Moritz knirschte mit den Zähnen. Diese Oma war wohl echt alternativ und hielt die Quinta für eine Kommune. Aber das grüne Handtuch hatte ich ihm zum Geburtstag geschenkt. Vor drei Wochen hatte er mich noch nach dem Bad damit abgerubbelt und seither nicht gewaschen, weil immer noch mein Duft drin war.
Dann grinste er in sich hinein: „Sie denkt halt wir sind eine große Familie!“
Wenig später besorgte Paul Eis und eine kühle Sangria. Paula, von der Reise noch nicht ganz angekommen und vom Wein benebelt, döste zufrieden in der Nachmittagsshitze.
Wie oft hatte Bernd seiner Mutter gemailt: „Du wirst die Quinta nicht wieder erkennen.“
Und wie oft hatte sie zurückgemailt, dass ihr das Haus „wurscht“ sei. So tief saß wohl noch der Stachel des Betrugs. Telefonieren war zwischen Paula und ihrem Sohn tabu, man wusste nie, ob man stört. Simsen, appen und Mails kennen keine Uhrzeit.
Jetzt nach zig Jahren war sie zum ersten Mal wieder im Haus auf dem Hügel über dem Meer. Sie hätte es wirklich fast nicht wieder erkannt. Geteerte Straße. Früher nur staubige Feldwege, eingezwängt von hohen Mauern. Da kam kaum ein Auto durch und wehe, wenn einem ein Eselskarren begegnete. Schade eigentlich, mit Eselskarren und hohen Steinmauern war alles gemütlicher und gemächlicher. Jetzt verunstalteten Laternen, die wie die Vorderbeine gigantischer Gottesanbeterinnen in kurzen Abständen in den Himmel ragten, die Küstenstraße. Jeden Abend veranstalteten sie eine spektakuläre Lightshow, die man sogar aus dem All bewundern konnte. Auf der malerischen Felsenküste protzen gigantische Ferienvillen in exotisch angelegten Gärten. Freilich sahen die Gärten irgendwie ausgefranst aus. Die prächtigen Palmen werden nach und nach Opfer des ebenfalls exotischen Palmrüsselkäfers. Während der Taxifahrt sah Paula, was sie nur in der Zeitung gelesen hatte. Und sie hatte sich ins Fäustchen gelacht: Palmen gehören nicht nach Portugal. Hier sind nur niedrige Palmbüsche heimisch.
Die traurigen Palmenstämme ohne fächelnde grüne Blätter vor der eigenen Quinta stimmten sie dann doch melancholisch. Paula hatte die beiden Pälmchen eigenhändig vor dem Eingang gesetzt. Damals waren sie je einen Meter hoch. Nach Jahren, als sie stolze vier Meter maßen, mussten sie ihr Leben den gefräßigen Maden des Palmrüsselkäfers opfern. Und jetzt stand das nur struppige, trockene Mahnmal zur Begrüßung der Besucher vor der Quinta. Ob die Palmen nun in Portugal heimisch sind oder nicht. Palmen sind überall auf der Welt ein Symbol für Sommer, Sonne, Ferien. Schade.
Nach dem filmreifen Ende von Herbert war Paula nie mehr hierhergekommen. Mein Großvater, der Vater von Bernd, war auch Paulas liebster Ehemann gewesen und die Zeit mit ihm hier gehörte zu den schönsten in Omas Leben. Wenn nicht die Geschichte mit der marzipanfarbenen Engländerin gewesen wäre. Na ja, Zeit heilt Wunden... Aber man vergisst nicht!
Sie hatten die kleine „Quinta velha“, ein ehemaliges Herrenhaus, von dem fast nur die Fassade, die große Küche und der „Salon“ übrig waren, gemeinsam ausgebaut. Ganz nach portugiesischer Art klebten sie Zimmer für Zimmer und die große überdachte Terrasse an das Haupthaus.
Nun war Paula wieder hier und erkannte wirklich nichts mehr. Ihr Sohn hatte alles vom Feinsten renoviert, die Fassade war persilweiß gestrichen und die Fenster zart umrahmt. Er hatte doppelverglaste Schiebetüren und -fenster eingebaut, Strom und Wasser gelegt und sogar eine Satellitenschüssel auf der Dachterrasse platziert.
Immer wieder hatte Papa per Mail seiner Mutter von den Baufortschritten berichtet. Je mehr er schrieb, desto weniger zog es Paula in das Fischerdörfchen. Nun war sie doch nach Europa gekommen. Florida und ihr dortiger Lebensabschnittsgefährte langweilten sie mehr und mehr. Immer Bingo und Cocktailpartys an den verschiedenen Pools mit all den völlig überdrehten, lilafarbenen Grauköpfen war nicht ihr Ding. Und die Bewerbung zur Koch Show war eine Schnapsidee. Warum in aller Welt wollte sie den Amis das Kochen beibringen? Nee, da schaute sie sich nach all den Jahren mal ihre Kernfamilie an.
