Die Freistaaten. Jens Zielke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jens Zielke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738089738
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schon zu viel deutsches Geld in den verschiedensten Rettungsschirmen versickert. Außerdem forderten sie, dass die BRD sich nach dem Schweizer Vorbild abschotten sollte. Der Kanzler und er hatten diese Bestrebungen jedoch nicht für voll genommen. Für sie waren die Vereine Trittbrettfahrer der AfD und gleichgelagerter rechter Parteien.

      „In den zurückliegenden zwölf Monaten wurden weitere zweihundert Vereine gegründet. Sie alle zeichnen sich durch schier unerschöpfliche Geldmittel aus. Die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen. Es genügt, wenn Sie die Zusammenfassung lesen. Beachten Sie, wen die Präsidenten der großen Clubs alles besucht haben.“ Fröhlich drehte den Bericht so, dass der Innenminister ihn lesen konnte.

      „Es ist natürlich ungewöhnlich, dass die Treffen erst in den letzten zehn Tagen zustande kamen. Das muss aber nichts bedeuten. Es kann sich auch um das Einfädeln sozialer Projekte handeln“, sagte der Innenminister beim Lesen der Zusammenfassung.

      „Es kann alles vollkommen harmlos sein. Aber es kann auch nicht schaden intensive Nachforschungen zu tätigen.“

      Der Innenminister war alles andere als überzeugt von dem, was er gelesen und gehört hatte. Fröhlich besaß jedoch ein gutes Gespür für solche Dinge. Beim Kampf gegen die Salafisten und die rechte Szene, insbesondere dem NPD-Verbot, hatte er zählbare Erfolg erzielt. Er rechnete es Fröhlich hoch an, dass er mit dafür verantwortlich war, dass der Bundesgerichtshof die NPD für illegal erklärt hatte. Dies war ein Erfolg gegen die Rechten des Landes, der nötig geworden war. Wie ein Geschwür breitete sich das rechte Gedankengut in der verarmten Bevölkerung aus. Fürs Erste wollte er Fröhlich also gewähren lassen.

      21. SEPTEMBER | Stuttgart

      Wahlabend | 19 Uhr

      „Laut dieser Hochrechnung kommen die Grünen auf 14,9 Prozent.“

      Jeremy Weinhabers Daumen senkte sich auf den Lautstärkeregler des Radios. Die Moderation verkam zu einem Hintergrundflüstern, das sich mit der Lüftung seines Mercedes vermischte. Er war unterwegs zum Bühler Stammhaus. Bühler war der Geburtsname von Adrian von Carstheims Mutter. Fünfzehnjährig hatte Adrians Urgroßvater die Bühler Firmengruppe 1919 gegründet und begünstigt durch die Nachkriegszeit hatte sich die ehemals kleine Nagel- und Schraubenfabrik zu einem weltumspannenden Unternehmen entwickelt. Vor vier Jahren hatte Adrian die Firmenspitze von seinem Großvater übernommen und in dieser kurzen Zeitspanne gelang es ihm, die Firmengruppe zu Europas mächtigstem Privatunternehmen auszubauen. Geholfen hatte ihm hierbei die letzte Weltwirtschaftskrise. Der Stabilitätspack, den Deutschland mit einem Großteil seines Geldes abgesichert hatte, war zusammengebrochen. Europa und Amerika waren so gut wie Bankrott. Dank der Weitsicht seines Großvaters verfügte die Bühler Firmengruppe aber über enorme Bargeldreserven. Ausgestattet mit dieser Kaufkraft hatte Adrian eine Firma nach der anderen übernommen und jede einzelne hatte sich ausgezahlt.

      Doch all diese geschäftlichen Erfolge waren seit einer Stunde hinfällig. Das heutige Wahlergebnis würde die deutschen und europäischen Weichen neu stellen. Adrian plante ein Unternehmen, das selbst jede noch so komplizierte Firmenübernahme so leicht wie das Umwerfen eines schlecht aufgestellten Weihnachtsbaumes erscheinen ließ. Der von ihnen ersehnte Linksrutsch hatte stattgefunden.

      Wollen wir mal hoffen dass Adrian weiß was er macht, dachte Jeremy. Etliche Trompetenbäume säumten die Auffahrt, in die er fuhr. Die Bäume vermittelten den Besuchern einen mediterranen Eindruck. Parallel zum letzten Baum hielt er den Mercedes an. Vor ihm erhob sich das völlig in Weiß gehaltene Haus; durch den Anstrich glich es entfernt dem amerikanischen Präsidentensitz. Adrian hasste es, wenn er auf diese Ähnlichkeit angesprochen wurde. Nichts lag ihm ferner, als Dinge zu kopieren. Er wollte neue Wege gehen, was ihm bisher auch gelungen war. Kein deutscher Geschäftsmann hatte in der Vergangenheit so viel riskiert und gewonnen wie er.

