“Auf wessen Kosten?”
“Auf unsere, versteht sich.”
“Hm, hört sich ganz plausibel an. Aber damit sind Sie und Ihre hochmoralischen Auftraggeber doch noch längst nicht am Ziel angelangt?”
“Aber wir liegen schon ganz gut im Rennen. Später werden Sie dann noch mal allein den Klub aufsuchen und der Inhaberin und ihren Hintermännern klarmachen, das Mädchen sei jetzt bereit, vor der Polizei auszusagen. Sie selbst würden ihre Aussage bestätigen können.”
“Damit wäre zum ersten Mal eine gesetzliche Handhabe zur Schließung des Klubs gegeben”, meinte Kranz. In seine müden Schultern war etwas Haltung gekommen, als richte der Gedanke ihn innerlich auf.
“Hübscher Plan”, bestätigte ich, “ außer, wenn man mir dabei den Schädel einschlägt, nicht wahr?”
“Sie sind doch auf solche Geschäfte spezialisiert”, sagte Everding. Wenn er jemals versucht hatte, verbindlich zu lächeln, dann musste ihm das gründlich misslungen sein. Jedenfalls seiner gegenwärtigen Grimasse nach zu urteilen. Er hatte keine Übung darin.
Ich zuckte die Achseln und stieg aus. Ich war auf die restlichen Scheine in Everdings Umschlag scharf, notgedrungen. So ist das nun mal im Leben, die Zeiten, in denen man auf die Jagd ging, um der Familie eine Gazelle fürs Abendessen zu schießen, sind leider schon seit ein paar Dekaden vorüber.
All die Ideale in meinem Gewerbe – von wegen heroischer Ritter der Großstadt und sprächen nicht meine Natur und meine Vorsätze dagegen, dann würde ich Ihnen jetzt eine runterhauen –, falls man sich dabei nicht ohnehin selbst was in die Tasche gelogen hatte, verflüchtigten sich auf der Stelle, wenn einem im Büro Heizung und Licht abgedreht worden waren.
Ich bedauerte die armen Dinger da drin, so wie ich alle auf der Welt bedauerte, denen es schlechter ging als mir, aber ich wäre kaum freiwillig für sie aus dem Wagen gestiegen.
Die Tür des Vereins war mit einer brandfleckigen Bügeldecke verhängt. Hinter dem provisorischen Vorhang – an der Stelle der Milchglasscheibe, wo er knapp über der Klinke ein kleines Dreieck freiließ – schimmerte rötliches Licht.
“Tut mir schrecklich leid ”, sagte eine rothaarige Alte in schwarzem Drachenkimono, die man wegen ihres verhärmten Gesichts leicht für die Reinemachefrau hätte halten können, wäre das goldene Gebammel an ihren Ohrläppchen nicht ein paar Pfund zu schwer dafür gewesen, “aber wir hatten eine Überschwemmung. Eines der Mädchen spielt verrückt – das Heimweh”, fügte sie mit mitleiderweckendem Augenaufschlag hinzu, als sei “Heimweh” eine Art Zauberformel für mein abgestumpftes Herz.
Der Boden war eine einzige große Lache, die sich aus dem Waschraum bis zum Eingang ergossen hatte.
“Kein Problem, werd' einfach ein wenig meine Hosenumschläge liften”, sagte ich und setzte mich auf einen Barhocker an der Theke, die Schuhe auf der Trittstange. “Wer von den Mädchen ist denn die Unglückliche?”
“Die Kleine mit der netten Stupsnase.” Sie zeigte auf ein Mädchen, dass apathisch an der gegenüberliegenden Wand saß und durch mich hindurchblickte. Ihre Kolleginnen waren damit beschäftigt, feuchte Aufnehmer auszuwringen und volle Wassereimer zur Toilette zu tragen. “Sum Nong, bitte komm zu uns herüber und leiste dem Herrn Gesellschaft.”
Sum beachtete uns nicht.
“Ich bin Helga”, sagte die Rothaarige, als seien Probleme beim Dressurakt nichts, was eine erfahrene Dompteuse wie sie aus der Ruhe bringen könnte. “Die Gründerin des Vereins. Sum ist etwas unpässlich, weil ihr das Klima nicht bekommt. Sie spricht kein Wort Deutsch, aber auf englisch kann sie sich ganz gut verständigen.”
Helga zischte ihr ein paar Worte in einer Sprache zu, von der ich annahm, es sei Thai. An ihrem Tonfall hätte man leicht mein Rasiermesser abziehen können.
