Das Leben auf der anderen Seite. Jörg Nitzsche. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jörg Nitzsche
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738020779
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wieder zu langweilig hier. Aber Corina und Catharina genossen es hier sehr und spielten immer mal wieder Wasserball. Auch die beiden nahmen alles gerne in Anspruch. Sie blieben ganze 2 Tage. Das mit der Übernachtung klappte ausgezeichnet, denn Manfred und Thomas hatten recht großzügig geschnittene Apartments. Doch über ein Dankeschön der beiden konnte sich keiner von uns erinnern. Immerhin wurde ihnen von der Unterkunft, bis zum Essen und Getränke alles bezahlt. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern warum sie schon einen Tag früher abhauten als ich. Vielleicht mußten sie wegen ihrer Reisegesellschaft zurück, oder sie mußten zeitnah abreisen, keine Ahnung mehr. Aber was heißt schon einen Tag früher abhauen? Im Grunde reichte es mir auch schon nach 2 Tagen hier. Eigentlich ist das sowieso nicht meine Art von Urlaub gewesen. Ich erlebe gerne was, reise dabei gerne Stück für Stück weiter herum. Ich blieb jedenfalls einen Tag länger. Ich hätte auch noch länger bleiben können, aber wie gesagt es war einfach nicht besonders aufregend bei meinen Kumpels. Doch wir verabredeten, daß Manfred und Thomas mich gleich am nächsten Tag besuchen kommen. Auf meiner Rückfahrt im Taxi bekam ich die Stadt Burgas noch einmal hautnah zu Gesicht. Ein echter Alptraum wenn man solche Häuserschluchten noch nie gesehen hat. So etwas Heruntergekommenes habe ich tatsächlich noch nie gesehen. Bestimmt 15-20stöckige Wohnsilos, wo jeder Balkon wie von Kugeln beschossen aussah. Was treibt diese Menschen hier an, was motiviert sie? Diese Frage bleibt wohl unbeantwortet. Ich habe eine Menge Leute aus Burgas kennengelernt, die wirkten ganz normal, waren lustig, hatten ihren Spaß. Waren alles sehr angenehme Menschen. Sogar ein bißchen lustiger und befreiter als die Ostdeutschen. Die Frauen erzählten mir immer wieder von den guten Einkaufsmöglichkeiten in Burgas Zentrum. Wie trist die Geschäfte eingerichtet sind, das übersehen die Bulgarinnen wahrscheinlich deshalb, weil sie nie was anderes gesehen haben. Und die Ostdeutschen Mädels, weil es vielleicht auch bei ihnen nicht viel besser aussieht, es aber hier viel mehr zu kaufen gab. Die neueste Mode kam aus der Türkei rüber. Damals war mir gar nicht klar wie nah wir an der Grenze zur Türkei waren. Die Exquisit­geschäfte, dessen Produkte aus dem Westen sowieso nur mit harter Währung zu erstehen waren, waren das höchste ihrer Gefühle. Was wir vielleicht als eintönig verstehen ist für die Menschen hier das ganz normale Leben. Man kann dazu stehen wie man will, völlig kalt lassen kann es eigentlich keinen. Nun hat es mich schon immer interessiert, wie Menschen in anderen Kulturen denken und leben. Und was sie selber wiederum über uns wissen und denken. Doch hier bekommt man auch einen Hauch von Heuchelei zu spüren. Hier mögen sie vor allem uns Westdeutsche, natürlich weil wir Devisen mitbringen. Unsere Arroganz, die einige allerdings auch völlig unbewußt zur Schau stellen weil unsere Lebensart sie so geprägt hat fällt natürlich auch den Bulgaren auf. Und wenn ich mir wiederum die Bulgaren beim Beobachten unserer Landsleute anschaue wird mir durch ihre Gestik und Mimik untereinander auch klar was die Bulgaren wirklich über uns denken. Die haben ihre Blicke dermaßen geschärft, daß nicht nur die Bademeister uns mühelos zum Schwarztauschen aus der Masse heraus picken. Diese Schwarztauscherei empfand ich überhaupt als eine üble und nervige Angelegenheit. Irgendwie brauchte ich den Kram wie Kaviar überhaupt nicht, aber den Bulgaren zu Liebe kaufte man diesen Mist dann doch. Das Gefühl hier ein Schnäppchen gemacht zu haben, hatte ich schon deshalb nicht, weil ich mir das Zeug sowieso nicht gekauft hätte, geschweige denn gefuttert hätte. Vielleicht habe ich noch nie guten Kaviar gegessen, ich jedenfalls hätte mir statt dessen auch ne Prise Salz aufs Ei machen können. Allerdings stellte ich manches Mal spaßeshalber die Frage, ob man für den Service und das kulturell gebotene nicht noch Geld zurückerstattet bekommen müßte. Wofür sollte man hier sein Geld verprassen wollen, außer für Alkohol, weil man alles um sich herum vergessen wollte. Man hätte bestimmt das ganze Lokal mit einladen können und hätte trotzdem nie Ebbe in der Urlaubskasse gehabt. Aber vielleicht hätte ich mir ein Gemälde kaufen sollen. Daran habe ich später öfter gedacht. In Burgas habe ich ja Bilder von bulgarischen Künstlern gesehen, die gefielen mir ganz gut. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte ich scheinbar nicht den Kopf dafür gehabt. Ich hatte mir sonst immer etwas mitgebracht, ein Andenken daß diese Lebenskultur widerspiegelt. Das Leben in dieser Kultur, die Menschen und ihre Inspirationen, von denen ich im Laufe der zwei Wochen doch ein bißchen was gelernt habe, hat wenigstens ein paar Spuren bei mir hinterlassen. Absolut nicht unsympathisch die Bulgaren. Vor allem die Frauen, die ich kennen gelernt habe haben mir sehr gefallen. Ich habe nette Menschen aus Pamporovo, einem bekannten Skisportort in Bulgarien, und auch aus Sofia kennengelernt. Ich hatte sogar eine Freundin aus Tiflis, Georgien gehabt. Eine ganz süße aus Burgas, aber leider viel zu jung, lernte ich in dem Barackendorf direkt hinter dem Strand kennen. In Bulgarien gibt es ausgesprochen schöne Frauen. Aber es blieb meistens beim Anschauen. Mal ein Küßchen, mal ein bißchen mehr. Immer wieder bekam ich zu hören "wir sehen uns ja doch nie wieder", gepaart mit einem traurig dreinschauenden, resignierten Gesichtsausdruck. Das war in solchen Momenten sehr hart, und beendete jede Gefühlsduselei. Jeder hätte sich an meiner Stelle gewünscht, daß mehr daraus hätte werden können. Ein wenig habe ich Land und Leute also kennen und verstehen gelernt. Und vor allem sind sich die Menschen insgesamt viel näher als es wohl die politischen Systeme je sein werden. Ein Blick in die Gesichter verrät es sofort, die charakteristischen Gesichtszüge der Deutschen Urlauber erkenne ich sofort heraus. Die Bulgarinnen haben sehr exotische Gesichtszüge und sind ausgesprochen hübsch. Da fällt mir gerade was Schräges ein. Ein Bulgare meinte einmal zu mir, er wäre schon oft im Ausland gewesen aber immer wieder froh in Bulgarien zu sein. Wegen dem Essen hier, das hätte er überall vermißt. Ich dachte zuerst der tickt nicht ganz richtig, danach haben wir aber nie wieder miteinander gesprochen. Doch am meisten habe ich über unsere direkten Nachbarn nachgedacht. Ich lernte in diesen 2 Wochen Menschen aus allen Gegenden der DDR kennen. Und ich muß sagen, es ist ein Urlaub mehr für den Kopf als für den sonnengebräunten Körper geworden. Erholung ist dieser Urlaub nur bedingt gewesen, aber dafür höchst interessant. Verrückt, wenn ich heute darüber nachdenke, mit was allem ich konfrontiert wurde in diesen 2 Wochen. Vielen sollte ich bei ihrer Flucht helfen, sie waren wirklich fest entschlossen aus Bulgarien zu flüchten. Dieser ganze Flüchtlingsstrom über Ungarn ist auch bei den DDR-Bürgern nicht unbemerkt geblieben. Und dann wurden 2 Monate später die Grenzen geöffnet. Sie sind Deutsche wie wir, aber doch völlig andere, mir irgendwie fremder als Japaner, Amerikaner oder Skandinavier es je waren. Ich traf Leute aus Ostberlin, Dresden, Cottbus, Jena, Leipzig und Magdeburg, und irgendwo aus dem Harz. Doch, so richtig glücklich wirkte keiner von ihnen auf mich. Zuhause gab es keinen Tag an dem nicht irgend etwas von den Flüchtlingen in der BRD-Botschaft in Prag berichtet wurde. Am 30. September dann die befreiende Nachricht von Minister Hans-Dietrich Genscher. Und schon knapp einen Monat später, am 9.November die befreiende aber auch unerwartete Meldung von der neuen Reisefreiheit der DDR-Bürger, die Günter Schabowski proklamierte. Der deutsch-deutsche Wahnsinn ist beendet und beginnt auch gleichzeitig und hat mich bis heute nicht losgelassen. Und so verwende ich mal wieder die typische Redewendung, ich fahre heute mal rüber in die DDR.

