Die Tochter, die vom Himmel fiel. Jürgen Heller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jürgen Heller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738078244
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sie schon lange tot und würde es ja nicht sehen, hmm …"

      Karla scheint ja gut drauf zu sein, immer, wenn sie ihn derartig verkohlt. Sie weiß ganz genau, es gibt da so Knöpfe bei Bruno, wenn man daran dreht, kann es ganz schnell passieren, dass er die Fassung verliert. Das macht sie allzu gerne und Bruno, sonst nicht gerade auf den Mund gefallen, kann meist nicht kontern. Aber so geht es Männern, die immer und überall anständig und korrekt sein wollen, gerade auch im Umgang mit Frauen. Brunos Stimmung hat einen kleinen Dämpfer erhalten, was jetzt aber nicht so direkt die Schuld von Karlas Verarsche ist. Vielmehr ist es sein Unvermögen, seine wahren Gedanken zu kommunizieren, also wenn es um solche Themen geht. Wenn Bruno mit einer Frau zusammen ist, hat die schon die ersten drei Runden gewonnen, nur weil sie Frau ist, und Bruno hat auch schon oft genug durch KO verloren, keine Frage. Jetzt geht er doch noch einmal in sein Schlafzimmer und kontrolliert den Zustand etwas genauer. Prompt entdeckt er noch einige Staubfäden an der Decke über den Heizkörpern und an der Lampe, also noch einmal die Höllenmaschine anwerfen und den saugenden Rüssel an die entsprechenden Stellen halten, frische Bettwäsche kommt auch zum Einsatz. Dann stellt er das Fenster auf Kipp, frische Luft, und schließt die Zimmertür.

       So, jetzt ist aber wirklich alles erledigt. Im Prinzip könnten jetzt alle kommen. Irgendwie bin ich doch etwas aufgeregt, und das in meinem Alter. Aber wie heißt es so schön? Mit sechsundsechzig Jahren, da fängt das Leben an … Na, da bin ich aber mal gespannt.

      Bruno wirft einen Blick in den Kühlschrank und nimmt die angefangene Weißweinflasche heraus. Gerade noch ein Glas drin. Dann macht er es sich auf seinem Lieblingssessel bequem und blättert zum x-ten Male in dem Fotokatalog herum, der seit mindestens drei Wochen auf dem Tisch liegt. Immer wieder bleibt er an der gleichen Kamera hängen, dabei kennt er die Technischen Daten und den Funktionsumfang inzwischen in- und auswendig.

      Bruno muss eingenickt sein, jedenfalls haben sich die Zeiger auf der Uhr fleißig gedreht, quasi Zeitraffer. Bruno geht in die Küche und startet die Kaffeemaschine, ein doppelter Espresso ist jetzt genau das Richtige. Dann geht er ins Bad, um sich etwas frisch zu machen und wie geplant kommt der Rasierer zu seinem Einsatz. Zum Schluss noch eine ordentliche Portion Aftershave, sozusagen Superfinish. Er muss ja nachher seine Karla begrüßen und Sylvia natürlich auch. Bruno fühlt sich prächtig. Er geht den Weg zur 'Alten Mühle' zu Fuß, das macht er eigentlich immer. Meistens geht er immer die gleichen alten Straßen entlang, die er schon seit seiner Kindheit kennt, Brunowstraße, die Berliner Straße überqueren, dann rechts rein in die Treskowstraße, wo sich seine alte Franz-Marc-Schule in den Ferien langweilt, dann Schulstraße, rechts ab Medebacher Weg bis Alt-Tegel und dann nach links runter zum Tegeler See. Kurz vor der Wilkestraße hat er dann die 'Alte Mühle' erreicht. Karla steht schon vor der Tür, wartet wohl auf ihn. Sie trägt ein ärmelloses knallrotes Kleid, das zu ihrem sommerbraunen Körper einen sehenswerten Kontrast herstellt, sozusagen Hingucker. Über die Schulter hat sie eine dünne weiße Strickjacke gelegt. Das dunkelblonde Haar hat sie lose zu einem offenen Zopf zusammengebunden. Hellrote Lippen lächeln Bruno an und der fühlt sich eingeladen zu einer zärtlichen Umarmung und dem schon insgeheim geplanten Kuss.

      "Na du gehst ja ran, da bleibt mir ja der Atem weg."

      "Grüß dich, Karla, du siehst fantastisch aus. Ist das Kleid neu? Wie bist du da reingekommen?"

      "Spinner, das habe ich bestimmt schon zwei Jahre und du hast es mindestens schon drei, vier Mal an mir bewundern dürfen. Da kommt man übrigens ganz leicht rein, Reißverschluss, you know?"

       Ich weiß, Reißverschluss, da kommt man dann auch ganz leicht wieder raus …

      "Hast du schon lange gewartet?"

      "Nein, ich wäre auch schon reingegangen aber ich habe dich kommen sehen und bin deshalb noch stehen geblieben. Du riechst gut, neues Rasierwasser?"

