Max machte Männchen und schnüffelte in die Luft hinein. „Ich kann rein gar nichts feststellen. Ein paar hübsche Pudeldamen vielleicht.“
Ich verdrehte die Augen und ging zurück auf den Waldweg, während Max mir folgte. „Hey, schon gut, ich halte mich zurück. Was bedrückt meine Lieblingsfee?“ Schleimer. „Ich will mich in der Siedlung umsehen. Wenn die Natur noch nicht so weit ist, frage ich mich, weshalb ich aufgewacht bin.“
Max knurrte. „Wegen so was machst du dir Sorgen? Du schläfst mindestens drei Monate lang. Ich wäre deprimiert, wenn ich das müsste. Bedenke, was du alles verpasst.“ Wir betraten den Steg, der über das Wasser führte und direkt in die Siedlung mündete. Die kahlen Bäume, deren Äste von Frost bedeckt waren, zeigten winzige Anzeichen von Knospen. Normalerweise sah ich sie aufsprießen. Was ging hier vor?
„Ich muss mit ihr sprechen“, murmelte ich.
„Mit wem musst du sprechen?“, fragte Max und legte sich flach auf den Steg.
„Mit der Königin.“
Max spitzte die Ohren und sein Fell sträubte sich. „Ist das dein Ernst? Ohne mich! Zu dieser Gestalt gehe ich nicht noch mal!“
Ich lächelte ihn mitleidig an. „Das musst du auch nicht.“
Max streckte sich und gähnte. „Ich mache dir einen Vorschlag: Du spendierst mir im Restaurant da vorne ein Steak und ich begleite dich … bis zum großen See.“
„Deine Pfote darauf“, willigte ich ein und hielt ihm die Hand hin.
Max stupste sie mit seiner Pfote an. „Verdammt, du fühlst dich tatsächlich an wie ein Eiszapfen.“
Ich seufzte und zog den Reißverschluss meiner Jacke zu. „Genau das ist mein Problem.“
Normalerweise scheute ich die Begegnung mit der Königin. Sie war die Herrin über alle Feen und die Verkörperung der Natur in Irland.
Vor langer Zeit, als ich ihr zum ersten Mal begegnete, war sie furchteinflößend gewesen. Meinem Empfinden nach glich sie keineswegs einer gutmütigen Herrscherin, die sich um die Natur sorgte. Vielmehr einer streitsüchtigen Hysterikerin, die auf einer verborgenen Insel im Atlantik lebte. Mitten auf dem Steg blieb ich stehen, den Blick über die Baumwipfel gerichtet, die sich vor dem größeren der beiden Seen in der Siedlung erstreckten.
Neben mir murmelte Max Worte wie „… und beschütze uns vor dem Bösen“ und „Nie wieder saftige Roastbeef-Sandwiches …“.
Doch ein Treffen mit der Königin, vor allem eines, das von mir ausging, zehrte jedes Mal an meiner Energie. Wenn ich ehrlich war, ging es mir wie Max: Ein Zusammentreffen mit ihr war schlecht für meine Gesundheit.
„Vielleicht wäre es besser, die Königin noch nicht aufzusuchen.“
Max spitzte die Ohren. „Dem Himmel sei Dank, sie ist doch noch zur Vernunft gekommen!“
Ich seufzte. „Was, wenn sich die Natur binnen eines Tages doch wieder von den Nachwehen des Winters erholt? Ich meine … sieh dir die Bäume und ihre Äste an.“ Ich streckte die Hand nach einer Astgabelung aus, die mit feinen Eiskristallen überzogen war.
„Vielleicht habe ich überreagiert“, murmelte ich und sah in den Himmel, dessen Blau durch die dunkel heranziehenden Wolken überdeckt wurde.
„Du schuldest mir immer noch ein Steak, Herzchen. Und für die bis hierher geleistete Seelsorge berechne ich noch ein paar Portionen Würstchen.“
Ich hob abwehrend beide Hände. „Übertreib nicht. Du bekommst dein Steak, auch wenn mir das an sich schon zu weit geht. Außerdem warst du es, der den ganzen Weg bis hierher gebetet hat.“
Kapitel 2
Der Wecker an jenem Samstagmorgen klingelte schrill. Julian überhörte ihn absichtlich und zog sich stattdessen die Bettdecke über den Kopf. Von unten ertönte das Klirren von Geschirr und Julian schob die Decke widerstrebend wieder nach unten, um zu lauschen.