       Mein erster Trip geht nach Wismar

      Es ist regnerisch und trübe, es könnte kaum ungemütlicher sein im Januar, eigentlich kein Tag um an einen Ausflug zu denken. Zudem geht zu dieser Jahreszeit die Sonne entsprechend früh unter. Ich fahre trotzdem erst gegen Mittag los, und dabei weiß ich noch nicht einmal ob ich Wismar oder Schwerin anfahren soll, geschweige denn erreichen werde. Genauso wenig habe ich mit einem Stau vor Schlutup gerechnet. Da ich nicht absehen kann, wo genau die Grenze passiert wird, hoffe ich natürlich daß es nicht so lange dauern wird. Es dauert eine ganze verdammte Stunde, schon etwas blöd. Wieder habe ich dieses mulmige Gefühl, wenn ich diese Grenze passiere, denn es wird immer noch kontrolliert. Obwohl ich auch von Durchwinken sprechen kann, denn Papiere will keiner mehr sehen. Ob die Grenzer überhaupt genau wissen was sie hier noch tun sollen? Dieses trübe, schmuddelige Wetter unterstreicht die ungewohnte Umgebung nach der Grenze, eine irgendwie bedrückende Atmosphäre. Bei Grenzübergängen in die DDR muß ich immer unwillkürlich denken, mich lassen die nicht durch. Aber alles geht gut. Gleich hinter der Grenze sehe ich zwei junge Leute von hier. Daß sie von hier sind erahne ich schon anhand ihrer Klamotten. Der eine heißt Bernd, und der andere ... habe ich vergessen.

      Sie versuchen zu trampen, und so nehmen mir die beiden die Entscheidung ab, wohin es für mich heute gehen soll. Sie wohnen in