      "Ach was, das benutze ich schon länger als du dein rotes Kleid besitzt. Aber ich rasiere mich ja nicht jeden Tag. Wo sind denn meine Geschenke? Hast du die noch im Auto?"

      Karla zieht in unnachahmlicher Weise die rechte Augenbraue hoch, diese Antwort muss reichen, das kennt Bruno schon. Dann betreten sie das Restaurant oder die Kneipe, ganz wie man will. Sylvia mit ihrer langen weinroten Bistro-Schürze kommt direkt auf die Beiden zu. Auch bei ihr verfehlt Brunos Duftwolke ihre Wirkung nicht. Das gibt ihm die Gelegenheit, ausgiebig zu testen, welche der beiden Frauen sich besser anfühlt, schwer zu entscheiden.

      "Schön, euch mal beide zusammen bei uns zu sehen, kommt ja leider nicht allzu oft vor."

      "Na komm, wir waren doch schon so oft zusammen hier."

      Karla bekommt einen leichten Reizhusten, muss an der warmen Luft liegen oder an Brunos Wahrheitsliebe. Am Stammtisch hat es sich Harry schon bequem gemacht. Er liest in einem Taschenbuch, das er aber gleich zur Seite legt, als er Karla und Bruno kommen sieht. Er steht auf und kommt hinter dem Tisch hervor, nur so kann er Karla angemessen begrüßen. Er geniert sich auch nicht, obwohl Bruno etwas sparsam aus der Wäsche guckt, aber jetzt sind sie wenigstens quitt. Die Begrüßung der Männer fällt etwas weniger intim aus, mehr so kernig cooles Zusammenklatschen der Hände, wie es normalerweise Siebzehnjährige tun. Da muss man zum besseren Verständnis wissen, dieses Ritual praktizieren sie tatsächlich seit ihrem siebzehnten Lebensjahr, vielleicht noch länger. Da kann man mal wieder sehen, dass sich so manche Angewohnheit aus der Jugend bis ins hohe Alter hält.

      "Na, mein Freund, was liest du denn da schönes?"

      "So schön ist das gar nicht, guck mal, allein schon der Titel, der sagt eigentlich alles. Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend."

      "Oh ja, da habe ich schon von gehört. Der Typ war auch mal in irgendeiner Talkshow. Wirklich krass, musst du mir mal leihen, wenn du es aushast."

      "Das überlege dir aber noch einmal, da fließt dann nämlich reichlich Wasser auf die Mühlen deiner Kirchenverachtung."

      Die drei haben Platz genommen und Sylvia steht mit einem Tablett mit vier Sektgläsern am Tisch. Harry verteilt die Gläser und erhebt als erster seines, um eine Rede anzudeuten. Rede ist jetzt übertrieben, obwohl für Harry eigentlich sogar ziemlich lange Rede.

      "Gratulieren darf man ja noch nicht aber einen wunderschönen Abend wünschen. Das ist ein sehr schöner Rosé Sekt, der perfekte Start. Danach wird serviert. Wir beginnen mit einer leichten Tomatenconsommé, danach folgt ein kleiner Teller Melone und Schinken. Im Hauptgang gibt es gegrillten Wolfsbarsch und wer dann noch Lust hat, kann wählen zwischen einer kleinen Käseauswahl oder hausgemachtem Zitronenparfait. Das Ganze geht auf Kosten des Hauses und ist sozusagen unser Geburtstagsgeschenk, Bruno, Prost."

      Gut drei Stunden später sitzen zwei Frauen und zwei Männer mit zufriedenen und leicht erhitzen Gesichtern am Tisch, nachdem sie ein vorzügliches Menü genossen haben. Inzwischen ist auch die dritte Flasche Südtiroler Weißburgunder leer. Sylvia und Karla unterhalten sich die ganze Zeit, natürlich über die Stärken und Schwächen der Männer. Harry und Bruno unterhalten sich auch, über das schöne Essen und den leckeren Wein.

      "Seit Sylvia ihren Sohn mit hierher gebracht hat, ist eure Küche wirklich auf einem ganz hohen Niveau. Hut ab!"

      "Ja, da sagst du was. Seit Luca bei uns kocht, hat sich vieles verändert, übrigens auch unser Publikum. Also als ich noch in der Küche gestanden habe, gab es solche Sachen wie Wolfsbarsch nicht. Da hätte ich mich nicht ran getraut, eher so Matjes mit Bratkartoffeln. Überhaupt Bratkartoffeln, wenn wir die auf der Karte haben, kommt es schon öfter vor, dass ich die mache. Da kann ich es sogar mit unserem halbitalienischen Starkoch aufnehmen."

      "Naja, nun stell mal dein Licht nicht unter den Scheffel. Deine Küche war eben anders aber genauso gut."

      "Blöde Redensart. Weißt du eigentlich woher die kommt? Scheffel, was das ist?"

      "Na hör mal! Dem Ingenieur ist nichts zu schwör. Scheffel ist ein altes Hohlmaß für Getreide, glaube ich."

      "Gut, aber die Redensart, da müsstest du nämlich