“Also gut, einverstanden”, seufzte er und zog den Briefumschlag und einen größeren braunen Versandumschlag, der etwa die dreifache Summe des Betrags enthielt, aus der Innentasche seines Jacketts, als wenn er schon mit weiteren Forderungen gerechnet hätte. Er zählte das Geld ab und reichte mir den Umschlag.
“Sorgen Sie jetzt für unser Hotelzimmer.”
“Was denn, sofort?” Everding warf mir einen ungläubigen Blick zu, kramte aber folgsam die Visitenkarte des Hotels aus der Tasche. Er reichte sie mir, und ich steckte sie ein.
“Ich werde gleich rübergehen und mit einem der Mädchen wiederkommen. Das wird nicht länger als höchstens eine halbe Stunde dauern. Dann sollte hier ein Taxi auf uns warten. Und von Ihnen beiden dürfen nicht mal mehr die Rücklichter zu sehen sein … haben sie mich verstanden?”
“Welches von den Mädchen denn?”
“Spielt das irgendeine Rolle?”
“Kommt ganz darauf an. Mein Kollege Kranz hat Ihnen ja schon gesagt, dass in dem Laden zwischen ‘Klubmädchen’ und ‘Ware’ unterschieden wird. Klubmädchen sind gewöhnliche Bardamen aus Thailand, Ware jene Mädchen, die unter der Hand zum Kauf angeboten werden. Wir brauchen eine aus der Rubrik ‘Ware’.”
“Bekommen Sie. Ich glaube, ich habe genau die Richtige für sie aufgegabelt.”
“Wie heißt das Mädchen?”
“Sum Nong.”
“Hm …” Everding warf Kranz einen überraschten Blick zu. “Hört sich ganz so an, als wenn es keines der Mädchen vom Personal wäre, oder?”
“Falls es wirklich echte Ware ist, liegen wir genau richtig”, bestätigte Kranz.
“Ich bin gespannt, wie Sie das bewerkstelligen wollen, Winger”, sagte Everding. “Sie müssen das Mädchen mit seinem vollen Einverständnis herausbringen, aber gegen den Willen der Geschäftsleitung. Alles andere hätte keinen Sinn, wenn wir den Laden dichtmachen wollen.”
Ich nickte, ließ wortlos die Wagentür hinter mir zufallen und kehrte in den Klub zurück.
Sum Nong saß noch immer auf ihrem Barhocker, ihre für europäische Augen etwas dünnen Beinchen übereinandergeschlagen und einen Pfirsichsaft aus dem Pappkarton vor sich. Sie lächelte sichtlich erfreut darüber, dass meine Worte keine hohle Versprechung gewesen waren.
Das übriggebliebene Wasser auf dem Fußboden hatte angefangen zu verdunsten und erzeugte in dem überheizten Laden eine Treibhausatmosphäre, als würden dort tropische Pflanzen gezüchtet. Ich legte meinen Zeigefinger vor die Lippen; dann ging ich nach hinten, wo Helgas Büro lag, und schob die angelehnte Tür auf.
Helga sah sich einen Videofilm mit dem Titel “Schlacht der Galaxien” an. Nach dem Vorspann kam ein schwarzglänzendes Monster mit Scherenzangen und eingebauter Sauerstoffmaske aus den Tiefen des Universum geschossen und versuchte sich eine Gruppe Prinzessinnen einzuverleiben, die in einem defekten Miniraumschiff dahintaumelten.
“Wer von uns ist das Monster?”, fragte ich. Und als Helga auf ihrem schwarzen Patchwork-Lederdrehstuhl herumfuhr: “Ich entführe die Prinzessin, aber ich fresse sie nicht.”
“Wie bitte?” Sie sah mich verständnislos an.
“Sung Nong und ich, wir beide haben uns schrecklich ineinander verknallt.”
“So schnell?”
“Muss Liebe auf den ersten Blick sein”, bestätigte ich. “Ich würde Sum gern mitnehmen.”
“Was heißt mitnehmen?”, fragte Helga. “Dies hier ist ein thailändischer Freundschaftsverein und kein Bordell …”
“Sum legt großen Wert darauf, sofort mit mir zu gehen.”
