Die Tochter, die vom Himmel fiel. Jürgen Heller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jürgen Heller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738078244
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      "Na, Herr Hallstein, brauchst du Beratung?"

      "Ach, Ünal, du bist es. Beratung? Naja, wenn du so fragst. Hast du im Weinsortiment etwas Besonders? Ich brauche was Gutes für einen Geburtstag."

      Ünal geht zu einer verschlossenen Vitrine und öffnet die Tür mit einem kleinen Schlüssel, den er aus der Hosentasche gezaubert hat.

      "Wie wär's denn mit einem Tignanello? Das wär doch ein sehr schönes Geschenk. Da gibt es auch noch so eine Holzkiste dazu."

      "Geschenk? Nein, da habe ich mich falsch ausgedrückt. Ich brauche was zum Anbieten, verstehst du? Da sind mir siebzig Euro pro Flasche ein bisschen viel."

      "Ach so, dann hast du Geburtstag. Ich dachte, du suchst ein Geschenk. Schau mal da um die Ecke. Da steht das Angebot der Woche, ein sehr schöner spritziger Riesling von der Mosel. Ist doch gerade bei dem Wetter passend, wenn er gut gekühlt ist. Den kannst du auch gut gespritzt trinken."

      Bruno geht zu dem Stapel mit den weißen Pappkartons und studiert das Etikett. Koblenz-Güls an der Mosel, Gülser Königsfels, kennt er sogar, da war er schon auf einem Weinfest. Er packt einen Sechserkarton zu den anderen Sachen in seinen Wagen und marschiert dann zur Kasse. Ünals Schwester sitzt dort und lächelt ihn freundlich an, ganz wie es ihr Name verspricht.

      "Hallo, Güler, kann ich den Wein hier noch stehen lassen? Bin ja zu Fuß hier, ich hole ihn nachher ab. Ich bezahle ihn aber gleich mit."

      "Klar, stellen Sie ihn dort an die Seite. Wir können den Wein auch anliefern. Wir haben seit letzter Woche einen Praktikanten, dem sage ich Bescheid."

      "Na, das wäre ja Spitze! Vielen Dank."

      Bruno stopft seine Einkäufe in seinen mitgebrachten Kultbeutel aus DEDERON, den er vor Jahren von seiner Schwester geschenkt bekam, eigentlich mehr so als Gag, den er aber seitdem nicht missen will, und den er immer dabei hat, wenn er einkaufen geht. Sein Beutel ist noch ein Original DDR-Produkt, braun beiges Karomuster, und keiner von den inzwischen neu geschöpften Exemplaren, die allerdings mit ihrem poppigen Design auch ein großer Verkaufserfolg sind. War sozusagen doch nicht alles schlecht …

      Bruno hat seine Wohnung erreicht, diesmal ohne Frau-Krause-Intermezzo. Allerdings stellt er fest, dass die zwei Stockwerke immer mehr zur Belastungsprobe für seine Kondition werden. Muss wohl auch am Wetter liegen.

       Naja, in Ausreden war ich ja noch nie verlegen. Müsste unbedingt mal was für meine körperliche Verfassung tun. Ab morgen werde ich jeden Tag mindestens eine Stunde spazieren gehen, am besten noch vor dem Frühstück, dann habe ich die Wampe nicht so voll. Vielleicht sollte ich mir auch mal diese Nordic-Walking-Stöcke besorgen und dann mit einem kernigen Klickklack die Straßen entlangfegen. Gute Idee, dann kaufe ich mir gleich noch die passende figurbetonte Sportkleidung dazu, am besten in neongelb, und beglücke die Tegeler Bürger mit meinem Anblick. Bei meiner Figur wäre wahrscheinlich neonbraun angebrachter.

      Bruno packt seine Sachen aus und verstaut sie im Kühlschrank. Er hat den DDR-Beutel gerade wieder kunstvoll zusammengerollt und an seinen Stammplatz im Flur gelegt, da klopft jemand an die Wohnungstür. Bruno öffnet etwas verwundert und erkennt aber sogleich, warum der Besucher nicht die Klingel benutzt hat. Vor ihm steht ein junger Bursche, vielleicht vierzehn oder fünfzehn, der mit beiden Händen einen weißen Pappkarton und oben drauf eine kleinere Holzkiste balanciert.

      "Das soll ich hier abgeben und schönen Gruß von Ünal."

      Bruno nimmt erst mal die Holzkiste von dem Weinkarton herunter und bittet den Jungen dann hereinzukommen.

      "Stell den Karton einfach da auf den Küchentisch. Vielen Dank für 's Hochtragen. Warte mal, ich habe noch was für dich."

      Bruno kramt aus seinem Portmonee einen Fünfeuroschein und drückt ihn dem Jungen in die Hand. Augenblicklich erstrahlt ein freudiges Lächeln und zeigt blendend weiße Zähne. Er stammelt ein Dankeschön und hört wahrscheinlich gar nicht mehr richtig zu.

