Obwohl ich mich als überdurchschnittlich attraktiv und wortgewandt beschreiben würde, bekam ich nur selten Eine ins Bett, die eben nicht jenes Prädikat „Gräte“ auf ihrer Dating-Visitenkarte führte. Ich führe diese Begebenheit auf zwei Gründe zurück: Großer und Durst. Denn in der Regel prägt ein Wort meine Wochenenden: Vollgas!
Und so liefen die meisten Samstagabende ähnlich ab, wie jener, der an einem Sonntagmittag in einem gutbürgerlichen Landgasthof namens „Jüngling“ geendet war. Oft war ich schlicht und ergreifend zu betrunken, um noch in irgendeiner Form mit dem weiblichen Geschlecht die von der Gesellschaft vor dem Beischlaf erwarteten Formalia und Nettigkeiten auszutauschen.
„Hallo, ich bin... Und wie heißt du? Du hast aber schöne Augen. Möchtest du etwas trinken? Wollen wir tanzen? Zu mir oder zu dir?“
Wer braucht sowas schon? Meine Konversation mit dem schönen oder in diesem Fall weniger schönen Geschlecht beschränkte sich ab dem Einbruch der Dunkelheit auf ein gelalltes „ficken, Fragezeichen?“ Wie das bei gutaussehenden Frauen ankommt muss ich nicht näher ausführen. Deshalb musste ich mich zu später Stunde auf eben jene Gräten konzentrieren. Pascal verhält sich übrigens deutlich charmanter, wenn er betrunken ist. Das erklärt die Länge seiner Liste.
Trotz meiner Unfähigkeit zum samstagabendlichen Disco-Flirt bin ich ein ganz umgänglicher Typ. Allerdings gibt es da ein zweites, großes Problem mit der Frauenwelt: Ich verliebe mich zu schnell. Der Höhepunkt überstürzter amouröser Hingabe meinerseits ereignete sich etwa einen Monat vor jenem denkwürdigen Abend im Loch der Kellerassel.
Um mein Studium zu finanzieren, arbeitete ich als Barmann in einer bodenlos schlechten Sportsbar namens „Shooters“. Eines Tages trat sie ein und fragte nach einem Nebenjob: Anasthasia. „Fürs Studium“, hauchte ein unfassbar wohlgeformtes Geschöpf mit schulterlangen, dunkelbraunen Locken, dunklem Teint und den strahlend grünsten Augen, die ich bis heute gesehen habe. Diese Kombination würde sie wahrscheinlich sogar aus einem bis zum Bersten gefüllten Stehblock im Fußball-Stadion hervorstechen lassen. An diesem Tag trug sie schwarze Stiefel, die ihr bis knapp unters Knie gingen. Die enge, dunkelblaue Jeans, die ihre zierlichen Beine umgab, hatte sie hineingesteckt. Das türkisfarbene Top, das sie unter ihrer halbgeöffneten, schwarzen Lederjacke trug, betonte die Schönheit ihrer Augen und das mediterrane Braun ihres Teints nur noch mehr.
„Hast du denn schon mal bedient?“, hatte ich gefragt. Schüchtern hatte sie den Kopf geschüttelt. In dem Moment war ich mir sicher: Diese Frau muss, nein, werde ich eines Tages heiraten. Doch es kam ganz anders. Anasthasia, deren Eltern Kreter sind, fing schließlich nach einer Probeschicht im „Shooters“ an und unterstützte fortan unser Team an den Champions-League-Abenden, also dienstags und mittwochs. Dass unser Chef ihr die gleichen Schichten wie mir gegeben hatte, empfand ich als Wink des Schicksals.
Schon am ersten, gemeinsamen Arbeitsabend fühlte ich mich, als sei ich eine Pistazie, die an Anasthasia klebte, wie an einem fleischgewordenen Baklava. Jede ihrer Pausen nutzte ich, um ebenso Pause zu machen. Ich holte uns etwas zu trinken, ich scherzte, war charmant, witzig – und Anasthasia fand mich gut. Ziemlich gut, wie ich am selben Abend feststellte. Ich brachte sie, ganz Gentleman, nach der Schicht zu ihrem kleinen, süßen, roten Opel Corsa. Ich wollte ihr nur einen Kuss auf die Wange geben. Doch das ließ Anasthasia nicht zu: Mit ihren grünen Augen sah sie mich ganz ruhig an.
Die Zeit steht manchmal.
Das war so ein Moment. Ich nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie zärtlich. Als sie meinen Kuss erwiderte, schmiedete ich in Gedanken Hochzeitspläne.