Sie lag am Pool und dachte nach. Paula war zufrieden mit sich und der Welt und der kleine Schnösel neben ihr war doch ein goldiger Kerl. Einfach zum Anbeißen. Da hatte sich Olivia was Nettes ausgesucht!
Granny, wie sie sich nannte, freute sich auf mich, auf Bernd und wer weiß, auch auf Martina. Mit Paul und Moritz würde sie auch noch fertig werden!
9 Von Bettgeflüster, Stellungskämpfen und einer Erscheinung Oder Es ist immer leichter das letzte Wort zu haben, als den ersten Schritt zu tun
Paul schüttete die hellgraue Asche in den schwarzen Müllsack. Noch vor kurzer Zeit musste man keine Säcke für den „Lixo“ besorgen. Beim Einkaufen wurde jede noch so kleine Stecknadel in eine Plastiktüte gesteckt. So gab es immer ausreichend Müllbeutel. Diese flattern dann jahrelang bei den Mülldeponien wie tibetischen Gebetsfahnen in den Oliven- und Orangenbäumen. Drüber kreisen Schwärme monströser Möwen wie die Geier über den Totentürmen der Parsen. Ist schon in Ordnung, dass man nur noch Tüten verwenden darf, die verrotten, dachte Paul.
„Ach, da fällt mir ebbes ein“, rief er „Moritz, nimm doch den Laubbesen und kehr den Rasen ab!“
„Welchen Rasen?“
„Na, hier rings ums Haus und um den Pool!“
„Seltsamer Rasen.“
„Maul nicht, mach. es soll ja ordentlich sein, wenn der Herr des Hauses hier aufschlägt.“
Seit Paul hier den Hausmeister spielt, fühlt er sich auch verantwortlich dafür, Wasser zu sparen. Deshalb sprengt er im Sommer den Rasen nicht. Im Herbst, Winter und Frühjahr regnet es ausreichend. Da wächst dann ein kräftiger grüner Rasen, besser gesagt eine Wildblumenwiese. Gelber Klee, roter Mohn, blaue Wegwarten blühen dann wie auf einem Bild von Claude Monet. Paul lässt sie wachsen, ohne zu mähen. Wenn die Pflanzen im Sommer vertrocknen, dürfen sie aussamen und den Rest, das Heu schneidet er ab. Das machen die Portugiesen auch so. Die trockene Fläche ruht den Sommer über, um nach den ersten Regen im Herbst wieder zu keimen, zu grünen und bald wieder verschwenderisch zu blühen.
Da Bernd mit seinen Mannen jeweils zwei Wochen im Frühling und zwei Wochen im späten Herbst kam, merkte niemand, dass es im Sommer keinen englischen Rasen gab. Paul war gespannt, ob „die gnädige Frau“, wie er Mama insgeheim nannte, ein Gezeter um die nicht vorhandene Grünfläche machen würde. Sie war selber schuld, seit vielen Jahren überließ sie das Haus ihrem Mann und der es wieder Paul. Weil der nun eben ein Umweltfreak ist, gibt es eben im trocknen, heißen Sommer bei der Quinta Velha keinen Rasen, wie in den Protzvillen ringsum.
Moritz hatte mir ein „Selfie“ von seinem neuesten Haarschnitt geschickt. Ich weiß nicht, wie er es schaffte, dass darauf auch der Ansatz seines knackigen Sixpacks zu sehen war. Diese Handy-Selfies sind eine tolle Erfindung. Ich liebe es, Fotos per WhatsApp an meine Freunde zu schicken. Für Selfies sind meine Arme leider zu kurz. Ich finde mich immer blöd auf den Fotos. Die Japaner haben die Selfiestangen erfunden, ihnen ist es egal, wenn sie bei ihren Selbstbildnissen gleichzeitig ringsum sämtliche Menschen köpfen. Hauptsache: sie und Schloss Schwanstein sind mit drauf.
Bei meinen Selfies ist entweder das Kinn zu weit vorne, der Kopf halb aus dem Bild oder alles total unscharf.
Dieses Foto von Moritz war jedenfalls megasüß und ich freute mich tierisch, als ich ihn da in „natura“ im Garten rechen sah. Moritz hat wirklich schöne echt blonde Haare. Mal trug er sie kinnlang, dann wieder als Pferdeschwanz oder auch mit tiefem Seitenpony über dem rechten Auge. Als er den Pony trug, fummelte er dauernd dran rum, wischte die Haare zur Seite und das machte seine Mutter meganervös. Ich fand es cool. Vor allem, wenn er so von unten durch den Vorhang seiner schönen Haare guckte. Irgendwann schmierte er Haar Gel in die Schnittlauchlocken und kämmte sie nach hinten. Seine Mutter fand das fürchterlich.
„Das erinnert mich an unsren schmalzigen Tangolehrer in der Tanzstunde!“
Mir gefielen die fettigen, angeklebten Haare auch