Sofort schoss Bert nach oben. Ich verstand ein gelalltes „Hinderher“ und schon war auch er Richtung Pool unterwegs. Platsch!
Ich riss mich von meinem Bier los. Platsch! Und als es nach mir drei weitere Male platschte, wusste ich: Auch Lukas und Pablo, ja selbst Pascal, der doch mit Kerstin hier war und deutlich nüchterner sein musste als wir, hatten sich spontan zu uns in den Pool begeben. Mit großem Applaus bedachte uns das Publikum, als wir aus dem Becken stiegen und uns tropfend mehrfach verneigten.
„Ihr seid total loco. Verruckt.“ Esteban, der spanische Barmann an der Theke vor dem Eingang der Club-Disco, grinste. Er hatte unsere spontane Bade-Aktion gesehen. Und er hatte wegen uns extrem viel Arbeit bekommen. Denn ein Naked-Walk mit anschließendem Gruppen-Köpper schien einen „Hey, ich schmeiß ne Runde Ocean für euch“-Reflex bei einigen anderen Gästen auszulösen. Der an den BWL-Pilzkopf und die mittlere Verwaltungsebene von Pricewaterhouse-Coopers verlorene 200-Euro-Gutschein? Geschenkt!
Noch immer ein bisschen feucht saßen wir an Estebans Tresen. Kerstin war beleidigt abgerauscht, nachdem sich auch Pascal in den Pool gestürzt hatte. „Die kriegt sich schon wieder ein“, hatte er gejokert. Ich zog am Strohhalm und sog den letzten Rest des inzwischen warmen Ocean aus dem großen Pott. Mittlerweile ging mir das süße Zeug ziemlich auf den Gaumen und es machte mich auch nicht betrunkener, als ich ohnehin schon war.
„Esteban“, sagte ich und der groß gewachsene Barkeeper blickte von seinem Schneidbrett mit den Limetten auf. „Si?“
„Hast du mal ein paar vernünftige Drinks für uns?“
„Claro.“ Eine teuflische Fratze grinste mir entgegen.
„Und wos is des etz?“ Bert blickte dümmlich drein.
„Aspidador!“, entgegnete Esteban und stellte ein weiteres, nur spärlich gefülltes Longdrinkglas zu den sechs, die bereits auf dem Tresen auf durstige Münder warteten. Eigentlich hätte die milchige Flüssigkeit mit dem hübsch-pinken Bodensatz auch in ein großes Schnapsglas gepasst.
„Na, ich mahn, auf Deutsch.“
„Ah, Stabsager.“
„Schdabsager?“ wiederholte Bert ungläubig.
„Ja. Für Putzen!“
„Du meinst Staubsauger“, warf Lukas ein.
„Genau, si. Staubsauger.“ Esteban blinzelte wohlwollend. „Soll ich erklaren, wie trinkt man?“
Schweigendes Nicken. Mit sicherer Hand machte der Spanier schnelle Bewegungen und brabbelte dabei etwas Unverständliches in seinem ibizenkisch-deutschen Mischmasch. Am Ende zog er die Hand, mit der er das Glas möglichst luftdicht abdeckte, ein Stückchen vom Rand, steckte seine Nase in die Öffnung und zog die Luft aus dem Glas. „Alles claro?“ Eher nicht. Aber manchmal macht man eben Sachen, auch wenn sie nicht „claro“ sind. Also nickte ich. Esteban schob jedem von uns eines der Longdrinkgläser hin. Wir stießen an.
Ich beobachtete den Spanier genau: Hand aufs Glas, Strohhalm durch die Finger, Flüssigkeit saugen, Hand weg, Nase ans Glas, Luft saugen!
Und dann verbrannte ich! Was zur Hölle hatten wir Esteban getan? Ich meine, wir waren betrunken. Aber in keinster Weise unhöflich. Und wir hatten ihm einen mörderischen Umsatz beschert. Und auch die Gespräche mit uns schienen ihn zu amüsieren. Warum zur Hölle also flößte er uns in Wasser aufgelöstes Dönergewürz ein? Einmal Longdrink mit viel schaaaaarf?
Und warum zur Hölle ließ er uns die Ausdünstungen – möglicherweise eine unerforschte chemische Reaktion, auf deren Entdeckung jeder halbwegs ambitionierte Pharma-Laborant stolz gewesen wäre – inhalieren? Oder war Esteban ein Schläfer der Al-Kaida, der arglistig westlichen Ibiza-Touristen Milzbrand in ihre Schnäpse mischte?
