Todesfeier. Victoria Gothink. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Victoria Gothink
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847642855
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die Klasse wiederholen. Diese Erfahrung hat mich total verändert. Ich war vorher brutal und fand das normal. Es ist auch normal. Doch ich änderte mich. Diesen ganzen Wahnsinn konnte ich nicht mehr ertragen. Ich wollte mit Gewalt nichts mehr zu tun haben, wurde sensibel und rücksichtsvoll. Dafür kassierte ich von meinen Mitschülern prompt die Quittung: Ich wurde ausgegrenzt und fertig gemacht. Ich wusste selbst nicht, warum und wie ich diese Veränderung durchmachte, doch sie hinterließ ihre Spuren. Ich wurde so sensibel und verletzbar, dass ich depressiv wurde und in Therapie gehen musste. Jetzt bin ich halbwegs wieder in Ordnung, doch ich werde wohl mein ganzes Leben mit Depressionen zu kämpfen haben. Der Auslöser meiner Depressionen war der frühe Tod meines Vaters (für den ich ja verantwortlich war) und die „unglückliche familiäre Situation“, wie sie mein Therapeut gerne nennt. Und meine lieben Mitschüler, so würde ich mal so ins schwarz- weiß- karierte tippen...

      Und wäre das nicht schon genug gewesen in meinem jungen Leben, starb meine Mutter letztes Jahr. Man vermutet am „Broken- Heart- Syndrom“. Sie hat es nach all den Jahren nicht verkraftet, dass ihr Mann so früh von uns gegangen ist. Und ich habe es nicht verkraftet, dass sie von uns gingen...

      Ich wollte eigentlich nicht mein ganzes Leben erzählen. Habe dies auch nicht getan. Aber ich bin manchmal echt 'ne kleine Labertasche. Man sollte von mir nur einen kleinen Einblick bekommen. Den Rest erfahrt Ihr noch, wenn ich endlich Musiker bin. Falls das irgendwann in meinen bescheidenen Leben passieren sollte.

      Smilla Orff

      Hallo! Ich bins die Smilla. Ein bekloppter Junge aus der Nachbarschaft hat mir mal gesagt, dass Smilla „Lächeln“ bedeutet. Nun, ich muss sagen, dass das stimmt. Ich lächel gerne. Am liebsten schau ich mir Horrorfilme an und die sind ja nun wirklich lustig. Wenn einem der Kopf abgehackt wird und vielleicht dann noch ein Monster aus dem Magen springt, dann ist das wie in reinem Blut zu baden. Es ist einfach blutartig äh... großartig natürlich.

      Dieser bekloppte Junge aus der Nachbarschaft, den ich grade schon erwähnt habe, heißt Modest und ist mittlerweile auch schon ein Mann. Er spinnt vor sich hin. Er will Musiker werden. Das ist ja wohl der größte Mist, der auf diesem Mist, der so genannten Erde, entstanden ist.

      Dass ich es schaffen werde, liegt ja auf der Hand. Aber der... darf ich mal Blut spucken? Der sieht noch nicht mal wie ein Musiker aus. Er sieht eher aus, wie jemand aus nem Gruselfilm, die ich gerne schaue. Dabei ist er aber eher der Typ, der sich in einen Werwolf verwandeln kann. Er sieht also wie ein Werwolf aus. Vielleicht nicht ganz so, aber irgendwie schon. Der Typ hat gar keinen Haarschnitt. Einfach wachsen lassen, irgendwie wird das schon, oder wie? Und dann erst die Klamotten. Die hat er ganz bestimmt aus der letzten Altkleidersammlung gefischt. Ja okay, die Familie ist sehr arm und so, aber ich weiß nicht... muss man armen Menschen immer ihr Leid ansehen? Das ist doch grausam. Ich persönlich kann so etwas nicht sehen.

      Außerdem ist er schon durch seinen Namen geschädigt auf Lebenszeit. Ich mein, sein Name bedeutet bescheiden. Hallo? Wer will denn so heißen? Na, eigentlich ist es ja egal, was irgendein Name bedeutet. Er hat mich darauf gebracht. Er ist halt so ein Freak.

      Zum Glück bin ich da anders.

      Ich bin ein 17 jähriges Mädchen, das auf blutrünstige Horrorfilme steht und natürlich ein großer Star wird. Ich seh' schon so aus: Mein schwarzes Haar fällt mir fotogen über die Schultern und meine schwarzen Kleider mit kleinen roten Punkten, die aussehen wie Blutspritzer sind einfach nur todschick. Ich könnte die Schöne in einem Horrorfilm sein, die von einem gruselig schönen Untoten gekidnappt wird.

      Aber ich will nicht schauspielern. Ich werde eine schaurig schöne, unheimlich talentierte Sängerin.

      Hey, wer lacht denn da so dreckig?

