„Stell die Zahlungen ein. Wir brauchen sie nicht mehr.“
„Im Normalfall werden sie sich selbst auflösen, schließlich können sie die Volksabstimmung nicht unterstützen. Sie würden sich ja den Boden unter den Füßen wegziehen“, sagte Sara. Sie war von Carstheims ältere Schwester und auch wenn sie kein unbedingter Freund von den Plänen ihres Bruders war, stand sie zu ihm.
„Ab jetzt hängt alles davon ab, dass die Politiker und Industriellen, die uns ihre Unterstützung zugesagt haben, bei der Stange bleiben“, sagte Kai-Uwe Fransson. Der Vorzeige-Schwede war Jurist und Verhandlungsführer der Bühler-Firmengruppe, wenn es um Firmenübernahmen ging.
„Die Meisten stecken schon zu tief drinnen. Zum hundertsten Mal, sie werden auf unserer Seite sein“, erwiderte von Carstheim unnachgiebig.
„Die Wenigsten wissen, wie weit unsere Forderungen gehen. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie immer noch zu uns halten, sobald sie über die gesamte Tragweite der Kampagne aufgeklärt worden sind“, gab Kai-Uwe noch zu bedenken.
„Im Gegenteil, sie werden uns sogar vorwerfen, dass sie zu spät informiert wurden“, sagte von Carstheim gereizt. Zwar beherbergte die Volksabstimmung verschiedene unkalkulierbare Risiken, er hatte aber keine Zeit mehr für Zweifel oder gar Angst.
„Viel wichtiger ist, dass es uns zügig gelingt, einen Teil der Bevölkerung zu überzeugen.“
„Schindling wird mit aller Macht gegen uns vorgehen. Was, wenn er uns festnehmen lässt?“, erwiderte Tim Martin. Er war von Carstheims Mann fürs Grobe.
„Vergiss Schindling. Er muss eine neue Regierung bilden. Das wird dauern, vorerst kann er uns nicht gefährlich werden.“
Von Carstheims markantes Gesicht zeigte nun ein selten gewordenes Lächeln, das seine Grübchen hervorhob.
„Nicolas, bekommst du die Volksabstimmung rechtzeitig hin? Ihr habt nur viereinhalb Wochen Zeit“, sagte Sara. Ihre Besorgnis galt besonders den technischen Schwierigkeiten.
„Wird klappen. Wir können auf genügend Freiwillige zurückgreifen.“
„Was geschieht, wenn es wirklich schiefgeht? Wandern wir aus oder lassen wir uns wegen Hochverrats vor Gericht stellen?“ Jeremy grinste Sara breit an.
„Wäre von Vorteil, wenn Adrian sämtliche Gefängnisse des Landes kauft. Man verbringt seine Zeit doch lieber in den eigenen vier Wänden.“ Nicolas grinste ebenfalls.
„Es kann nicht schiefgehen.“
„Wieso?“, fragte Jeremy für die Gruppe.
„Deutschland ist am Ende. 4,4 Millionen Arbeitslose und die höchste Steuerlast der Welt sprechen für sich. Das Übrige erledigt die Verschuldung, sie lässt der Regierung keinen Handlungsspielraum. Im europäischen Vergleich wächst die Armut in Deutschland am drittschnellsten. Nur Bulgarien und Rumänien liegen in dieser Statistik noch vor uns und das seit Merkel. Glaubt mir, die Menschen werden uns folgen. Die Zahl der Armen und Mittellosen ist explodiert. Deutschland ist zerstritten. Reich gegen Arm, Links gegen Rechts und die Mitte gegen Alle. Wären Deutschland und Europa in gutem Zustand, hätten wir keine Chance. So aber können wir es schaffen. Sollte es uns also gelingen, die Entscheidung in die Hände der Bürger zu legen, ist der Erfolg garantiert. Doch genug davon. Ich muss zurück auf die Party. Schreiber trifft jeden Moment ein und der Stuttgarter Oberbürgermeister will mich sprechen. Eva.“ Von Carstheims Blick suchte sie. „Für dich habe ich allerdings noch eine heikle Aufgabe.“
„Uns bleibt scheinbar nichts anderes übrig, als einen politischen Krieg zu beginnen, egal was es kostet“, sagte Nicolas und zusammen mit Kai Uwe, Tim und Sara machte er sich auf.
