Vier Jahre für Lincoln. Stillwell Leander. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stillwell Leander
Издательство: Bookwire
Серия: Zeitzeugen des Sezessionskrieges
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783738072662
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seine Deckung. Er lud und feuerte, so schnell er konnte und als ich ihn zum letzten Mal lebend sah, verrichtete er gute Arbeit. Doch dann lag er plötzlich regungslos mit einem Bein angewinkelt auf dem Rücken – tot! Er war wohl in den Kopf getroffen worden, als er zielte oder hinter seinem Baum hervorspähte. Ich starrte ihn an und war vor Entsetzen wie gelähmt. Noch wenige Sekunden zuvor war dieser Mann quicklebendig gewesen und nun lag er auf der Erde – ein Leben für immer ausgelöscht! Dieses Erlebnis brachte mich näher an den Rand der Panik als jedes andere während der Schlacht. Im Verlaufe des Tages gewöhnte ich mich jedoch einigermaßen an den Anblick.

      Als wir uns bei unserer dritten Stellung gesammelt hatten, verlegte man uns noch ein wenig weiter nach hinten, wo wir uns im rechten Winkel zu der Straße aufstellten, die von unserem Lager zur Anlegestelle führte. Während wir dort warteten, bemerkte ich ein großes Zelt, das einige Schritte hinter mir am Wegesrand stand. Es war geschlossen und niemand schien sich in seinem Inneren zu rühren. Plötzlich hörte ich direkt über unseren Köpfen ein fürchterliches "ZISCH" gefolgt von einem lärmenden Einschlag in das Zelt. Ich blickte mich um und sah ein großes, klaffendes Loch in der Zeltwand sowie hinter dem Zelt die Ursache in Gestalt einer großen Kanonenkugel, die den Abhang hinabhüpfte, um im Hinterland weiteres Unheil anzurichten. In diesem Moment flog der Zelteingang auf und ein Bursche in Zivilkleidung stürmte heraus. Er war von entschieden hebräischem Aussehen, sein Gesicht war so fahl wie das Antlitz eines Toten und die Augen traten ihm förmlich aus den Höhlen. Er rannte mit flatternden Rockschößen die Straße hinab in Richtung der Anlegestelle, während die Jungs ihm höhnisch zujubelten und er war wohl noch niemals in seinem Leben dermaßen schnell gelaufen. Wir nahmen sogleich das Zelt in Augenschein und es stellte sich heraus, dass es einen Marketenderladen beherbergte und mit allerlei Versorgungsgütern vollgestopft war. Der panische Flüchtling war natürlich der Besitzer. Er hatte wohl versucht, es dem Vogel Strauß gleichzutun, indem er sich in seinem Zelt verschanzte und sich mucksmäuschenstill verhielt, wobei er gehofft haben mochte, dass ihn niemand sehen könne, den er selbst nicht sah. Diese Kanonenkugel musste eine unangenehme Überraschung gewesen sein. Um etwas mehr Ellbogenfreiheit zu haben, rissen wir das Zelt nieder und begannen, seinen Inhalt unter uns aufzuteilen. Da waren Fässer voller Äpfel, Lyoner Würste, verschiedenste Sorten Käse, Austern und Sardinen in Dosen und etliches anderes Zeug. Ich stopfte gerade meinen Tornister mit Würsten voll, als Colonel Fry herangeritten kam und zu mir sagte: "Könntest du mir wohl bitte einen Ring dieser Wurst geben, mein Sohn?" Nach den Erlebnissen des Tages musste ich mich wohl recht kühn gefühlt haben und so antwortete ich keck: "Aber sicher doch, Colonel. Wir verkaufen hier heute unter Herstellungspreis" und drückte ihm zwei oder drei Wurstringe in die Arme. Während der alte Mann die Beute entgegennahm, umspielte die Andeutung eines Grinsens seine Lippen und er verbiss sich sogleich in einem der Ringe. Die anderen verwahrte er sorgfältig. Sein Verhalten ließ mich vermuten, dass er am Morgen wahrscheinlich nicht zu seinem Frühstück gekommen war und so mag es wohl tatsächlich der Fall gewesen sein. Kurz darauf verteilte ich noch mehr gute Gaben. In unserer Nähe stand eine Formation Kavalleristen und einer von ihnen rief mir zu: "Kamerad, gib mir ein paar Äpfel!" Ich antwortete: "Alles klar!", füllte meine Mütze rasch mit Äpfeln und gab sie ihm. Er schüttete sie in seinen Brotbeutel, holte eine silberne Zehn-Cent-Münze aus der Tasche und hielt sie mir mit den Worten: "Da, nimm" hin. Ich entgegnete: "Behalt dein Geld, ich brauche es nicht", aber er warf mir die Münze vor die Füße und so hob ich sie auf und steckte sie ein. Später fand sich natürlich eine gute Verwendung für sie.

      Jack Medford aus meiner Kompanie gesellte sich zu mir, tätschelte mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck seinen Brotbeutel und sagte: "Lee, ich habe gerade einen Haufen Briefpapier und Umschläge eingeheimst. Jetzt kann ich meinen Leuten zuhause über die Schlacht schreiben." Ich antwortete: "Jack, mir scheint, du solltest das Zeug besser wegwerfen und dir etwas zu essen besorgen. Ans Briefeschreiben über die Schlacht solltest du erst denken, wenn sie geschlagen ist." Jack fiel das Grinsen aus dem Gesicht und er murmelte: "Schätze mal, da hast du Recht, Lee." Als ich ihn das nächste Mal sah, war sein Brotbeutel zum Zerreißen mit Wurst und Käse vollgestopft. Während alldessen tobte zu unserer Rechten die Schlacht und gelegentlich kreischte eine Kanonenkugel hoch über unsere Köpfe hinweg. In "Die Jungfrau vom See" schildert Scott das unheimliche Geschrei und Geheul während der Schlacht von Beal' an Duine folgendermaßen:

      "Als ob das Feldgeschrei der Hölle

      Aus aller Teufel Mund erschölle."

