Als wäre es das Natürlichste auf der Welt, empfing er sie in einer Umarmung. Vincents Worte hallten in seinem Kopf wider.
Wir kümmern uns umeinander.
*
Darias Vater hatte sie vor einer Weile allein gelassen, um mit Sophia zu sprechen. Nachdem das Baby und all das Ungewisse, das damit auf sie zukam, zur Sprache gekommen war, hatten sie beide nicht mehr viel zu sagen gehabt.
Es war eine Sache, dass ihr Vater nun von der Nacht mit Vincent wusste. In einem anderen Leben wäre ihr das wohl unendlich peinlich gewesen. Aber in dieser Situation wurde sie von so vielen anderen Gefühlen beherrscht, dass für so was kein Platz mehr blieb. Ebenso verhielt es sich mit der Schwangerschaft an sich.
Etwas ganz anderes war jedoch, was dieses ganz spezielle Baby, das da in Daria heranwuchs, für sie alle bedeuten konnte. So unglaublich es auch war, hatte es doch auch etwas Magisches. Kaum greifbar und doch allgegenwärtig erfüllte Daria ein unbändiges Gefühl, das mit jeder Sekunde stärker zu werden schien. Dieses Kind, ihr Kind, war mächtig und gut. Es war richtig. Sie fühlte es mit jeder Faser ihres Körpers und auch ihr Vater musste es gespürt haben.
Beim Gedanken an seine Worte, die ihr versichert hatten, dass er, komme, was da wolle, an ihrer Seite stehen würde, breitete sich eine angenehme Wärme in ihrem Inneren aus. Ohne viel darüber nachzudenken, ließ sie ihre Hand auf den Bauch wandern, so als könne sie dadurch mit ihrem Baby in Kontakt treten.
Mit einem leisen Klicken wurde die Tür hinter ihr ins Schloss gedrückt. Es war Vincent. Endlich war er gekommen.
Sofort sprang Daria auf und eilte ihm entgegen. Er öffnete die Arme und empfing sie in einer Umarmung. Sein unverkennbarer Duft stieg ihr in die Nase und bei dem warmen Druck seiner Hände auf ihrem Rücken drängte sie sich noch enger an ihn. Erst nach einer kleinen Ewigkeit ließ Vincent sie los und musterte Daria eindringlich.
In seinem Gesicht konnte Daria noch die Spuren des Kampfes mit Maria sehen. Obwohl es erst wenige Stunden her war, lag gefühlt schon ein ganzes Leben zwischen den Ereignissen und dem jetzigen Moment.
„Was hast du gemacht?“, keuchte sie, als sie die Blessuren auf seinen Händen entdeckte.
„Das ist nichts“, gab Vincent ihr zur Antwort und zuckte unbestimmt mit den Schultern.
„Geht es dir gut?“, wollte Daria wissen. Vincent wirkte auf sie grimmig und verschlossen. Ganz so wie zu der Zeit, als sie sich kennengelernt hatten.
Sein Kiefer mahlte, doch seine Finger strichen sanft über ihre Wange.
„Rede doch mit mir“, bat sie ihn und legte ihre Hand über seine.
Der Ausdruck in Vincents tiefgrünen Augen sprach von Verzweiflung.
„Es tut mir so leid“, presste er hervor und streichelte erneut mit dem Daumen über Darias Wange.
„Aber was tut dir denn leid?“, erwiderte sie ernsthaft verunsichert. Was zum Teufel ging bloß in ihm vor?
Abrupt ließ er von ihr ab. „Dass ich dir das angetan habe. Uns allen.“ Seine Stimme war hart, als er vage auf Darias Bauch deutete.
Daria fühlte sich, als hätte er sie geschlagen. Sie wich einen Schritt zurück und starrte ihn fassungslos an, was Vincent eine schmerzerfüllte Grimasse ziehen ließ.
„Wie kannst du das nur so sehen?“, brachte sie mühsam hervor und suchte seinen Blick.
Nur widerwillig hob er den Kopf und sah ihr ins Gesicht.
„Es ist ein Wunder“, hauchte Daria und war überrascht, wie viel ihr diese Worte selbst bedeuteten.
Vincent machte ein abfälliges Geräusch. „Es ist eine Katastrophe. Es wird uns noch allen das Leben kosten!“, spie er ihr entgegen.
Daria spürte Hitze in sich aufsteigen und die Entrüstung wurde allmählich von Ärger verdrängt. Wie konnte er nur so von ihrem Baby sprechen? Empfand er denn gar nichts anderes als Abneigung? „Sag so etwas nie wieder!“ Darias Hände waren zu Fäusten geballt und ihr Atem ging schwer.