„Und das mir, wo ich die deutsche Politik auf den Tod nicht ausstehen kann. Sie ist zu vaginal. Man steckt gerne drinnen, weil es sich lohnt. Von Außen betrachtet ist sie aber kein schöner Anblick. Eva mach uns bitte keine Schande. Adrian ist in letzter Zeit anspruchsvoll.“ Jeremy hatte sich Nicolas angeschlossen, hielt aber kurz am Snookertisch und mit dem Handrücken gab er der schwarzen Kugel einen leichten Schubs. „Bis gleich.“
„Ja bis gleich.“
Eva machte sich lang und mit einem Fingerstoß beförderte sie die schwarze Kugel in die linke Seitentasche.
„Du hast das Loch doch angepeilt“, sagte von Carstheim. „In der Situation, in der wir uns befinden, könnte schon der kleinste Fehler eine Kettenreaktion auslösen.“
„Sie wünschen, Herr Freiherr?“, erwiderte Eva. Für sie war weder die Zeit des Aberglaubens noch die der Witze angebrochen.
„Warum so zynisch?“ Von Carstheim nahm die rosa Kugel und zwei rote vom Tisch.
„Aber egal machen wir es kurz. Seit geraumer Zeit beschäftigen sich verschiedene Gelehrte im Auftrag der Bühler Firmengruppe damit, ein neues Steuermodell zu entwickeln. Sie haben drei Vorschläge ausgearbeitet. Ich will, dass du morgen früh nach Karlsruhe aufbrichst. Ich brauche jemanden mit gesundem Menschenverstand unter all den Gelehrten.“ Von Carstheim hatte angefangen mit den roten Kugeln zu Jonglieren, als er die rosa Kugel ins Spiel brachte, kollidierte sie mit einer roten. Sein Versuch, die Kugeln einzufangen, misslang. Er griff ins Leere und die Kugeln fielen auf den Tisch. Die roten blieben an der kurzen Bande liegen und die rosafarbene rollte an die lange Bande. Ärgerlich packte von Carstheim die roten Kugeln und steckte sie in eine Ecktasche.
„Politisch war das mehr als ein schlechtes Omen.“ Eva hatte nicht widerstehen können, Adrian zu reizen.
„Und das bedeutet?“
„Dass du die SPD in die Tasche gesteckt hast. Die Linke ist dir jedoch entglitten.“
„Daran ist nur der grüne Filz schuld.“
„Machst du es dir nicht zu leicht?“ Eva stellte ihren Zeigefinger auf die gelbe Kugel. „Die FDP und die Braune sind auch noch im Spiel.“
„Wenigstens hat der Wahlausgang dafür gesorgt, dass die Schwarze vom Tisch ist.“ Von Carstheim stülpte seine Hand über die Tasche, in der die schwarze Kugel ruhte.
„Werden die farbigen Kugeln nicht so lange zurück auf den Tisch gelegt, bis die letzte Rote versenkt wurde?“ Eva stupste die gelbe Kugel an und über den Tisch rollte sie gegen die braune. „Glaubst du wirklich, dass du voraussagen kannst, wie das Spiel ausgeht? Nicht immer prallen die Kugeln in die vorberechnete Richtung.“
„Ach ja.“ Von Carstheim fing die gelbe Kugel ab und demonstrativ stellte er sie auf den Spot, auf dem normalerweise die schwarze lag.
„Farben haben noch nie den Ausgang eines politischen Spieles entschieden. Es kommt nur darauf an, wer den Queue in der Hand hält und das bin ich.“
Und gerade weil Snooker eine nette Metapher für die deutsche Politik darstellte, nahm von Carstheim sich vor, die Roten so oft wie nötig zu versenken. Eva hatte mit ihrer Anspielung recht, nur noch Schindling konnte ihm gefährlich werden.
Aufgelöst atmete der Stuttgarter Oberbürgermeister ein und aus. Seine Krawatte hing schief. Auf der Suche nach von Carstheim hatte er nervös an ihr gezerrt. Entschlossen stellte er sich dem Freiherrn in den Weg.
„Herr von Carstheim ich wurde gerade aufgefordert, sie bei etwas zu unterstützen, was einem Hochverrat gleichkommt“, sagte er gehetzt.
„Nur wenn die Menschen mit unserem Vorschlag nicht einverstanden sind, kann man über Hochverrat reden. Sollten die Bürger aber einsteigen, sprechen wir über eine historische Begebenheit. Und zu solch einem geschichtsträchtigen Ereignis will doch jeder sein Scherflein beitragen?“
Von Carstheim redete wie ein Mann, der einen Ortsunkundigen, zum fünften Mal den Weg erklärte und dessen Geduld unerschöpflich war.
„Sie