er bemerkt, dass er beobachtet wird, lächelt er freundlich. „Keine Angst, ich beiße nicht. Sie sind einer meiner ersten Fälle … und gleich so ein umfangreicher Auftrag.“
„Mit uns hast du zu tun wie in der Ernte“, sagt Daniel. Als alle lachen, ergänzt er: „Was??? Das sagt Onkel Heinrich doch auch immer.“
Christine winkt ab und versucht den Anwalt zu beruhigen. „Keine Angst, ich habe alles übersichtlich aufgeschrieben und alle Dokumente bereitgelegt.“
Er kramt in seinem Aktenkoffer und holt einen Block und den Terminkalender heraus. „Das ist gut. Wir werden alles in Ruhe der Reihe nach erledigen, Herr Wagner.“
„Sagen Sie doch einfach Olli zu mir, wenn es die Amtshandlungen erlauben.“
„Ja und ich bin Christine, noch Schumann und das sind unsere Kinder, also nicht unsere, nur meine und Ollis … ja, womit wir schon beim Chaos wären.“
„Hallo, ich bin Tilly Schumann, das älteste Kind und die Zwerge sind …“, sie zeigt auf die Jungen und fordert sie mit einer Handbewegung auf, sich selbst vorzustellen.
„Richard Wagner“, flüstert Richard.
„Bertram