      Anastasius Delibes

      Vor ca. 500 Jahren hatte ein Arzt seine Arbeit und die seiner Kollegen erleichtert. Er hatte die „Obduktion ohne Berührung“ erfunden. Eigentlich hatte er noch viel mehr erfunden, was mit dieser Erfindung möglich wurde. Dieser besagte Arzt hatte nämlich einen Chip in das Gehirn eines Patienten eingepflanzt. Auf dessen Chip wurden alle Tätigkeiten gespeichert, die er machte. Außerdem wurden auch Krankheiten gespeichert. Dadurch konnte der Arzt sehen, was der Patient bis dato für Wehwehchen hatte. Von da an wurde jedem Menschen, der geboren wurde ein solcher Chip in das Gehirn eingepflanzt. Am Ende eines jeden Lebens wurde der Chip einfach aus dem Gehirn entnommen und schon hatte man alle Informationen, die man brauchte- auch die Todesursache.

      Ich wusste nichts von diesem Chip in meinem Gehirn. Doch vor fast drei Jahren bin ich gestorben. Es hört sich verdammt komisch an. Ist es wahrscheinlich auch. Nach einer Prügelei in der Schule wurde ich ins Krankenhaus eingeliefert. Aufgrund der inneren Verletzungen bin ich dann auch gestorben. Man nahm mir den Chip aus dem Gehirn und setzte ihn dann allerdings wieder ein. Das hatte bis dato noch niemand gemacht. Ich war also der Erste! Als man mir den Chip entnommen hatte, war ich bereits tot. Als man mir den Chip wieder einsetzte, war die Todesursache anscheinend gelöscht worden. Somit galt ich als lebendig. Ich öffnete meine Augen und hatte ein neues Leben geschenkt bekommen. Ich habe keine Ahnung, wem ich dieses zweite Leben verdanke, aber ich bin sehr froh, dass ich es bekommen habe.

      Es ist auf jeden Fall so, dass ich das berühmte gleißend helle Licht vor Augen hatte. Es fühlte sich sehr gut an. So warm und schön. Dieses Gefühl hatte ich auf der Erde noch nie. Danach fiel ich, wie mir vorkam ungefähr zehn Dutzend Ewigkeiten, in einem dunklen Raum in die Tiefe. Ich kam voller Wucht auf dem kalten, harten Boden auf. Ich schaute hoch und blickte geradewegs in große rote Augen. Ich erschrak. Wäre ich nicht schon tot gewesen, wäre ich in dem Moment an einem Herzinfarkt gestorben. Diese Augen waren so riesig, dass ich dachte, von ihnen erdrückt zu werden. Ich habe mich in dem Moment gefühlt wie jemand in einem fremden Land, der plötzlich jemanden aus der Heimat trifft, um dann festzustellen, dass er seinen Erzfeind wieder getroffen hat. Am liebsten hätte ich zugeschlagen, sodass dieses Etwas, das nur aus Augen zu bestehen schien, weit von mir wegschleudern konnte, damit ich erstmal nachdenken konnte, was ich als nächstes tun sollte. Doch ich war wie entseelt. So als hätte ich meine Seele verloren und müsste mich nun nur noch auf meinen Verstand verlassen. Doch auf den konnte ich mich auch nicht mehr verlassen. Ich hatte in dem Moment gar nichts mehr. Noch nicht einmal meine Seele.

      Doch die bekam ich schnell wieder- so schien mir. In dem Moment setzte mir jemand den Chip wieder in mein Gehirn und ich musste auch nicht mehr nachdenken, was ich als nächstes tun sollte. Ich wurde gerettet.

      Es hört sich nun so an, als sei der Chip meine Seele. Das stimmt auf gar keinen Fall. Wie soll das auch gehen? In dem Moment stand ich unter Schock und in dem Moment setzte mir jemand den Chip wieder ein. So ganz versteh ich das selbst nicht. Ich kann nicht verstehen, dass die Wiedergeburt nur deshalb von Statten gehen konnte, weil jemand die Todesursache gelöscht hatte. Ich besteh doch nicht nur aus dem Chip! So dachte ich. Hab mich wohl getäuscht. Die inneren Verletzungen wurden dann später noch repariert und fertig war der lebende Tote. Die Mediziner konnten es selbst nicht ganz fassen. Sie sprachen von einem „Wunder“. Wenn man keine Ahnung hat, nennt man es einfach Wunder und fertig ist die Schlagzeile. In den darauf folgenden Wochen waren die Zeitungen im D.I. voll mit dem „Wunder“. Dabei glaubte in diesem Jahrtausend niemand mehr an Wunder. So kann sich das ändern.

      Aus einem fünfundzwanzig jährigen, jungen toten Mann wurde über Nacht ein Wunder. Bin ich der Einzige, der das als komisch empfindet? Ich hoffe nicht. Besonders nach der Geschichte die ich soeben erzählt habe. Aber manchen Reportern kann man wohl alles erzählen. Manche von denen scheinen auch nicht ganz helle zu sein.

      Ich habe z.B. ein Interview für die große anerkannte Wochenzeitung „Fovea“ gemacht. Dies ist der Artikel:

      Zum besseren Verständnis:

      R= Reporter

      A= Anastasius

      TOT + LEBENDIG + GLEICHZEITIG = WUNDER

      Er