Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, bleckte Lebœuf grinsend seine Zähne und lachte Carmen unverschämt über den Tisch hinweg an.
»Nichts«, antwortete er. »Noch nicht! Aber es sieht so aus, als ob es dort tatsächlich Gold gibt.«
Annemarie Bodenhausen hatte sich zwischen ihren Mann und Lebœuf gezwängt. Etwas musste geschehen sein, denn ihre Augen hingen wie gebannt an Lebœufs Lippen. Wie zufällig berührte seine Hüfte ihren Ellbogen, doch sie machte keinerlei Anstalten sich dieser Berührung zu entziehen. Ein schneller Seitenblick verriet mir, dass auch Ernst Bodenhausen dieses Detail nicht entgangen war, denn er bekam einen knallroten Kopf. So gut es ging, versuchte er diese scheinbar unbedeutenden Zufälligkeiten zu ignorieren, doch in ihm kochte es.
Lebœuf indes sprach weiter, als wäre nie etwas geschehen.
»Wo es Gold gibt, entstehen Orte, in denen man Geschäfte treiben kann. Heute ist es ein mieses Zeltlager mit einer Handvoll Digger und einigen verwegenen Abenteurern, aber morgen vielleicht schon sind Zehntausende dorthin unterwegs und die Bibel irrt, wenn sie sagt, die Letzten werden die Ersten sein. Wenn Sie mich fragen, so sind die Ersten diejenigen, die ans große Geld kommen, die besten Claims abstecken und, wie in eurem Fall, die Ersten, die den Menschen was bieten können und somit berühmt werden.«
Man konnte von Lebœuf halten, was man wollte, aber eines konnte er sicherlich. Gut und überzeugend reden!
Phillip, Mary und Jo Ann tanzten vor Freude.
»Wir werden berühmt, berühmt. Ist das nicht aufregend!«
Ich unternahm nichts, um ihre Freude zu dämpfen, denn auch ich schwebte auf einer weißen Wolke. Margaret und Julius hingegen gaben sich skeptisch, doch ihre Einwände gingen in der allgemeinen Euphorie unter.
Es war gegen achtzehn Uhr, und die Sonne berührte bereits den Horizont. Ihre langen, grellen Zungen brachen sich auf dem schlammigen Gewässer, das sich an dieser Stelle träge gab und nur langsam dahinfloss. Erst lange nach Einbruch der Dunkelheit begaben wir uns in unsere Zimmer.
Wir belegten vier Räumlichkeiten in der Etage direkt unter dem Deck. Darin war es stickig, voller Rauch und eng. Wie dieser Abend weiter verlief, so muss ich zu meiner Schande gestehen, wusste ich nicht mehr. Ich erwachte urplötzlich aus einer Art Tiefschlaf, weil die Detonation eines Schusses mein Trommelfell fast zum Platzen brachte, und ich war schlagartig nüchtern.
Aus einem Reflex heraus sah ich hinüber, dorthin, wo Carmen sich schlafen gelegt hatte. Ihr Bett war leer! Zeit darüber nachzudenken hatte ich wenig, denn plötzlich wurden im Flur Stimmen laut.
»Er hat mich angegriffen! Es war Notwehr!«
Es war Lebœufs Stimme. Sie klang ruhig, fast kalt.
Als ich aus dem Zimmer direkt in den Flur stürmte, war das Erste, was ich sah, eine Gestalt, die reglos am Boden lag. Über sie gebeugt Annemarie. Sie war halb nackt. Um ihre nackten Füße bildete sich ein kleiner roter See. Blankes Entsetzen lag in ihren vom Schlafmangel müden Zügen.
Daneben stand Lebœuf. Er hielt einen Revolver in seiner Rechten, aus dessen Mündung sich Rauch kräuselte. Er trug nur ein Handtuch um seine Hüften, welches er mit der Linken festhielt.
Man brauchte mir kein Bild zu malen, damit ich verstand, was geschehen war.
Für Ernst Bodenhausen kam jede Hilfe zu spät. An der Stelle, wo ich sein Herz vermutete, war ein fast faustgroßes Loch. Er musste sofort tot gewesen sein.
Offenen Mundes starrte ich den Franzosen an. Keine Spur von Reue oder von Mitleid war in seinen Zügen zu erkennen, nur üppige Selbstgefälligkeit.
Eine dunkle Vorahnung überfiel mich. Irgendwie bekam ich das beklemmende Gefühl, dass in diesem Augenblick ein Albtraum begonnen hatte, der mich nie mehr loslassen sollte. Zumindest aber fühlte ich tief in mir, dass eine Tür aufgestoßen wurde, die ins Unbekannte führte.