Da war sie. Die Wut, die auch Vincent erfüllte. Die Wut auf sein Schicksal, die, seit er denken konnte, ein Teil von ihm war.
„Weißt du, wie ich mich gefühlt habe, als ich erkennen musste, dass du und dein Vater mich belogen und ausgenutzt habt? Ihr habt mich auf die perfideste Weise hintergangen, die ich mir vorstellen kann.“
Die Worte trafen Vincent direkt ins Herz. Er wusste, dass Daria ihm zwar längst verziehen hatte, doch es gab eben Dinge, die man nie wieder vollkommen gutmachen konnte.
Daria schnaubte wütend und redete sich weiter in Rage. „Ich war am Boden zerstört und trotzdem habe ich dich geliebt und gewollt! Als meine Mutter …“ Sie schluckte schwer. „Als sie mir diese Verletzung zugefügt hatte und klar wurde, dass ich nicht mehr Teil der Prophezeiung sein konnte, ist etwas in mir zerbrochen. Nur meine Gefühle zu dir haben mich über Wasser gehalten. Und du!“ Daria schrie jetzt fast.
Vincent wappnete sich für ihre nächsten Worte.
Zitternd atmete sie ein. „Du hast mich geheilt.“ Nun lag eine plötzliche Sanftheit in ihrer Stimme, die Vincent aufblicken ließ. Ihre meeresblauen Augen, diese Augen, die ihn von Anfang an in ihren Bann gezogen hatten, strahlten einen warmen Glanz aus. Etwas löste sich in Vincent und floss siedend heiß durch seine Adern.
„Ich weiß nicht wie, aber ich weiß warum. Es ist richtig! Er ist richtig“, sagte sie mit Überzeugung. Zaghaft streichelte sie selbst über ihren Bauch, während sie auf Vincent zukam.
„Es ist unsere Bestimmung, Vinc. Wir schaffen das. Gemeinsam. Du und ich und …“ Langsam, so als wollte sie ihn nicht verschrecken, griff sie nach seiner zitternden Hand und legte sie auf ihren Unterleib.
Eine prickelnde Wärme breitete sich unter seinen Fingern aus. Dasselbe Gefühl bahnte sich auch den Weg aus seinem Inneren an die Oberfläche. Der spärlich beleuchtete Schlafraum wurde von einem stetig heller werdenden Glühen erhellt. Vincent spürte seine Kräfte auf eine unbeschreibliche Art und Weise. So intensiv und greifbar, wie er sie noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Das Licht bedeckte seinen ganzen Körper und floss sanft und gemächlich auch in Daria über. Sie atmete tief ein, als auch sie von dem überwältigenden Gefühl der Macht erfasst wurde. Ihr tiefgründiger Blick und die allgegenwärtige Präsenz der Elemente fesselten Vincent.
Als würde Daria selbst ihn berühren, strich ein Windhauch über sein Gesicht, erfasste sein Haar und verwehte auch Darias blonde Mähne. Der Geruch nach Regen lag in der Luft und Vincent war, als könnte er das rhythmische Prasseln eines Schauers hören. Er lachte ungläubig auf, als sich ein knisterndes Prickeln über seinen Körper ausbreitete. Darias Blitz vereinigte sich mit dem Glühen seiner Kräfte. Es fühlte sich so gut an. So unglaublich und absolut.
Daria hatte recht. Es war ihre Bestimmung. Dieses Kind. Ihr Kind, entsprungen aus dieser überwältigenden Macht, die sie beide erfüllte.
„Es ist fantastisch.“ Eine bekannte Stimme drang wie durch einen Schleier in Vincents Bewusstsein. Zeitgleich mit Daria drehte er sich zur Tür und der Zauber verebbte. Vincents Hand glitt von Darias Bauch. Sein Glühen verlosch ebenso wie Darias Blitz.
Sophia stand in der Tür. Sie stützte sich gegen den eisernen Rahmen, als könnte sie sich nicht allein aufrecht halten. Die Augen hatte sie weit aufgerissen. „Ihr …“, setzte sie an, unterbrach sich wieder und fuhr sich fahrig über das gerötete Gesicht. Langsam schien sie sich wieder zu fangen. „Ich kann einfach nicht glauben, dass es wirklich passiert“, sagte sie matt und ein seliges Lächeln erhellte ihre Züge.
„Das tut es“, hörte Vincent sich selbst sagen und sah Daria fest in die Augen. Er würde kämpfen. Für Daria und für seinen Sohn.
„Der Arzt ist eingetroffen“, sagte Sophia und bedachte die beiden mit einem ehrfurchtsvollen Blick, als sie Hand in Hand an ihr vorbei zur Tür hinausschritten.