Oma sieht aus, wie eine alternde Diva, die nicht glaubt, dass ihre Zeit vorbei ist. Innerlich ist sie immer noch ein übermütiges, neugieriges und liebevolles Mädchen, das wie ein Flumy durch die Gegend hüpft. Sie zieht sich quietschbunt an, nicht wie die fliederfarbenen Seniorensahnetörtchen in Florida wo sie lebt. Sie ist mollig, aber knackig. Und für eine Oma, die Granny genannt werden will, gerade richtig. Zwar meckert sie auch immer an ihrem Gewicht rum genau wie ich.
Ich halte mich wie alle Mädchen, wie alle Frauen, für zu dick. Ich hab keine Modelmaße. Wenn ich den kleinen Hügel unterhalb meines Bauchnabels sehe, falle ich zwar nicht in Schockstarrre und krieg die Zähne nur noch zum Zähneputzen auseinander. Aber ich versuche mehr oder weniger erfolglos die doofe Wölbung einzuziehen. Ich kann machen, was ich will, auch wenn ich zum Skelett abgemagert bin, das vermaledeite Ding bleibt. Granny sagt, das muss so sein. Naja, ihr kleines Butterfässchen möchte ich nicht vor mir her tragen. Aber wer, verdammt noch mal, wer redet uns Frauen ein, dass wir so dünn wie Heidi Klums Hungerhaken sein sollen? Welcher Idiot stellt in den Umkleidekabinen der Klamottenläden Spiegel auf, in denen jede wie ein Walfisch aussieht? Das ermuntert doch nicht zum Kaufen. Man flüchtet und beginnt schnurstracks eine Diät. Ich würde nur Spiegel aufstellen, die schlank machen und die getönt sind, damit man nicht aussieht wie ein Grottenolm. Und das Licht in der Kabine dürfte bei mir nie von oben kommen. Licht von vorne oder den Seiten bügelt die Augenringe weg! Vielleicht sollte ich mal Umkleidekabinendesignerin werden!
Aber ich wollte ja eigentlich die Geschichte von Paulas ungeplanter und unerwarteter Ankunft auf der Quinta erzählen. Sie hört sich an, wie ein Trailer für eine Comedyserie. Von Mal zu Mal schmückten Paul und Moritz alles noch verrückter aus und brachten uns damit zum Lachen. Fakt ist: sie kam völlig überraschend hier an.
Wenn ein Plan nicht funktioniert, dann switcht sie, spontan wie sie ist, um und geht eben nicht zur Koch-Show, sondern fliegt nach Portugal. Dort will sie mit ihrer einzigen und daher liebsten Enkelin Geburtstag feiern, ob es den anderen nun gefällt oder nicht.
Oma pinselt ihre Augen immer an und geht nicht mal zum Mülleimer, bevor sie ihre „Malerarbeiten“, wie sie es nennt, vollendet hat. Neulich, als sie besonders schön für das Casting sein wollte, hatte sie zu heftig gemalert und sich den Kajalstift ins Auge gerammt. Statt glänzend weiß waren die Strahleaugen blutunterlaufen wie von einem Boxerhund. Da half auch die größte Sonnenbrille nichts.
„Schöne Scheiße, jetzt renne ich wieder tagelang mit Augen wie angestochener Stier in der Arena rum!“ fluchte Paula. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich verunstaltete. Fast immer wenn sie aufgeregt, zu spät dran oder nervös war, und immer wenn sie besonders attraktiv aussehen wollte, passierte ihr das. Dabei ist sie auch ohne Kajal noch ziemlich attraktiv für ihr Alter. Fünfundsechzig voll ausgekostete Jahre sieht man ihr nicht an. Mit ihrem Alter kokettiert sie hemmungslos. Und erwartet natürlich ein:
„Oh, wie 65 sehen sie nicht aus. Wie machen sie das denn bloß? Zehn Jahre weniger wären okay.“
Zufrieden schmunzelt Großmutter dann, senkt ein wenig verschämt wie ein kleines Mädchen den Kopf und blinzelt unter ihrem feuerroten Strubbelhaar. Sie lächelt:
„Ich schlafe im Frischhaltebeutel!“
Ja, und wenn sie sich mit dem Kajalstift das Weiß der Augen malträtiert hatte, dann sieht das eben nicht mehr so jung und knackig aus. Dabei wollte Paula nun wirklich gut aussehen. Sie hatte sich zum Casting für eine Koch- Show angemeldet.
„Ich wollte den Amis zeigen, wie man gute Semmelknödel mit Pfifferlingen zaubert!“
Extra für die Show hatte sie sich ein Shapingkleid gekauft. Es saß wie eine Wurstpelle, hielt ihre etwas üppigen Formen zurück. Paula findet es nämlich grässlich, wenn mollige Köchinnen in Koch-Shows die Schürze mit dem Sendungslogo eng über dem Bauch binden und aussehen wie schwangere Flusspferde. Komisch, bei den männlichen Teilnehmern findet sie es ganz okay, wenn man sieht, dass sie gerne und lustvoll essen und trinken.
