Menschen?
Keine Magierseelen, doch einige wenige Menschen aus Fleisch und Blut müssten eigentlich für kurze Zeit hier oben gewesen sein?
Nein, im Hubble wohnen sie nicht, das holten Astronauten zwecks Reparatur in die Ladebucht ihres Shuttles.
Aber da war doch was. War da nicht einst einmal eine, waren es gar mehrere?, da gibt es doch hier in der Nähe wieder eine große ... So ein Ding, dessen Name mir einfach nicht einfallen will.
Unter mir strahlt herrlich blau und unvergesslich meine Menschenheimat Erde: blau, blau, blau. Und weiße Wolken wehen darüber hin. Ein wenig rot und braun, das ist Afrika, der Norden, die große, wachsende Wüste, Sahara, Sahel. Moyo, ich denke an dich, dort lebst du noch immer und lebst du doch nicht, sondern auf einer parallelen Erde, du und unsere Kinder Rani und Ra. Wolken verdecken Afrikas Zentrum. Das ist dein Ursprung, Moyo, und der der Menschheit, das einst so fruchtbare, damals vertrocknende Land. Und darunter der Süden, heute ist er trocken und klar zu erkennen. Wie war er gestern - wann? Wie wird er morgen sein? Erde, das ist zwei Drittel Meer mit Wolken darüber und hellem Wüstenland. Wer sie einmal sah, vergisst sie nie wieder bei all dem Gelb, Rot, Grau und Schwarz der anderen Planeten und Monde, die noch auf mich warten. Ob sie wirklich so sein werden, wie ich sie während meines Lebens dort unten auf Erden nur auf Fotos sah?
Manfred bewegt sich, schwebt, ein wenig leuchtend, mit silhouettenhaftem Menschenkörper, fast materielos, im Orbit lautlos dahin, gestorben und doch voller Energie. Dann hat er die andere, die dunkle Seite, die Erdennacht erreicht.
In der Ferne leuchten Sterne. Nah und klar, gigantisch groß strahlt hell die Volle Mondin, nicht weiter als einen Katzenmagiertotensprung entfernt. Erinnern: Fantastisch klar war der Himmel einst dort unten nur in den Wüsten und über den Wolken in den Höchsten Bergen der Erde. Dort aber funkelten die Sterne hinter der Atmosphäre. So scharf und klar wie jetzt sah ich sie mit Menschentieraugen nie. Denn hier oben sind weder Smog, Wolken noch Atmosphäre. Auch sehe ich hier die Volle Mondin in allen Farben und Spektren, ich sehe sie groß und nah und winzig klein zugleich. So ist mein optischer Sinn mehr als die Summe aller Teile der Wesen, die ich war, die vor mir waren, die neben mir dort unten lebten.
Noch einmal schaue ich zurück. Tausende Lichter flackern dort unten. In einer von diesen, ach nein, es waren ja mehrere, lebte einst auch ich. Hatten sie alle unterschiedliche Namen? Erinnere mich nur noch an ein Wort für all diese Lichtermeere. Ja, ein Name ist es, der für all diese Welten steht, in die ich geboren wurde, wo ich aufwuchs und vieles lernte, die ich einst verließ, ganz zu Beginn meiner großen Reise mit Namen „Leuchtender Pfad“, der mich führte, dem ich durch Wald und Nebel-Land, über Steppen hinweg bis zu den Höchsten Bergen folgte, wo ich schließlich starb, dieser Name lautet Stadt. Nun lausche ich von hier oben den Stimmen der Städte, ja, das ist der Plural von Stadt, ich erinnere mich. Alle sind sie so verschieden, wie die Menschen, die sie schufen. Keine Stadt ist wie die andere. Alle zusammen aber bilden sie einen Chor, der dort unter mir pulsiert und singt.
Noch andere Dinge entdecke ich nicht so fern nun unter mir. Weit nach oben schießen „Kobolde“ empor. Rot leuchten diese fantastischen Gestalten, auch wenn es „nur“ Blitze sind, über blauen Gewitterwolken.
Das alles geschieht - jetzt, in diesem Augenblick.
Dann aber sehe ich IHN in mir. ER, der Nairra fand und tötete, ER, mit dem ich meinen letzten Kampf auf Erden focht und der mir mein Leben nahm. Dann sehe ich IHN in den Nordlichtern weilen. Äonen lang wohnte ER, der aus den Wassern des Meeres kam, in den Wolken, zog bei Nacht im Mondinlicht über die Erde dahin. So viele Wesen höre ich vor Angst und Furcht, vor Schmerz und Pein unter SEINEM Schatten schreien. So viele Augen erblickten SEIN Wetterleuchten, wenn ER sich als Blitz in der Wolke entlud, sahen IHN von Wolke zu Wolke springen. Die meisten Wesen aber wussten nicht, wer ER war, doch spürten sie die Gefahr, versuchten zu fliehen und entkamen IHM nicht. Menschen gab es damals noch nicht. Eines Nachts sprang ER wieder hinab, so wie ER hinaufgelangt war. Als Blitz zwischen Wolken und Erde spaltete ER den großen Baum im Norden Australiens. Dann blieb ER dort unten und durchquerte in vielerlei Gestalt die Kontinente der Welt, die wir Menschen Erde nennen.