      Jeremy tippte aufs Gaspedal und im Schritttempo rollte der Mercedes über den Parkplatz. Neben einem rothaarigen Mann hielt er an und stieg aus.

      „Herzlich willkommen“, sagte der Parkwächter und im Gegenzug für die Wagenschlüssel erhielt er eine nummerierte Plakette.

      „Hast du die Hochrechnungen mitbekommen?“, wand Jeremy sich an Eva, die an der Treppe stand, die zum Haus führte. Sie musste direkt vor ihm eingetroffen sein.

      „Bin auf dem neusten Stand“, antwortete Eva.

      Jeremy steckte die Plakette ein und begab sich zu ihr.

      „Ich weiß nicht, wie er es hinbekommen hat, aber das Ergebnis ist geradezu perfekt“, sagte er.

      „Adrian ist und bleibt ein Meister der Manipulation.“

      „Oh ja. Seine Voraussicht ist beinahe gespenstisch.“

      Die Stufen hinauf, starrte Jeremy zum Haus, von dem aus Europas Schicksal neu bestimmt werden sollte.

      „Wird trotzdem nicht einfach was er vorhat“, flüsterte er im Wissen auf das, was auf sie zukam.

      „Die AfD hat 5,8 % erhalten, gerade genug aber nicht zu viel. Das rundet den Wahlabend ab.“

      Vier Säulen flankierten das Haus durch sie und die Eingangstür gelangten Jeremy und Eva ins Atrium. Mehrere hochrangige baden-württembergische Politiker standen um den Brunnen, an dem sie sich gestern siegessicher von Adrian verabschiedet hatten. An den Gesichtern der Politiker war zu erkennen, dass die Wahl nicht in ihrem Sinne verlaufen war. Jeremy hätte ein Vermögen darauf gesetzt, dass die meisten mit dem Gedanken spielten, sich in die mannshohen Nägel und Schrauben zu werfen, die aus dem Brunnen herauswuchsen. Aus unzähligen Düsen versorgten die Nägel und Schrauben den Brunnen mit Wasserfontänen.

      „War ein ordentliches Gemetzel, das an der Wahlurne stattgefunden hat.“ Zähfließend löste Jeremy sich von dem, was sich am Brunnen abspielte.

      „War so gedacht“, sagte Eva.

      „Kann man sagen.“

      Jeremy lief vom Brunnen zu einem aus rotem Granit gehauenen Türbogen. Von diesem aus konnte er in den Saal sehen.

      „Deprimierte CDU/CSU- und FDP-Wähler so weit das Auge reicht.“ Hämisch sah Jeremy sich im Saal um, der dem Wiener Opernball einen geeigneten Rahmen geboten hätte.

      „Wir sollten uns beeilen“, sagte Eva. „Die anderen warten bereits.“

      „Ja doch, ja doch.“

      Jeremy ging jetzt voran in den Saal. Eva konnte so feststellen, welchen Kontrast er zu den schlecht gelaunten Wahlverlierern bildete. Jeremy trug Jeans und ein blaues Hemd. Gelocktes braunes Haar ruhte auf seinen Schultern. Er verkörperte den Rebellen in Reinkultur und hinter ihm schlängelte sie sich durch die Menschen auf die breitgeschwungene Marmortreppe zu. Vom Ende des Saals führte diese in den ersten Stock.

      „Komm“, sagte Eva Maria und schubste Jeremy die Treppe aufwärts. Von der ersten Stufe aus hatte der erneut das Treiben im Saal beobachtet.

      „Du gönnst mir auch keinen Spaß.“ Widerspenstig schritt Jeremy die Treppe aufwärts.

      „Du kannst dich noch stundenlang an ihnen ergötzen.“

      „Wahlniederlagen sind das Salz in der Suppe der Demokratie.“ Auf der obersten Stufe angekommen stemmte Jeremy sich gegen Evas Druck und er hielt sich am Geländer fest. „Was gibt es Geileres, als die Menschen verlieren zu sehen, die ihr Gehalt selbst bestimmen. Das kann der geschröpfte Bürger nur alle vier Jahre miterleben.“

      „Ich kenne deinen Standpunkt zur Genüge.“ Eva löste Jeremys Hand vom Geländer und bugsierte ihn unnachgiebig ins Billardzimmer. Das vollkommen in Holz gehaltene Zimmer strömte eine freundliche Wärme aus.

      „Wo wir endlich vollständig sind, kann ich beginnen.“ Auffordernd wurden sie von Adrian, der an der kleinen Bar stand, angesehen und sie gesellten sich grußlos zu der kleinen Versammlung, die aus Adrians engsten Vertrauten bestand, an den Snookertisch.

      „Deutschland hat