In der Woche nach diesem Kuss sahen wir uns dreimal. Zweimal beim Arbeiten, einmal privat. In dieser Woche telefonierten wir auch fünfmal. Stundenlang. Viermal ging das gut. Einmal nicht.
Denn ich sagte einen verhängnisvollen Satz.
Nein, ich sagte nicht: „Ich stehe total auf Schamhaare und habe mich noch nie im Intimbereich rasiert und wenn ich mich doch mal rasieren sollte, möchte ich aus den Haaren ein großes Knäuel machen, sie in einen Kissenbezug stecken und jede Nacht selig darauf schlafen.“
Ich sagte auch nicht: „Meine Lieblingsspeise sind Babykätzchen. Und sie schmecken besonders gut, wenn man sie bei lebendigem Leib häutet, sie in feurigem Chili-Öl einlegt und dann scharf in der Pfanne anbrät.“
Derlei Äußerungen hätten ihre Reaktion erklärt.
Ich sagte: „Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt!“ Verliebt? Verliebt! Da ist doch nichts dabei. Offenbar doch. Denn ihre Reaktion war alles andere als zufriedenstellend.
Und so sah sie aus: Schweigen. Und damit meine ich nicht dieses peinliche Schweigen wie bei einer Hochzeit, wenn plötzlich die Kirchentür aufgeht und eine fette, tätowierte Engländerin mit rotem Gesicht dasteht und sagt: „I fucked the bride! With my hole arm! And I want to be with her for the rest of my life!“
Ich meine damit dieses peinliche Schweigen, das entsteht, wenn ein Mann einer Frau seine Liebe erklärt und sie völlig sprachlos ist – weil sie nicht so empfindet.
Zunächst. Dann Gekichere. Dann, als Anasthasia realisierte, dass ich diese Äußerung ernst gemeint hatte, ging es los. Anasthasia, die Frau, mit den wundervollen grünen Augen, den wippenden Locken, dem schönsten Gang der Welt und einer Stimme, die wie ein sanfter Flügelschlag an mein Ohr drang, sagte: „Wie kannst du so etwas fühlen?“
Das war die Gelegenheit, bei der sie mit ihren eleganten Fingern mein Brustbein durchstieß und ihre Hand um meine Hauptschlagader schloss. „Ich meine, wir kennen uns doch gar nicht.“ Das war der Moment, in dem sie fester zudrückte.
„Wir hatten noch nicht mal Sex!“ Das war der Moment, in dem sie ihre zweite Hand gemächlich in meinen Brustkorb schob und nach meinem Herz griff.
„Vielleicht wäre es besser, wenn du erstmal erwachsen wirst und dich richtig ausvögelst, bevor du was von Verliebt-Sein faselst.“ Das war der Moment, in dem sie mein Herz aus der Verankerung riss und es laut lachend in hohem Bogen in die Erdumlaufbahn schleuderte.
„Klick!“ Aufgelegt. Das war der Moment, in dem ich mich fühlte, als hätte ein zwei Meter großer, einäugiger Totengräber mich mit einem Schaufelschlag niedergestreckt.
Die folgenden drei Wochen sind schnell erzählt: Ich versuchte, per SMS Kontakt mit Anasthasia zu halten, was sie mit dem Tausch ihrer Schichten quittierte, sodass wir uns im „Shooters“ nicht über den Weg laufen konnten. Von unbeantworteter SMS zu unbeantworteter SMS schlich ich missmutiger umher. Ich bin mir sicher, dass ich von Tag zu Tag immer mehr einem Dackel ähnelte. Mit traurigen Augen und hängenden Schlappohren.
Während meiner letzten Juli-Schicht eröffnete mir mein Chef, dass Anasthasia vorerst nicht mehr im „Shooters“ bedienen würde. „Die Grederin“, rotzte er mir fränkelnd auf meine Frage entgegen, „studiert für a Silvesder in Wiesbodn. Noja, im Schbädsommer kummd sie widder, hod sie gsochd.“
Sie ist weg. Aber sie kommt wieder!
Das war meine Chance. Anasthasia war aus meinem Leben. Für bestimmte Zeit. Und in dieser Zeit musste ich erwachsen werden. Musste ich mich ausvögeln. Musste ich mich vorbereiten für den „Härrbsd, wenn die Grederin widder kummd.“
„Punta Arabi!“, grunzte Pascal mit funkelnden Augen und riss mich aus meinem ganz privaten Seifenoper, die ich soeben in seinem Keller auf ein Neues durchlebt hatte.
Ich fasste einen Entschluss. Fast geistesabwesend murmelte ich: „Pascal, ich will in den Club Punta Arabi.“ Ein Joker saß mir gegenüber. Ein Joker, der grinste. Und nickte.