Auf Wunsch Annemaries wurde Ernst Bodenhausen noch am selben Tag auf dem linken Ufer des Missouri begraben. Die Zeremonie war schlicht. Zuvor hatte der Kapitän Lebœuf kurz ins Kreuzverhör genommen. Es stellte sich heraus – und Annemarie bestätigte dies unter Tränen –, dass Ernst Bodenhausen wohl mitten in der Nacht bemerkt hatte, dass seine Gemahlin nicht an seiner Seite lag. Daraufhin begab er sich mit nur einem Messer bewaffnet in Lebœufs Schlafgemach, wo er seine Frau in flagranti mitten im schamlosen Liebesspiel ertappte. Angeblich hatte er sich sofort auf Lebœuf gestürzt, worauf dieser sich lediglich verteidigt habe, mit anderen Worten: Er hatte Ernst Bodenhausen niedergeschossen wie einen räudigen Hund!
Als ich mich nach der Beerdigung ein letztes Mal umdrehte, erschauerte ich unwillkürlich. Ein hölzernes Kreuz mit den Initialen B.E. und der Jahreszahl 1862 thronte auf einem frischen, winzigen Erdhügel, und es war mehr als wahrscheinlich, dass noch in dieser Stunde eine Horde Coyoten oder ein einsamer Bär die letzte Ruhestätte des Deutschen auf der Suche nach dessen Fleisch umgraben würden, Amen!
Der Tag darauf war frisch. Ein ständiger Nordostwind blies unangenehm und ungewöhnlich kalt. Die Luft war trocken und klar. Wie üblich drängten sich um die Mittagszeit die Menschen auf dem Deck. Hin und wieder sah ich im Gewühl unseren Freund Lebœuf. Er diskutierte des Öfteren mit einem Halbblutindianer, der aussah wie jemand, der einem für ein Wenn und Aber die Kehle durchschneiden würde. Dieser Indianer hatte ein narbenübersätes Gesicht und schien sich über jeden, auf den sein Blick fiel, lustig zu machen. Lebœuf verhielt sich komisch. Sah er mich, lächelte er mir zwar freundlich zu, schien aber sonst seltsam abwesend. Je weiter wir Richtung Nordwesten kamen, desto düsterer wurden die Wolken am Horizont. Als ob der Mord an Bodenhausen – und für mich war es Mord – der Auslöser für eine ganze Serie von Unglücken gewesen wäre, von denen eines das nächste jagte. Einmal brach sogar Feuer an Bord der Chippewa aus. Da jeder den Anweisungen des Kapitäns folgte und der Besatzung half, wo es nur ging, kamen wir alle glimpflich davon. Irgendwie schafften wir es, dass das Feuer nicht auf den Teil des Bootes übersprang, in dem sich das Schwarzpulver befand. Diesen Augenblick hätte wohl keiner von uns überlebt, dennoch, knapp die Hälfte unserer Ausrüstung, so auch Seile und Kostüme, fiel den Flammen zum Opfer. Wieder einen Tag später wäre das Boot fast gekentert, so sehr wurde es von plötzlich auftretenden Stürmen hin und her geschüttelt, und dann, einen Tag darauf, fuhr es frontal auf eine Sandbank. Um das Malheur perfekt zu machen, brach unter der Besatzung eine mysteriöse Krankheit aus, die den Bootsbetrieb für einige Tage lahmlegte. Die Anzeichen dieser Krankheit waren ähnlich wie die der Blattern. Letztere hatten einige Jahre vorher in diesen Breiten schon gewütet. Laut dem Kapitän der Chippewa und wie Lebœuf auch meinte, seien damals Tausende von Indianern den Blattern zum Opfer gefallen. Nach Ablauf einer Woche zerschlugen sich jedoch unsere Befürchtungen, es waren wohl die verdorbenen Lebensmittel an Bord schuld gewesen, die Fahrt konnte weitergehen.
Irgendwann tauchte zu unserer Linken ein breiter Fluss auf, breiter jedenfalls als der Missouri.
»Das ist der Yellowstone«, sagte der Kapitän.
»Wie weit ist es noch bis Fort Benton?«, fragte ich ungeduldig, ohne weiter auf seine Feststellung einzugehen.
»Knappe 450 Meilen«, antwortete der Kapitän irritiert. »Das dauert noch ’ne Weile.«
Plötzlich kamen mir Zweifel.
»Sie kennen die Gegend bei Helena?«
Er nickte. »Kann man so sagen.«
»Kennen Sie auch einen Ort, den man Grizzly Gulch nennt?«
»Ja. Üble Gegend dort, wenn ich das wiedergeben darf, was man mir erzählt hat. Sie müssen wissen, dass der Missouri nur bis Fort Benton schiffbar ist, und ich werde den Teufel tun, mich von meinem Boot weiter zu entfernen, als ich spucken kann.«
Dann überlegte er eine Weile und nahm einen Bissen vom Kautabak, den er sich in die rechte Backe schob, und sah mich merkwürdig an.
»Wollen Sie von Helena aus dorthin? Zum Grizzly Gulch?«
Ich