Langsam gingen sie, in der späten Nachmittagssonne, die breite Auffahrt zum Schloss wieder herunter. Unten angekommen waren es nur noch wenige Hundert Meter bis zu dem Ausgang des Parks, der sie in Richtung ihres Hotels führte. Außerhalb der Parkbegrenzung umhüllte sie sofort wieder der stetige Geräuschpegel der Großstadt.
Cassandra hatte noch das wunderschöne Kleid von Erzherzogin Carlota vor Augen, als sie wieder, gemeinsam mit ihren Eltern, die Hotellobby betrat. Sie durchschritten die Lobby in Richtung Hotelrestaurant und setzten sich dort an einen Tisch. „ Du kennst Dich doch mit den mexikanischen Speisen aus. Was können wir essen?“, fragte Lissi hungrig. „Ich möchte auf jeden Fall etwas mit Fleisch“, meldete sich auch ihr Vater zu Wort.
Cassandra lächelte geschmeichelt und überlegte kurz, dann bestellte sie für das Abendessen Frijoles, ein Bohnenmouse und Guacamole, einen Avocado Dip, dazu gab es Fleisch mit Paprikagemüse sowie Tortillas satt. Als Getränk bestellte sie ein mexikanisches Bier. Sie freute sich auf den mild herben Geschmack, des mexikanischen Bieres. Doch ihr Vater rümpfte nur die Nase, ihm war das mexikanische Bier nicht kräftig genug. Trotzdem bestellte auch er ein Bier.
Ihre Eltern hatten ihren Essensvorschlag angenommen und so aßen sie alle drei das gleiche. Ihre Mutter lernte die Aussprache einiger Essenszutaten auf Spanisch. „Wie spricht man das Wort für Bohnenmouse noch aus?“ Cassandra lächelte geduldig und sprach es ihrer Mutter noch einmal vor. Ihr Vater freute sich indes über die große Portion Fleisch auf seinem Teller. Beide Eltern genossen ihre Mahlzeit, auch wenn sie ungewöhnlich gewürzt war. Cassandra freute sich, denn auch ihr hatte das Essen geschmeckt.
Einige Zeit später lag Cassandra dann endlich wieder in einem richtigen Bett. Im Flugzeug hatte sie zwar auch geschlafen, aber ihr Nacken und Hals waren noch immer etwas steif von der unnatürlichen Körperhaltung, die sie im Flugzeug eingenommen hatte. Entsprechend freute sie sich als sie am nächsten Morgen erholt und ohne steifen Nacken und Hals aus dem Bett aufstand. Sie duschte und zog sich neue Kleidungsstücke an. Frisch und munter erschien sie am Frühstückstisch. Fröhlich gab sie erst ihrer Mutter und dann ihrem Vater einen Kuss auf die Wange.
„Was möchtet Ihr frühstücken“, fragte sie nun fröhlich lächelnd. Während ihre Eltern dann Toast mit Butter und Marmeladen zum Frühstück bestellten, aß Cassandra Rühreier mit Tomaten, Zwiebeln und Speckstückchen. Sie erhielt eine große Portion und war begeistert. Dazu gab es Kaffee und Fruchtsäfte.
„Ich verstehe nicht wie Du so früh am Morgen schon etwas Herzhaftes essen kannst, Cassandra“, wunderte sich ihre Mutter. „Dieses Rührei mit Speckstückchen liegt das dann nicht viel zu schwer in Deinem Magen?“ fragte Lissi weiter. „Nein, so viel Speck ist es nicht, aber es macht statt. Außerdem schmeckt es gut.“ Ergänzte Cassandra und lächelte zufrieden.
Noch während des Frühstückes machte Cassandra Vorschläge, was sie sich ansehen sollten. Bis zum Nachmittag und dem Moment in dem Michael sie abholen würde, war noch viel Zeit. Lissi und Robert konnten sich für die Besichtigungsvorschläge ihrer Tochter begeistern. Daher verließen sie direkt nach dem Frühstück gemeinsam das Hotel.
Sie nahmen die U-Bahn zum Zócalo. Zwar war Cassandra es durchaus gewohnt mit der U-Bahn zu fahren, doch die Metro, wie die U-Bahn in Mexiko-Stadt hieß, war nicht zu vergleichen mit dem Hamburger Verkehrsnetz. Hier war alles viel größer und weitläufiger und Cassandra musste genau hinschauen, um auch genau in die richtige Metro einzusteigen.
Zum Glück war es schon nach 10 Uhr morgens als sie ihren Ausflug zum Zócalo starteten, daher war die Metro nicht so voll. Sie fuhren nur sieben Stationen mit der Metro. Beim Aussteigen kam ihnen bereits ein warmer Wind entgegen. Trotzdem mussten sie noch einige Flure entlang und Treppen hinaufgehen, bis sie wieder die wärmende Sonne des schönen Tages auf ihrer Haut spürten.
