»Wenn man die Wahrheit nicht wissen will, sollte man nicht danach fragen.«
Es waren die letzten Worte, die wir an diesem Tag bis zum Nachtlager von ihm zu hören bekamen, denn er spornte seinen Rappen an und ritt einfach davon.
Erst zwei Stunden später erschien er wieder und gab das Zeichen zum Aufbruch. Er schien die Entscheidung getroffen zu haben, uns bis zum Erreichen des ersten Biwaks völlig zu ignorieren, was uns nur recht sein konnte. Nichtsdestotrotz teilte er die Nachtwache ein, machte Feuer und suchte die Umgebung des Biwaks nach Spuren ab, wobei er seine eigenen sorgsam wieder beseitigte, bevor er zum Lager zurückkam.
Weites Land
Der nächste Tag verlief identisch. Alles, was wir von Lebœuf zu sehen bekamen, war sein breiter Rücken, als er der Kolonne knapp fünfzig Meter vorausritt. Er schwieg verbissen und ich glaubte zu spüren, dass eine gewisse Unruhe sich in ihm breitmachte. Es war eindeutig, dass er nach etwas Ausschau hielt, auf etwas wartete. Am Abend des dritten Tages schien er plötzlich wie ausgewechselt. Er betrat den Lichtkreis des Lagerfeuers mit drei Flaschen Whiskey und grinste über beide Backen.
»Heute vor siebenunddreißig Jahren genau auf den Tag wurde in Bordeaux ein Bastard namens Marc Lebœuf geboren, lasst uns das mit einem Becher Feuerwasser begießen.«
Es wurde ein ausgelassener Abend, an dem viel getrunken wurde. Selbst den Wachen, in dieser Nacht waren Kenneth, Phillip und einer der älteren Söhne der Bodenhausens an der Reihe, gestattete Lebœuf einen Becher vom recht guten, aber starken Getränk.
Annemarie spielte einige Stücke auf ihrer Geige und ihre beiden Töchter sangen dazu. Wir aßen Büffelsteaks, und merkwürdigerweise wurden unsere Becher nie leer. In der Mitte unseres Biwak-Platzes brannte ein loderndes Feuer. Der letzte Gedanke, an den ich mich erinnere, bevor ich betrunken zur Seite fiel, war, dass jeder im Umkreis von mehreren Meilen dieses Feuer sehen konnte.
Ich erwachte Stunden später mit einem brummenden Schädel. Mein Hals war rau wie ein Reibeisen, meine Lippen trocken und rissig. Ich war durstig und erhob mich. Auf dem Weg zu den Wasserfässern hielt ich vor einem Busch an und urinierte geräuschvoll. Obwohl es Februar und somit im tiefsten Winter war, schienen Mond und Sterne hell vom schwarzen Himmel, machten die Nacht zum Tag und es war gar nicht kalt. Dann hörte ich Stimmen.
»Marc ... Oh mein Gott!«
Es war kaum mehr als ein Flüstern.
Ich folgte den Lauten.
Hinter dem Busch, gegenüber der Stelle, an der ich uriniert hatte, war eine Decke ausgebreitet. Ein Mann, in dem ich unschwer Marc Lebœuf erkannte, lag mit heruntergezogenen Hosen auf einer Frau. Annemarie! Das war mein erster Gedanke.
Ich wollte mich gerade abwenden, als mein Blick auf einen weißen und unbedeckten Arm fiel. Ein Armreif aus Silber zierte das schmale Handgelenk.
Mir war plötzlich hundeelend zumute.
»Carmen?«
Benommen taumelte ich einen Schritt auf die beiden zu.
Der Franzose wandte plötzlich seinen Kopf. Er sah mich an und durch mich hindurch.
»Verpass ihm eins, Joey!«
Etwas in meinem Kopf explodierte plötzlich. Als ich wieder zu mir kam, lag ich mit dem Gesicht nach unten im Schneematsch. Ich hob meinen Kopf, versuchte es zumindest.
Carmen saß mir gegenüber. Sie trug Lebœufs Fellmütze, was ihr gut stand.
»Warum?«
Mehr als dieses Wort fiel mir nicht ein. In meinem Mund schmeckte ich Blut.
Einen Steinwurf entfernt fielen Schüsse. Jemand schrie vor Schmerz. Ein Mann lachte.
Carmen lachte ebenso. Mit einer abwertenden Geste streifte sie sich den Armreif ab und warf ihn vor mir in den Dreck.
»Er weiß wenigstens, was eine Frau will! Du bist schwach, ein Feigling!«
Es war ein Schlag ins Gesicht, doch nach dem, was ich gesehen hatte, bevor dieser Joey mich von hinten niederschlug, war’s mir egal.
Dieser Joey und drei andere Männer, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte, standen rauchend am Feuer und gafften grinsend zu uns herüber. Einer von ihnen streckte seine Zunge heraus und machte damit obszöne Bewegungen.
»Und die da ...«, er zeigte Daumen nach oben auf Carmen, »weiß, was uns Männern Spaß macht!«
Alle vier, die ganz eindeutig zu Lebœuf gehörten, lachten, während mein Herz im Sekundentakt starb.
Plötzlich erschien Lebœuf. In seiner Hand trug er einen ledernen Beutel. Mutters Diamanten!
Ich sah zu Carmen. Hatte ich gedacht, sie würde meinem Blick ausweichen, so sah ich mich wieder einmal getäuscht. Sie spuckte aus und zuckte nur mit der Schulter. Aus dem Nichts heraus bekam ich einen Lachkrampf. Ich lachte, bis nur noch ein heiseres Krächzen aus meiner rauen Kehle kam. Als ich den Kopf erneut drehte, sah ich im Schein des Feuers Kenneth, Paul, Phillip, Annemarie und die Töchter und Söhne der Bodenhausens und hörte schlagartig auf zu lachen. Sie alle lagen nackt im Halbdunkel. Man hatte ihre Hände auf dem Rücken gefesselt, einigen rann Blut ins Gesicht.
Lebœuf stellte sich neben mich und drückte mein Gesicht mit seinem Fuß tiefer in den Matsch.
»Bringt sie um! Alle!«
»He, he, Marc. Lass uns vorerst noch mal etwas Spaß mit den beiden Mädchen haben. Hatten wir schließlich lange nicht mehr, so was Niedliches.«
Der Druck in meinem Nacken ließ nach und ich wusste, dass ich jetzt und hier sterben würde. Bevor Lebœuf sein Messer, ein fürchterliches Bowie Knife, das wie ein Schlachtermesser aussah, zog, wandte er sich noch einmal an seine Killer.
»Gut! Danach aber lassen wir es aussehen, als ob’s die Injuns waren, wir haben schon genug Ärger am Hals. Nehmt eure Bowie-Zahnstocher, das ist am glaubwürdigsten.«
Mit einem Grinsen packte er sein Messer so fest, dass ich seine Knöchel an den Fingern weißlich schimmern sehen konnte, und dann beugte er sich über mich.
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