      Dieser Vergleich mag sehr anregend auf die Vorstellungskraft wirken, aber ich kann aus eigener Erfahrung versichern, dass von all den grausigen Geräuschen, die ich jemals gehört habe, keines schlimmer ist als das fürchterliche Kreischen einer Kanonenkugel oder Granate, die einem in geringer Höhe über den Kopf saust, besonders jene Art von Geschoss mit einer Aussparung am Boden, die im Flug Luft einsaugt. Ihr Klang war absolut entnervend, bis ich mich auch hieran gewöhnte. Tatsächlich war die Artillerie zu meiner Zeit weitaus weniger gefährlich als das Gewehrfeuer. Sie war enorm laut, aber sie tötete nur selten, sofern man nicht auf Schrapnell- oder Kartätschenreichweite an sie herankam.

      Wie bereits erwähnt, wurde das Regiment irgendwann am Vormittag zur Unterstützung einer Geschützbatterie abgestellt, wo es auch für einige Stunden verblieb. Es ist in einer Schlacht nichts nervenzehrender als unter mehr oder minder starkem Beschuss flach auf der Erde zu liegen und das Feuer nicht erwidern zu können. Die konstante Anspannung ist schier unerträglich. So war es mit grimmer, aber aufrichtiger Erleichterung, dass wir schließlich den Colonel das Kommando: "Bataillon, Achtung!" ausrufen hörten. Endlich waren wir am Zug. Wir sprangen energisch auf und marschierten bald schräg nach links, von woher schon seit einigen Stunden schwerer Gefechtslärm ertönte. Wir waren noch nicht weit gekommen, als ich etwas sah, das kaum geeignet war, meinen Kampfeseifer zu beflügeln. Wir marschierten über einen alten, grasüberwachsenen Feldweg mit einem Lattenzaun, der eine Art kleinen Weideplatz umschloss zur Rechten und dichtem Wald zur Linken, als ich links von uns einen Soldaten bemerkte, der langsam in die Richtung hinter unseren Linien trottete. Er hatte wohl einen Streifschuss an der linken Gesichtshälfte erhalten und die Haut und das Fleisch seiner Wange hingen in Fetzen an ihm herunter. Sein Gesicht und Hals waren blutverschmiert und er war fürchterlich anzuschauen. Und doch schien er ruhig und gefasst und wehklagte nicht im Geringsten. Als er an unserer Kompanie vorüberkam, sah er zu uns her und rief: "Macht denen die Hölle heiß, Jungs! Die haben mich entstellt!" Es war offensichtlich, dass er nicht übertrieb.

      Als wir uns bei unserer neuen Stellung in Gefechtslinie formierten und das Feuer eröffneten, stand ich in der vordersten Reihe und direkt hinter mir in der zweiten Reihe stand Philip Potter, ein junger Ire, der einige Jahre älter war als ich. Mit seinem ersten Schuss hätte er mich beinahe erledigt. Die Mündung seiner Waffe konnte nicht mehr als fünf bis sieben Zentimeter von meinem rechten Ohr entfernt gewesen sein. Der Knall seines Schusses hätte mich beinahe taub gemacht und mein Hals und meine rechte Wange wurden von Pulverrückständen durchdrungen, die noch jahrelang sichtbar blieben, bis mein Körper sie absorbiert hatte. Ich wirbelte vor Wut tobend herum und schrie Phil an: "In drei Teufels Namen, was soll das?" Just in diesem Augenblick sank der Mann zu meiner Rechten mit einem gellenden Aufschrei zu Boden, gefolgt von dem Mann zu meiner Linken. Beide waren offensichtlich schwer verwundet. Ich wurde mir meines schockierenden Verhaltens, zu fluchen, während um mich herum Menschen starben, bewusst und mir stockte schier der Atem, da ich beinahe mit einer prompten Bestrafung durch den Allmächtigen rechnete. Diese blieb jedoch aus. Zudem möchte ich anmerken, dass gemäß der Geschichtsschreibung selbst Washington während der Schlacht von Monmouth herzhaft fluchte … außerdem hatte es den Effekt, dass Potter danach vorsichtiger war.

      Der arme Phil! Während wir am 7. Dezember 1864 bei Murfreesboro, Tennessee in der Plänklerlinie kämpften, stand er nur wenige Schritte zu meiner Linken, als er durch einen Bauchschuss tödlich verwundet wurde. Er starb wenige Tage später im Lazarett. Da er ein gläubiger Katholik war, war er in seinen letzten Stunden schier verzweifelt vor Kummer, weil kein Priester zugegen war, um ihm die Absolution zu erteilen.

      Wir hatten gerade an unserer oben genannten Position das Feuer eröffnet, als ich direkt vor mir in nicht mehr als 200 Metern Entfernung eine große konföderierte Flagge erspähte, die trotzig im Wind flatterte. Der Rauch war zu dicht, um den Träger zu erkennen, aber seine Fahne war deutlich sichtbar. Ihr Anblick erregte meinen Zorn und