Durch tränenfeuchte Augen sah ich, dass es meine Mitreisenden ähnlich schüttelte. Nur Esteban, der Schläfer, grinste sich eins. Wahrscheinlich würde er gleich sein Handy zücken, eine SMS in den mittleren Osten schicken und Vollzug melden: „Die nächsten Sechs gehen drauf.“
Pascal fand als erster seine Sprache wieder: „Alter, ich dreh am Rad“, hustete er.
„Schbinnsd du a wengla?“, empörte sich Bert.
Ich war immer noch unfähig, zu reden, und hechelte nach Luft. Bevor ich mir ernsthafte Sorgen um meine Milz machen konnte, hörte ich hinter mir eine altbekannte Stimme.
„Ah, Staubsauger! Mach mal noch ne Runde, Esteban. Geht auf meine Rechnung.“ Der Sonnengott hatte sich seines Phantom-der-Oper-Kostüms entledigt und war nun auf der Suche nach Spaß, Frauen und offensichtlich Alkohol!
Während zweier weiterer Staubsauger schaute ich Esteban stasi-esk genau auf die Finger. Wodka, Batida de Coco und einen Schuss Grenadine goss er in die Longdrinkgläser und zu meiner Erleichterung versetzte er die Shots nicht mit weiteren Flüssigkeiten aus Flaschen mit der Aufschrift „Poison“, „Biohazard“ oder „Property of Osama bin Laden“.
„Na dann, Prost“, murmelte ich.
Vier Tage zuvor, Nacht zu Tag zwei: Fischfutter
„Ja! Jaaa! Jaaaah!“
Ich blinzelte. Wer hat da nur geschrien? Als ich die Augen aufmachte, erstreckte sich vor mir ein unerwarteter Ausblick. Auf allen Vieren lag da eine junge Frau, die sanft vor und zurück wippte – und stöhnte. Sie hatte nichts an außer eine seltsam strubbelige Kurzhaarfrisur mit Strähnen in diversen Farben des Spektrometers.
Herrlich. Ich hatte Sex! Aber wie war ich – und das konnte ich glücklicherweise mit einem schnellen Rundblick als nicht das meine identifizieren – in ihr Bett gekommen?
„Staubsauger“, war das erste, was mir durch den Kopf schoss. Esteban hatte ganze Arbeit geleistet. Nach der zweiten Runde des wahrscheinlich schwere Atemwegserkrankungen hervorrufenden Drinks mit dem Sonnengott hatten sich Pascal, Bert, Hannes und Pablo grölend ins Punta Palace verzogen. Der Animateur und ich blieben zurück, gossen uns noch zwei weitere Staubsauger hinter die Binde und stiegen dann auf Gin Tonic um. Und dann?
Schemenhaft erinnerte ich mich an den Sonnengott, der sagte: „Und jetzt zeige ich dir, wie das mit dem Frauen Aufreißen hier funktioniert“, und Richtung Clubdisco wackelte.
Ich muss ein guter Schüler gewesen sein, schließlich fand ich mich ein paar Stunden später hinter einer vor Wolllust grunzenden, papageienköpfigen Clubbesucherin wieder. Ebenso nackt wie sie, wie ich mit einem schnellen Blick nach unten feststellte.
Als Papageia, meine erste Geschlechtspartnerin im Club Punta Arabi, fertig gegrunzt hatte, stand ich auf.
„Wo willst du hin?“ fragte sie mit vorwurfsvollem Blick.
Ich beäugte sie und kategorisierte sie als Gräte.
Kein Fortschritt, Toni, kein Fortschritt. Ich haderte mit mir. Papageia hatte eine annehmbare Figur. Annehmbar, nicht gut. Aber die Nase, die Brille, die abstehenden Haare – all das wirkte wie ein arbeitsloser Zirkusclown auf Crystal Meth. Innerlich versetzte ich mir eine schallende Ohrfeige.
„Eine Weiterentwicklung ist das nicht“, murmelte ich.
Sauer auf mich selbst, weil ich wieder mal den Schnaps der Ästhetik vorgezogen hatte, streifte ich mir Boxershorts und Flipflops über.
„Willst du duschen oder was machst du?“ Papageia wiederholte ihre Frage. Sie lag rücklings im Bett.
„Ja, äh, genau. Duschen“, sagte ich gedankenverloren.
„Aber das Bad ist links.“
„Jaja.“ Ich wandte mich nach rechts und torkelte mit meinem Bündel Klamotten unter dem Arm auf den Ausgang zu: „Aber meine Duschhaube ist in meinem Bungalow.“ Klack, zu war die Tür und zurück blieb ein weiblicher Papagei,