      "Sag dem Ünal herzlichen Dank von mir. Ich habe mich sehr gefreut."

      Bruno kann hören, wie der Junge die Treppenstufen hinunterspringt, immer zwei auf einmal. Dann schließt er die Wohnungstür und bekommt nicht mehr mit, wie eine keifende Frau Krause einen gutgelaunten Jungen zur Sau macht. Der Junge wehrt sich, indem er ohne sich umzudrehen blitzschnell das Haus verlässt, sozusagen Deeskalationsstrategie. Frau Krause empfindet das anhaltende Lächeln dieses ungehobelten minderjährigen Störenfrieds als Provokation ihrer Autorität und steckt damit schon die zweite Niederlage an diesem Tag ein. Dabei ist es gerade mal Mittag.

      Bruno ahnt zwar, was in der Holzkiste steckt, muss aber doch nachschauen, sicherheitshalber. Er ist übervorsichtig, wäre ja ein Jammer, wenn die Flasche Tignanello zu Bruch ginge. Einen so teuren Wein hat er noch nie besessen, geschweige denn getrunken. Sofort grübelt er über zwei Dinge nach. Wo bewahrt man eine solch wertvolle Flasche Wein am besten auf und zu welchem Anlass öffnet man diese?

      Auf beide Fragen fallen ihm spontan keine Antworten ein und so legt er die Flasche zunächst einmal wieder in die mit Holzwolle gepolsterte Kiste zurück. Die landet dann in einer der unteren Schubladen seines Wohnzimmerschranks.

       So, da liegst du erst mal sicher. Vielleicht ist das der Beginn einer wunderbaren Sammelleidenschaft für hochwertige Rotweine. Dann müsste ich mir ein Weinregal zulegen, oder noch besser, einen temperierten Weinschrank. Weiß nur nicht wann und mit welchen Mitteln ich diese Sammlung erweitern soll. Ich sage allen Bescheid, falls sie mir mal was schenken wollen…

      Bruno checkt nochmal kurz die Versorgungslage für den eventuell morgen über ihn hereinbrechenden Gästeansturm. Dabei stellt er fest, dass er wahrscheinlich viel zu viel eingekauft hat. Können ja maximal zwei Leute kommen, Karla und Anette, vielleicht noch Harry, falls er frei bekommt. Dann könnte er sich eigentlich jetzt einen kleinen Imbiss zusammenstellen, bis zum Abend ist ja doch noch ewig lang hin. Nach einigen Minuten hat er sich eine Jause mit Salami, etwas Schinken und zur Abrundung einer dicken Scheibe Käse zusammengestellt. Kurz, aber wirklich nur ganz kurz, reizt ihn der Gedanke, den eben verstauten Rotwein zu öffnen, würde sicher gut passen, aber die Sammlung! So gibt es eben ein Glas Wasser, ist ja auch viel besser bei dieser Mittagshitze, sicher über dreißig Grad.

      Nach seiner kulinarischen Unterbrechung fühlt er sich pudelwohl, merkt förmlich, wie die Stimmung steigt, auch getragen durch die Vorfreude auf den gemeinsamen Abend mit Karla, natürlich auch auf das Essen bei Harry. Da muss er überhaupt noch einen Tisch bestellen, sicher ist sicher. Sein Freund Harry ist unterwegs aber Sylvia Schön, Harrys Partnerin, ist am Apparat und nimmt die Tischreservierung an.

      "Ihr könnt doch am Stammtisch sitzen, dann kommt Harry sicher dazu und je nach Betrieb könnte ich mich vielleicht auch ab und an dazusetzen. Oder wollt ihr alleine sein?"

      "Wie? Nein, wie kommst du denn darauf? Ich wollte mit der Reservierung nur auf Nummer Sicher gehen, bei meinem Glück wäre der Laden heute Abend brechend voll, einschließlich Stammtisch."

      "Ach was, wir wissen doch, dass du kommst, hast du doch neulich schon gesagt …"

      Bruno stellt das Telefon gar nicht erst in die Ladestation, sondern ruft direkt Karla an.

      "Hallo, ich bin es. Ich wollte dich nur fragen, ob ich dich nachher abholen soll. Dann brauchst du nicht selber fahren. Vielleicht trinken wir ja heute Abend das eine oder andere Glas."

      "Warum? Dein Geburtstag ist doch erst morgen."

      "Naja, vielleicht wird es ja sehr gemütlich und wir feiern rein und außerdem könntest du ja bei mir …"

      "Bei dir übernachten? Hast du sie noch alle?"

      "Ich habe schließlich auch ein Gästezimmer, falls du nicht mit mir …"

      "Na Gott sei Dank, und ich habe schon gedacht, du würdest mit mir ins Bett gehen wollen. Schließlich sind wir erst seit zwei Jahren verlobt, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, und wir sind ja noch soo jung und haben