Das alles geschah, das alles war, das ist vergangen.
Das alles existiert für immer und ewig - noch immer unerreichbar für den Menschengeist, nicht aber verschlossen für mich.
Ich sehe es in mir.
Weil ich tot bin und mein Menschsein hinter mir gelassen habe?
Weil ich ein Magier war und bin?
Weil ER und ich für immer verbunden sind?
Oder aber weil Er Dort Oben über mir es so will?
Dort Oben kann ich nicht hin. Also schaue ich nun nicht mehr zurück, nicht mehr hinauf in andere Dimensionen, schaue ich mich weiter in meiner Umgebung um. Überall schwirren Satelliten herum, die militärischen, GPS – Ortsbestimmung und Navigation auch für zivile Verkehrsmittel, die Fernsehsatelliten, die Hunderte von Programmen ausstrahlen und von den kleinen Satellitenschüsseln auf den Häusern und den großen fürs Kabel-TV empfangen werden. Viele Erdendinge aus dem beginnenden 21. Jahrhunderts, die für die Menschen dort unten, die Lebenden, ungeheuer wichtig sein mögen, haben für mich, der ich hier oben über all diesen Dingen körperlos schwebe, keine Bedeutung mehr.
Halt, eine Sache fällt mir noch ein: Der erste deutsche Satellit zur Oberflächenerfassung schwebt hier irgendwo. „Deutsche, Deutscher“? Ja, das war ich ja einmal, so heißen die Menschen in einem kleinen Land, das mitten in Europa liegt, also im Westteil des großen Kontinents Eurasien. Einst soll es sogar zwei Deutschlands gegeben haben, sehr eigenartig, kaum zu glauben. Und davor ein Deutsches Reich. Und Jahrhunderte früher viele kleine Fürstentümer, die sich alle eifrig bekriegten. Das müssen ja irre Zeiten dort unten gewesen sein. So viel Leid, Zerstörung und Tod, überall und immer wieder.
Und erst die vielen Trümmer, Raketenteile hier oben - Weltraumschrott. Es führt kein Weg daran vorbei: Irgendwann muss hier einmal gewaltig aufgeräumt werden, muss die Menschheit daran gehen, ihren Müll mit automatischen Systemen einzusammeln und zu recyclen. Es muss geschehen, um zukünftige Katastrophen zu verhindern. Und wäre es bereits getan worden, hätten Astronauten in diesem Jahr keine Schutzschilde an der neuen Weltraumstation anbringen müssen.
Ach ja, „Weltraumstation“, das war das Wort, was mir vorhin nicht einfallen wollte. Als Frischverstorbener vergisst man wohl doch ziemlich viel vom Leben vor dem Tod.
In der Station müssten Menschen leben. Da schaue ich doch mal schnell vorbei.
Kaum daran gedacht, da taucht sie auch schon unter mir auf: die noch immer unvollendete, erste internationale Raumstation der Menschheit, die den Namen ISS trägt. Allein schwebt sie dort über der Erde, so wie einst eine andere mit Namen MIR (Frieden).
„Nach fünfzehn Jahren und 16 000 Experimenten im Orbit kehrte diese 2001 in den Schoß von Mutter Erde zurück, verglühte, Restteile stürzten in den Südpazifik“, flüstert die Stimme in mir.
Dann prasseln Informationen zur ISS, die mich gar nicht interessieren, auf mich ein, wie etwa: „Andere Namen trug sie einst: Alpha, Isis und Freedom. Seit 1998 gibt es sie hier oben, zunächst war da nur das Fracht- und Kontrollmodul Sarja.“
Welch seltsamer Zufall. Das war ja das Jahr, als ich von einem Stammtisch in der kleinen Stadt Kaiserslautern aufbrach und meinem Leuchtenden Pfad folgte, der mich immer weiter nach Osten in den Himalaja und über meinen Tod hinaus schließlich hierhin führte. Aber wenn das so war, woher weiß ich dann Dinge, die dort unten auf Erden in den folgenden Jahren in den Städten verkündet wurden, so zum Beispiel die Sache mit den neuen Schutzschilden für die ISS? Ach ja, Er Dort Oben wusste es und flüsterte es mir ein, wer sonst. So muss es gewesen sein.
Und wieder spricht seine Stimme in mir: „Langsam nur schreitet der Bau der Raumstation voran, denn die amerikanischen Shuttles fielen für viele Jahre aus. Hauptsächlich scheint sie aus Solarsegeln, 4500 m² trapezförmigen Platten,