Welch schöner Name, denke ich, lande und forme mir einen Menschenkörper im Raumanzug. Erstaunlich, dass ich das noch kann. 30°C über Absolutnull, das sind ja -240°C, die mein Temperaturmesser anzeigt. Werden einst hier Menschen stehen, vermummt wie ich oder irgendwann auch körperlos hier anwesend sein?
Schaue mich um und sehe eine Welt voller Geysire und Vulkane. Und doch ist da nirgendwo Hitze, nur Kälte überall. Eisig sind die Vulkane dieser sonnenfernen Welt. Flüssigen Stickstoff spucken sie aus, und aus Stickstoff besteht die Atmosphäre, wie mir meine Außensensoren melden. Das immerhin ist ja ganz wie auf der guten alten Mutter Erde.
Welch köstlicher Gedanke, damals zu Lebzeiten auf Erden tat ich es nicht, aber jetzt und hier, ja, da tue ich es doch glatt: Ich springe in einen der vielen Geysire, bade nun in einem Stickstoffsee.
Längst haben sich Raumanzug und Menschenkörper aufgelöst. Verflüssigt steige ich kilometerweit mit all den anderen Teilchen auf. Kohlenstoffdurchdrängt wehen wir nun alle als schwarzer Rauch von der Drehung des Mondes gelenkt dahin.
Aha, da ist er ja, dort sehe ich ihn vor/in mir, den hellsten von allen, die hier draußen noch kommen: Pluto.
Ich höre die Stimme in mir flüstern und immer leiser werdend allmählich verklingen: „Und dem zehnten Planeten gaben wir den Namen Xena, 560 Jahre benötigt er, um einmal den Sonn zu umkreisen, welche Zeitspanne, wie viele Menschengenerationen. Vor einem Xenajahr war auf Erden in Europa noch Mittelalter. Jetzt erst entdeckten wir ihn. Wen wundert’s, er ist ja nicht groß und nur einer von so vielen. Alle sind sie Zwergplaneten, Planetoide. Und das heißt? - Es gibt keinen zehnten Planeten, auch keinen neunten und - da waren es nur noch acht.“
Dann ist da nur noch ein Murmeln, die reinste Hypnose, die schläfert mich ein, der ich nun träumend durch die dunklen Weiten treibe und berauscht dem Gesang der Sterne lausche.
Erwacht sehe ich mich von außen inmitten all der dunklen und schwarzen Felsen, den kleinen und großen Planetoiden jenseits des Neptuns schweben.
In mir singt die Stimme: „Transneptune. Wie lange wird es noch dauern, bis die Menschheit ihre Füße hierhin setzt, bis sie die äußeren Himmelskörper des Kuipergürtels erreicht?“
Hier sind sie ja alle: die wenigen, die einen Namen erhielten, die Doppelsysteme - Pluto-Charon und Xena-Gabrielle, und all die anderen.
„2003 IB 313“, flüstert die Stimme in mir, die alles immer besser zu wissen scheint und auch noch schrecklich pedantisch ist.
Keine Ahnung, was Er Dort Oben damit meint. Wichtig für mich ist allein, dass ich hier zwischen all den Felsen dahintreibe und schließlich mit einem verschmelze. Wieder bin ich nun beseeltes Gestein, trage jetzt aber auch eine dünne Atmosphäre, eisig bin ich und mondumgeben. Dann trenne ich mich wieder und schwebe neben den beiden.
„Xena und Gabrielle“, spricht die Stimme in mir.
Da gab es doch auch einen Erzengel gleichen Namens? Gabriel!
Bist also du, Gabrielle, dann eine Engelin?
Wo überhaupt sind die Frauenseelen?, frage ich mich. Müssen wir Seelen einsam und allein durch die Weiten ziehen und ohne Liebe „leben“?
Erinnerungen brechen schmerzlich auf. Also bin ich noch lange nicht erlöst, fällt mir ein, noch immer mit meinem letzten Leben verbunden. Ach ja, die Liebe. Viel zu früh starbst du, Nairra, durch IHN. Ich habe dich bestattet. Als Moyo kamst du wieder und hast mich überlebt. Ich weiß, dass du und unsere Kinder auf einer parallelen Erde leben. Ja, sie leben, also lebe ich in ihnen weiter. Und wir Drei werden uns wiederfinden, niemals mehr im Leben, denn zwei von uns sind ja schon tot und die Dritte wird es auch irgendwann sein, sondern posthum als Seelenwesen.
Und weiter zurück reichen meine Erinnerungen, die niemals die von einem Lebewesen sein können und es auch nicht sind, denn damals gab es mich noch nicht und auch sonst keinen Menschen noch Leben noch Erde, als es geschah:
Alles ballt sich zusammen und entzündet sich. Das ist die Geburt des Sonn. Planeten fangen Trümmer ein und wachsen. Wir alle treiben. Die kleineren von uns schlagen auf den größeren ein, wir verbinden uns und formen Erde und Mondin. Wir werden eins mit den großen Planeten. Wir kreisen allein für uns in den leeren Zonen mit all den anderen, die es auch heute noch gibt.