“Sum hat große Verpflichtungen dem Verein gegenüber. Wir haben ihr den Flug nach Deutschland ermöglicht und ihrer Familie, die drüben in Thailand in bitterer Armut lebte, zu einem menschenwürdigen Dasein verholfen. Ist Ihnen eigentlich klar, was diese Menschen in Asien durchmachen, um überleben zu können? Sie dürfen sich nicht von den hübschen bunten Bildchen in den Reisekatalogen täuschen lassen, von den weißen Stränden und den Palmen. Ko Samui, Phuket, Pattaya … das sind nicht die wahren Verhältnisse.”
“Der einfache Thailänder ernährt sich von Chili und Zitronengras, und sonntags kommt allenfalls mal ein Stück gebratener Vietnamese auf den Tisch. Aber Spaß beiseite. Wussten Sie, dass Thailand für Asien so was wie die Schweiz für Europa ist?”
“Sie können Sie nicht einfach mitnehmen, es sei denn …”
“Ja?”
“Dass Sie für unsere Auslagen aufkommen.”
“Und wie hoch ist ihr Preis?”
“Sie meinen die Auslösesumme für Sum Nongs Schulden?”
“Wenn Sie's so nennen wollen? Kommt wohl auf dasselbe heraus, oder?”
“Der Verein hat im Rahmen seines humanitären Programms achtzehntausend Mark investiert. Es gibt eine Verpflichtungserklärung Sum Nongs für diesen Betrag. Wenn Sie soviel Geld für sie aufbringen, können Sie sie mitnehmen.”
“Ich werde den Teufel tun”, sagte ich. “Ich werde nicht mal achtzehn Mark für Sum Nong bezahlen. Was Sie mir anbieten, ist getarnter Menschenhandel.”
Helga gehörte zu dem Typ von Frauen, an denen Unterstellungen oder Beschimpfungen abprallen wie Hartgummibälle von einer Stahlbetonwand.
“Sum Nong ist außer der ständigen Crew des Vereins leider momentan unser einziges Mädchen. Ich erwarte neue Gäste aus Thailand in etwa einer Woche. Darunter werden auch ein paar sein, deren Auslösesummen wir aus humanitären Gründen etwas niedriger halten konnten – sechstausend Mark. Wenn Sie so lange warten wollen?”
“Mir geht’s nicht um irgendein beliebiges Mädchen, sondern um Sum Nong.”
“Sum hat ihren Preis.”
“Und wenn Sie mir das Mädchen einfach kostenlos überlassen?”, fragte ich.
“Sums Auslösesumme ist achtzehntausend”, wiederholte sie genervt; dabei kämpften Ekel und Langeweile in ihrem verhärmten Putzfrauengesicht einen vergeblichen Kampf miteinander. Vielleicht würde der Ekel irgendwann siegen, aber im Moment sah es nicht danach aus.
“Sie haben sicher nichts dagegen, mir Ihr Angebot schriftlich zu unterbreiten, Helga?”
Soweit hätte ich nicht gehen sollen. Sie schien plötzlich zu kapieren, woher der Wind wehte und lehnte sich entgeistert im Fernsehsessel zurück. “Wie war das gerade? Habe ich Sie richtig verstanden?”
“Na, im Geschäftsleben ist es schließlich üblich, seine Angebote schriftlich zu unterbreiten. Erst recht, bei einer so hohen Auslösesumme, wegen der rechtlichen Formalitäten.”
“Rechtliche Formalitäten? Von welchen rechtlichen Formalitäten reden Sie eigentlich, verdammt noch mal?”
Helga hatte den Fernseher abgeschaltet, und war aufgestanden, aber ihre Hände – faltige, blaugeäderte Altfrauenhände – begannen genauso nervös umherzufuchteln wie die Scherenzangen des schwarzen Monsters eben auf dem Bildschirm. “Jetzt aber raus”, sagte sie mit überraschend fester Stimme. “Sonst lass ich Ihnen Beine machen …”
Ich tat, als hätten ihre Worte tiefverwurzelte Ängste vor alten Frauen in schwarzen Drachenkimonos in mir geweckt, die mich schon seit der Kindheit plagten. Also kehrte ich achselzuckend zur Theke zurück und nahm Sum Nongs Hand.
“Komm mit”, flüsterte ich. “Wir verlassen jetzt diese ungastliche Etablissement. Die Inhaberin hat zu viele blutrünstige Monsterfilme gesehen …”
Als ich mich mit ihr der Tür näherte, hörte ich Helga aufgeregt im Büro über die Sprechanlage Befehle erteilen. Ihre Worte klangen