Paulas Augen tränten. Sie sah sich im Spiegel an: „Total verheult oder abgesoffen!“
Sie träufelte Notfalltropfen in die Augen. Es wurde nur schlimmer, statt besser.
„Ich sage das Casting ab! Da macht man sich ja sowieso nur zum Affen und wenn man dann eventuell Sieger wird, was dann??? Ist man dann berühmt? Will ich das sein?“ fragte Oma sich. Nee, nicht durch eine Koch Show. Sie wollte schon als junges Mädchen berühmt werden. Sie wollte Erfolg als Schriftstellerin haben wie Francoise Sagan mit ihrem „Bon jour Tristesse“. Oder als Malerin wie Georgia O‘Keefe reüssieren, in grellrotem Häkelkleid mit knalligem Hippie-Kopftuch auf Vernissagen gelobt und geliebt werden. Aber irgendwie kam ihr das richtige Leben immer dazwischen.
Koch-Show? War eine blöde Idee. Ihr kam ein besserer Einfall:
„Ich fahr als Überraschung nach Portugal.“
Dort ist die „Quinta velha“, die sie von ihrem unbekannten Großvater zur Geburt geschenkt bekommen hatte. Sie und Herbert, ihr Mann Nummer zwei, hatten das verfallende Gebäude in den siebziger Jahren renoviert. Das war noch vor der portugiesischen Revolution. In den Sechzigern war sie schon mal mit Herbert da. Sie hatten zusammen eine Interrailtour gemacht und sind dann an der Algarve gelandet. Dort fiel meiner zukünftigen Großmutter ein, dass sie ein altes Bauernhaus an der herrlichen Küste geerbt haben sollte. Neugierig erkundigte sie sich bei der Camera nach der Quinta des Opas, die ja jetzt eigentlich ihr gehörte. Ein paar Telefonate später hatte sie die Adresse. Den Schlüssel holten sie auf der Freguesia, das ist die Gemeindeverwaltung, ab. Man erinnerte sich an den Großvater und es gab weiter keine Probleme.
Das Haus, verfallen und runtergekommen, wurde für einige Wochen ihr Liebesnest. Dass man durchs Dach schauen konnte, machte nichts. Es regnet nicht im Sommer an der Algarve.
„Da hol ich dir die Sterne direkt vom Himmel.“ flüsterte Opa in Spe verliebt in ihr Ohr. Von der Algarve und ihren Schönheiten sahen sie logischerweise nicht viel. Sie erkundeten lieber intensiv die gegenseitigen Körperlandschaften. Es kam, wie es kommen musste. Sie traten die Rückreise nicht zu zweit, sondern zu dritt an. Noch ahnten sie es nicht.
Als sie es realisierten, war Paula schon im dritten Monat, überglücklich, aber eben nicht fertig mit dem Kunststudium. Herbert hatte gerade sein erstes Staatsexamen gemacht und begann das Referendariat an der Mittelschule. Da war von der Quinta keine Rede mehr.
Paula hatten allerdings noch ein paar „Problemchen“ zu lösen: Sie war offiziell noch mit ihrem ersten Mann Jan verheiratet. Von dem musste sie sich nun dringend trennen. Mit fünfzehn hatte sie sich Hals über Kopf in den schönen Jan verliebt. Mit ihm haute sie ab und sie heirateten in Schottland. Eine Nacht in dem schottischen Dorf verbracht und schon konnte der Schmid von Gretna Green, den Bund fürs Leben besiegeln.
Paulas Eltern waren zwar keine Hellseher, aber sie sagten ihr voraus, dass schief gehen würde. Die Scheidung von der ersten großen Liebe ihres Lebens“ ging schnell und unkompliziert. Lächelnd dachte Paula zurück, als sie jetzt mehr als vierzig Jahre später vor der Quinta stand.
Es war so schön da unten an der Steilküste der Algarve. Wie hatte Paula die Ferien dort geliebt, manchmal dachte sie daran, für immer zu bleiben. Aber dann hatte Herbert, Ehemann Nummer zwei und Vater ihres einzigen Sohnes Bernd sich in eine englische Touristin verguckt. In einer großen Clique hatten ist gefeiert und ordentlich gebechert und keiner wusste so genau, wer zu wem und warum er gehörte. Folge war, dass mein zukünftiger Großvater ausgerechnet nach dieser weinseligen Orgie verblich er in den totenbleichen Armen einer englischen Schlange einem Herzinfarkt erlag. Paula war so sauer, dass sie überhaupt nicht trauern konnte. Und dann verstreute Paula ihren Herbert wunschgemäß bei einem heftigen Sturm im Atlantik und verließ Portugal so schnell wie möglich.
Oma Paula gab nicht lange die trauernde Witwe. Sohn Bernd, dessen Schicksal es war, später mal mein Vater zu werden, war aus dem Gröbsten raus. Ihm ging das Betüddeln seiner Mama auf den Geist und er freute sich, dass