„So alt bist du, sind wir alle, so alt und noch viel älter, denn alles, was ist, das wandelt sich beständig. Seit 4,6 Milliarden Jahren schweben all die Objekte hier im Kuipergürtel“, spricht Er Dort Oben in mir.
Wo bin ich?
Ich suchte meinen Weg von der Erde nach außen. So müsste ich also nun ... So fern wie nie zuvor bin ich dem Sonn. Besäße ich noch einen Menschenkörper, er wäre längst zu Eis gefroren.
Noch einmal schaue ich zurück, doch nicht mit äußeren Sinnen. Tief blicke ich in mich hinein und sehe die dunklen Sonnenflecken.
Und die Stimme in mir flüstert: „Das sind die Stellen, wo Magnetismus Materie hält, Strahlungseruptionen. Alle elf Jahre nehmen sie zu. Dann vermehren sich die Polarlichter im Magnetfeld der Erde, der Satellitenfunk wird gestört. Das geschieht schon seit Jahrmillionen, doch jetzt erst berührt es uns, zu dieser Zeit mit dieser Technik. Bald ist diese und dann sind auch wir nur noch Vergangenheit. Denn die, die uns folgen, werden keine Menschen mehr sein. Und irgendwann wird auch unsere alte Heimat untergehen, denn dann dehnt sich Vater Sonn aus, schluckt Merkur und Venus und verbrennt Mutter Erde. Und alles, was dann noch darauf lebt, vergeht. So wird es geschehen.“
Mag sein, mag sein, denke ich, der ich hier und jetzt nicht in ungeborenen Feuern brenne, sondern hier draußen an den Grenzen des Sonnensystems schwebe, die gar keine Grenzen sind, denn das All ist grenzenlos.
„Oortsche Wolke“, flüstert die Stimme in mir einen Namen, der nur ein Menschenwort ist, nicht mehr.
So viel Leere überall, dort innen, dort außen. Und hin und wieder ein Körnchen Staub, ein Bröcklein Gestein, ein wenig Eis.
Ich bewege mich und setze die Bewegung in Gang. Einer der eisbedeckten Felsen treibt nach innen, hin zum Sonn. Einst wird er in den Augen der Menschen als neuer Komet aufgehen. Ich sehe ihn sich entzünden im Sonnenwind, spüre seinen Schweif, bin jetzt ein Teil von ihm, eins mit der Materie – Stein und Eis, taste mich durch ihn hindurch hin zur sonnenzugewandten Seite, beginne mich auch schon aufzulösen, empor- und davonzuwehen. Das hat doch was. So etwas ...
Jahrzehnte später schauen Menschen der Erde den Kometen. Diesmal jedoch waren es nicht Priester, die ihn als Zeichen Gottes und nahenden Unheils begreifen, Buße tun und auf das Ende der Welt warten, sondern Naturwissenschaftler, also Gläubige anderer Art, die ihn nicht mit bloßem Auge, sondern mit viel Technik viel eher, als es früher möglich war, entdeckten. Einer unter ihnen ist außer sich vor Freude, denn er meldete ihn als erster und gab ihm eine Nummer, und nun trägt der Komet seinen Namen. Jetzt ist dieser Mensch unsterblich - heißt es. Milliarden schauen - nicht in den Himmel, sondern meist über die Medien, staunend und ergriffen den neuen Kometen am Himmel aufgehen und wissen doch nicht, weshalb er da ist, wo er ist, und dass da ein Teil von ihm einst einmal von Manfreds Seele durchdrungen war. Der aber hat sich längst weiterentwickelt, ist nicht mehr allein, sondern mit den anderen verbunden, die sind wie er, es immer waren und sein werden.
Träume ich?
Ich sehe Kometen, Planetoiden, Monde, Planeten und Sonnen. Nach innen, nach außen, ringsherum im Kreis und hin und her, überallhin schweben sie im Raum, werden eingefangen, lösen sich, stürzen hinab, prallen auf, enden und enden doch nicht, sondern existieren weiter als Teil von etwas anderem. Solches geschieht mit Gasen, mit Flüssigkeiten, Gesteinen und den Körpern von Lebewesen. Menschen sehe ich. Nein, ich erkenne keinen unter ihnen, die da in Kitteln herumwuseln, als wären es Ameisen in einem Ameisenhaufen. Ja, jetzt erkenne ich, was sie da bauen. Mit Raketen schicken sie diese Satelliten von der Erde ins All. Die meisten von ihnen sind Augenblicke, Tage, Wochen, Monate, Jahre später nur noch Weltraumschrott. Weniger aber sind noch immer aktiv.
„Voyager“, flüstert die