Der Zócalo, der eigentlich „Plaza de la Constitución hieß, lag vor ihnen. Der Platz war für den Autoverkehr gesperrt und so konnten die Menschen ihn, in alle Richtungen überqueren, ohne auf die Autos achten zu müssen. Der Platz wurde eingerahmt durch den Nationalpalast, indem sich auch die Amtsräume des mexikanischen Präsidenten befanden und der in seinem Eingangsbereich riesige Wandgemälde von Diego Rivera aufwies. Daneben erhob sich die beeindruckende Kathedrale von Mexico-Stadt mit zwei Türmen, einer Kuppel und einem mächtigem Eingangsportal. Zwischen Nationalpalast und Kathedrale lag der Platz der drei Kulturen. Eine Ausgrabungsstätte für Monumente aus der Zeit der Azteken. Die verbleibenden beiden Seiten des Platzes wurden von alten Handelshäusern aus der Zeit der Spanier eingerahmt, in denen sich jetzt Restaurants, Geschäfte und Büros eingerichtet hatten.
„Der Platz ist ja riesig“, entfuhr es Robert als er am Rande des Platzes stand. „Stimmt“, bestätigten Cassandra und Lissi wie aus einem Mund. „Nun stell Dir diesen Platz am 16. September vor, wenn die Mexikaner hier ihren Nationalfeiertag begehen. Er ist dann völlig überfüllt mit Menschen, die jubeln und singen.“ Cassandra lächelte als sie sich an den Nationalfeiertag erinnerte, an dem sie in dieser Stadt teilgenommen hatte. Lissi und Robert sahen in Cassandras Gesicht und bemerkten, dass dieses Erlebnis der Teilnahme am Nationalfeiertag einen nachhaltigen Eindruck bei ihrer Tochter hinterlassen hatte.
„Nur gut dass Dir damals nichts passiert ist.“ Bemerkte Lissi. „Bei so vielen Menschen kann immer jemand dabei sein der anderen schadet“, mit ihrem zweiten Satz riss sie Cassandra endgültig aus ihren Erinnerungen. „Aber Mama, Michael war doch bei mir und Du weißt doch, dass er immer gut auf mich aufpasst“, sie lächelte, weil sie sich schon auf den Moment am Nachmittag freut, an dem sie ihren Bruder wiedersehen würde.
Inzwischen hatten sie den Nationalpalast erreicht. Sie durchschritten den vorderen Torbogen und gingen die dahinter seitlich an der Wand gelegene Treppe nach oben zum Wandelgang des 1. Stockwerkes. Die Polizisten am Eingang hatten sie ohne weiteres durchgelassen, da sie ganz offensichtlich nur Touristen waren, die sich die Wandgemälde von Diego Rivera anschauen wollten.
„Das sind also die berühmten Wandmalereien von Diego Rivera. Wer war das noch?“, fragte Robert seine Tochter. „Das war ein Maler, der sich auch politisch engagiert hat“, antwortete Lissi, die stolz war, ihr angelesenes Wissen aus dem Reiseführer weitergeben zu können. „Genau“, bestätigte Cassandra. Dann ergänzte sie, „er war mit Frida Kahlo verheiratet, einer großen mexikanischen Malerin. Ihre Bilder sind gegenständlich und sehr ausdrucksstark. Anfangs war sie seine Schülerin. Dann hat sich Diego in sie verliebt. Sie haben geheiratet. Beide waren künstlerisch sehr aktiv, was zu Streitigkeiten führte. Doch ihre Ehe zum Scheitern brachte ihre Unfähigkeit Kinder zu bekommen und Diegos ständige Untreue. Frida erlitt als junges Mädchen einen schweren Unfall, den sie nur knapp überlebte und an dessen Folgen sie ihr Leben lang litt. Eine Folge des Unfalles war es auch, dass sie keine Kinder bekommen konnte. Sie ließen sich scheiden. Blieben aber ihr Leben lang mit einander verbunden bis Frida starb.“
Beeindruckt von Cassandras Wissen, standen ihre Eltern staunend vor ihr. Dann erklärte Cassandra verschiedene Teile von Diego Riveras Wandmalerei. Es waren Bilder vom Kampf der Azteken gegen die Spanier und weitere Szenen bis zur mexikanischen Revolution in bunten Farben zu sehen. Nachdenklich verließen Cassandra und ihre Eltern dann wieder den Nationalpalast.
Zurück auf der Straße schien ihnen die Sonne auf den Rücken. Nur wenige Touristen kamen ihnen entgegen, als sie in Richtung Platz der drei Kulturen am Zocaló entlang gingen. Zum Platz der drei Kulturen erklärte Cassandra ihren Eltern, dass „1978 durch Zufall bei Bauarbeiten die Überreste von Bauten der Azteken gefunden wurden. Die Ausgrabungen dauern bis heute an. Der Platz hat seinen Namen durch die Überreste der Bauten der Azteken, durch die alte Kirche, die von den Spanier im 16. Jahrhundert erbaut wurde und wegen der neueren Gebäude aus dem 20. Jahrhundert.“ Sie lächelte ihre Eltern fröhlich an. Es machte ihr sichtlich Spaß, sich als Stadtführerin zu betätigen. „Ich hätte meinen Reiseführer gar nicht lesen brauchen“, protestierte Lissi scherzhaft, als Cassandra ihre Erklärungen beendet hatte. Cassandra