Das Mädchen wurde so lebendig, als habe ihm jemand ein Lebenselixier eingeflößt, und zwar über den Gehörgang direkt ins Gehirn. Sie patschte durch die Wasserpfützen zu uns herüber, berührte mit der flachen Hand ungeschickt mein Knie und sah mich schicksalsergebener an als eine Kuh, die beim landwirtschaftlichen Leistungswettbewerb den ersten Preis machen sollte und das auf irgendeine sprachlose Weise auch verstanden hatte, in ihrer dumpfen Art …
Sum war etwa zwanzig Jahre alt, zierlich gebaut und unterschied sich wenig von den Mädchen, die man in ihrem Land an jeder Straßenecke antreffen konnte. Abgesehen vielleicht von ihren Augen, die plötzlich, wenn sie glaubte, niemand bemerke es, überraschend lebendig werden konnten.
Ihre Haut war so glatt und makellos, dass es einem den Atem verschlug, und manchmal lag in ihren Bewegungen genau jene Art von Geschmeidigkeit und Unterwürfigkeit, die vielleicht der eigentliche Grund dafür ist, dass so viele Männer glauben, thailändische Frauen seien von der Vermännlichung des weiblichen Geschlechts verschont geblieben.
Helga beobachtete das alles mit Wohlgefallen. Wenn jemand in einer völlig fremden Sprache, deren Betonung einem Europäer fast unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet, so beachtliche Ergebnisse erzielt, dann ist das auch ein berechtigter Grund für Zufriedenheit.
Da Sum keine Anstalten machte, ihren Arm um meinen Hals zu legen, nahm ich ihre Hand von meinem Knie und küsste sie sanft auf die Wange.
“Ich lasse euch beiden Turteltäubchen jetzt allein”, sagte Helga liebenswürdiger als der Papst bei seinen Privataudienzen. “Und denkt immer an den Wahlspruch unseres Klubs: Völkerverständigung darf kein hohles Lippenbekenntnis bleiben.” Sie deutete auf ein Plakat neben meinem Kopf, das eine Gruppe Negerkinder mit weißen und asiatischen Altersgenossen zeigte, die unter einem Affenbrotbaum picknickten.
Weiß Gott, ja. So ganz unrecht hatte sie damit nicht. Aber wie säh's denn auf der Welt wohl aus, wenn alles, was gut und richtig ist, in die Tat umgesetzt würde? Wir wären nicht mehr wiederzuerkennen. Es würde uns in die größte Identitätskrise unseres kurzen Lebens stürzen.
“Lady, you're a real pain”, sagte ich, während ich Helga hinterher blickte. Doch damit konnte ich bei Sum Nong keinen Blumentopf gewinnen. “Gibt's irgend etwas, was dich aufheitern könnte?”, erkundigte ich mich auf englisch.
“Bitte bringen Sie mich hier raus …”, sagte sie in einwandfreiem Deutsch.
“Nanu, wenn ich Helga richtig verstanden habe, sprichst du doch gar kein …?”
“Ich möchte nicht, dass jemand im Klub davon erfährt”, sagte sie leise.
“Und womit habe ich soviel Vertrauen verdient?”
“Sie sind Winger. Ihr Bild war mal in der Zeitung – als Sie dem stellvertretenden Bürgermeister bei der Einweihung der neuen Rennbahntribüne eine runtergehauen haben.”
“Dazu habe ich mich nur verleiten lassen, weil mir ein paar seiner Handlanger in den Ämtern aus purem Übermut das Leben schwer machen wollten. Aber einverstanden – du bleibst hier und wartest auf mich. Ich muss nur mal kurz vor die Tür, um ein paar Dinge zu regeln.” Die Sache bahnte sich schneller an, als ich erwartet hatte, und das konnte mir nur recht sein. Everdings Umschlag hatte nicht so ausgesehen, als wenn sein Inhalt für mehr als drei Besuche gutgewesen wäre.
3
Als ich wieder neben den beiden im Wagen saß, versuchte ich mir erst mal mit ungelenken Fingern eine Javaanse Jongens zu drehen. Ich war nie sehr begabt im Drehen gewesen, aber diesmal stellte ich mich noch ein wenig ungeschickter an, als ich war.
Ich ließ die halbfertige Zigarette auf den Wagenboden fallen und begann von vorn. Dann wischte ich die gelbbraunen Tabakkrümel von meinen Hosenbeinen zusammen und ließ sie, sparsam, wie ich war, aus der hohlen Hand in die Frischhaltepackung