Kurz darauf war das vertraute Surren der Geschirrspülmaschine zu hören. Es war Diane, die das benutzte Frühstücksgedeck seines Vaters bereits vom Tisch geräumt hatte. Seit Julian neun Jahre alt war, arbeitete George Thierney wie um sein Leben. Als berühmter Nachrichtensprecher eines angesehenen Dubliner TV-Senders war er mehr oder minder mit seiner Arbeit verheiratet.
Seit dem Tod von Julians Mutter vor acht Jahren entfremdete sich Julian Jahr für Jahr mehr von dem Mann, der ihm als Kind einst ein liebevoller Vater gewesen war. Seitdem kümmerte sich Diane um den Haushalt, eine engagierte Witwe Mitte fünfzig, die George zwei Jahre nach dem Tod seiner Frau engagiert und die sich auch um Julian gekümmert hatte. Just in diesem Moment klopfte es kräftig an Julians Zimmertür und Dianes Stimme erklang energisch: „Jules, du kommst zu spät zu deiner Besprechung für die Kultur-Woche, wenn du nicht augenblicklich aufstehst!“ Schritte entfernten sich und polterten die Treppe hinunter.
Julian seufzte und schob die Beine aus dem Bett. Die Kultur-Woche, natürlich. Wäre es nach Julian gegangen, hätte er sich diesen Samstag lieber entspannt in die Fluten gestürzt, um für die nächste Meisterschaft zu trainieren.
„Weißt du, warum ich bei diesem öden Blödsinn mitmache?“, fragte Julian, als er frisch geduscht und angezogen ins Wohnzimmer trat und seine Tasche auf einen der Stühle am Esstisch fallen ließ.
Diane, die damit beschäftigt war, ihm Tee einzuschenken, runzelte die Stirn und lächelte beschwingt. Sie setzte die Teekanne ab und sah ihn an. „Du sagtest, es wäre für eine zusätzlich gute Note von Vorteil. Hat sich daran etwas geändert?“
Julian nahm sich einen Toast und griff zum Marmeladenglas. „Das ist es, aber von zusätzlichen Stunden war am Anfang nicht die Rede.“
Diane blinzelte und setzte sich ihm gegenüber. „Glendalough ist eine herrliche Gegend und von kultureller Bedeutung. Du wirst es bestimmt nicht bereuen.“
Julian antwortete nicht, sondern ließ sich sein Frühstück schmecken, bis Diane schließlich aufstand und das Wohnzimmer verließ. Als sie zurückkehrte, verschluckte sich Julian beinahe an seinem Tee: Sie hielt eine Jeansjacke in den Händen. „Du hattest gestern Abend Besuch?“, fragte die Haushälterin spitz.
Julian nahm sich ausreichend Zeit, um ihr zu antworten. „Leslie war gestern hier. Wir haben …“, doch Diane hob die Hand, um ihn zu unterbrechen.
„Ich möchte es nicht genauer wissen. Es hat mich interessiert, für welches Mädchen ich diese Jacke vor deinem Vater verstecken musste. Doch Leslie kenne ich immerhin, seit ich dich kenne.“ Ein diebisches Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht und Julian atmete erleichtert aus.
„Ich glaube, sie hat die Jacke aus Versehen hier vergessen. Und verheimlichen wollte ich es vor Dad ganz sicher nicht!“, stritt er ab.
Diane legte die Jacke über die Stuhllehne neben ihm. „Denkst du, ich habe die offene Weinflasche in der Abstellkammer nicht bemerkt? Jules, du wirst zu deinem Dad keine vernünftige Beziehung aufbauen können, wenn du ihm ein festes Verhältnis zu einer Freundin verheimlichst.“
Julian verdrehte die Augen. „Hör mal, Di, es ist wirklich nett von dir, dass du dich um meine nicht vorhandene Beziehung zu Dad sorgst, aber ich muss jetzt wirklich los.“ Er stand auf, packte seine Tasche und verließ fluchtartig das Haus, ohne Diane noch einmal zu Wort kommen zu lassen.
Die Haustür knallte hinter ihm zu und er lehnte sich einen Moment daran an. Er bereute es, Diane so behandelt zu haben. Doch sie war nicht seine Mutter. Julian machte sich auf den Weg zur Bushaltestelle. Keine hundert Meter links von ihm erstreckte sich der Atlantik, dessen Wellen auf dem Strand ausrollten. Das Rauschen ließ Julian wieder und wieder innehalten, doch die Zeit, die er hier verbrachte, würde ihm später in der Besprechung für die Kultur-Woche fehlen.
„Du bist zu spät.“