Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe. Peter Urban. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Urban
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847695806
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winzigen Körper vor sich auf den Boden. Dann zog er den schmalen, langen Dolch aus der Scheide an seinem Gürtel und zog sich die Klinge in einer raschen, geübten Bewegung über die Innenfläche der Hand.

      Als das Blut aus der Schnittwunde auf den Leib des Kindes tropfte, beugte er sich zu ihm hinunter und legte seinen Mund auf den Mund des Kleinen. Gleichzeitig zeichnete seine blutige Hand einen Kreis auf der Brust des Jungen. Immer wieder richtete Aodrén sich auf, hob beschwörend die Hände und murmelte unverständliche Worte. Dann beugte er sich wieder über den Kleinen. Nach einer Weile schien es so, als ob es ihm gelang, dem Kind von seiner eigenen Lebenskraft und Stärke einzuhauchen. Bran'wen bemerkte, wie sich eines der winzigen Beinchen schwach bewegte, dann das andere.

      Immer öfter richtete der weise Mann sich auf um seine mächtigen Beschwörungen über dem kleinen Wesen zu sprechen. Ihre Herrin lag auf der anderen Seite des Raumes auf dem Bett ausgestreckt und starrte genauso gebannt in die Flammen, wie sie selbst. Und plötzlich wuchsen die Flammen des magischen Feuerkreises so hoch, dass sie sowohl Bran’wen, als auch Maeliennyd Glyn Dwyr den Blick in sein Inneres vollkommen versperrten.

      Ein gellender, spitzer Schrei erfüllte den Raum. Die alte Frau erschrak zu Tode, als sich der Feuerkreis mit einem Mal in Nichts auflöste und der Ollamh mit dem blutverschmierten, wild strampelnden und lauthals brüllenden Knaben zum Bett der Mutter hinüberging. Seine Schritte waren unsicher und kraftlos und sein bärtiges Gesicht schien leichenblass. Seine für gewöhnlich lebhaften, braunen Augen wirkten leer und tot.

      „Dein Sohn, Herzogin von Cornouailles“, sagte der alte Mann zu Tode erschöpft, als er Maeliennyd Glyn Dwyr das Neugeborene an die nackte Brust legte. „ Vergiss niemals, dass Zauber nicht immer so wirken, wie wir Menschen uns dies wünschen. Sie unterliegen ganz eigenen Gesetzen und diese Gesetze sind uns genauso fremd, wie der Lauf der Zeit oder der Wille der höheren Mächte.“ Dann sank er neben ihr auf die Bettkante und seufzte schwach. „Hör endlich auf zu gaffen, Du törichtes, altes Weib.“ Seine leeren, toten Augen richteten sich kurz auf Bran'wen, die immer noch stocksteif mit vor den Mund geschlagenen Händen auf der Kleidertruhe hockte. „Lauf schon hinunter in die Küche, hole einen Kessel voll warmem Wasser und saubere Tücher. Der kleine Prinz von Cornouailles muss endlich gewaschen und gewickelt werden.“

      XX

      Guy de Chaulliac beobachtete seinen Freund Ambrosius Arzhur. Der saß inmitten seiner Gefolgsleute und der anderen Drouiz an einer der sich vor Überfluss durchbiegenden Festtafeln.

      Während alle um ihn herum schmausten, tranken und fröhlich durcheinanderschwatzten hingen seine Augen, wie gebannt an den beiden Bealltainn-Feuern, die langsam herunterbrannten, während sich am fernen Horizont die ersten Strahlen der Morgensonne aus der Dunkelheit hervorschlichen und den vollen Mond langsam von seinem erhabenen Platz am Himmel vertrieben.

      Zwischen den Fingern drehte der Herzog einen silbernen, mit blutrotem Wein gefüllten Pokal hin und her, ohne jedoch aus ihm zu trinken. So saß Cornouailles nun schon seit vielen Stunden da, unbeteiligt und abwesend. Er schien nachdenklich. Guy hatte sich gewundert, als er den Leuten erklärte, dass seine Herzogin nicht mit ihnen Feiern würde, weil sie in der Nacht von Bealltainn einem Kind das Leben schenkte. Die Menschen hatten nach dieser Ankündigung laut gejubelt und geklatscht und während die Nachricht ihren Weg durch die unüberschaubar große Menge machte, waren diese Freudenbekundungen immer lauter und fanatischer geworden.

      Sogar die christlichen Priester und die Mönche aus zwei in der Nähe gelegenen Klöstern, die trotz ihres anderen Glaubens zu diesem Fest eingeladen worden waren hatten es sich nicht nehmen lassen, ihrem Gott für diese gute Neuigkeit zu danken und für die weiße Dame von Concarneau zu beten, während die Drouiz die Bealltainn-Feuer entzündeten.

      Guy schüttelte sich bei dem Gedanken, wie die Menschen wohl reagieren würden, wenn sie am Morgen erfahren mussten, dass das Land seine Herzogin verloren hatte: Die, die am alten Weg festhielten, würden es als ein schreckliches Omen ansehen, ein Vorzeichen für einen schlechten Sommer und unfruchtbare Felder. Vielleicht würden sie sogar die Macht der Drouiz in Frage stellen, weil dieses Unheil unter den Feuern von Bealltainn geschehen war.

      Die Schwächsten und Wankelmütigsten von ihnen würden sich davonschleichen und zu den christlichen Priestern zu laufen. Und die christlichen Priester würden es sich gewiss nicht nehmen lassen, in ihren Kapellen und Kirchen vor den Altar zu treten über dem ihr zu Tode gemarterter Gott an seinem Holzkreuz hing, um den anderen zu erzählen, dass das Unglück, das die herzogliche Familie von Cornouailles in ausgerechnet dieser Nacht befallen hatte die gerechte Strafe für ihre heidnische Ketzerei war, an der sie so unbeugsam festhielten: ein Fingerzeig ihres rachsüchtigen, christlichen Gottes, endlich den Hexer von Concarneau und sein walisisches Teufelsweib zu vertreiben und einen rechtgläubigen Fürsten ins Land zu rufen.

      Ambrosius musste entweder wahnsinnig oder völlig verzweifelt gewesen sein.

      Mit seinen unbedachten Worten hatte er nicht nur seine eigene Herrschaft aufs Spiel gesetzt, sondern möglicherweise auch der weißen Bruderschaft einen nicht wieder gut zu machenden Schaden zugefügt.

      Finster wandte Guy de Chaulliac seine Augen von dem stillen, nachdenklichen Mann im weißen Gewand der Drouiz und blickte hinauf zur Festung von Carnöet, die dunkel und verlassen auf dem Hügel über ihnen thronte, wie eine Ruine aus längst vergessenen Zeiten.

      Der Okzitanier beschloss, dass er so schnell es schicklich war aufbrechen würde, um diesem Ort auf Nimmerwiedersehen den Rücken zu kehren.

      Sein Vater und sein Großvater hatten also doch recht gehabt, als sie ihn vor diesem kleinen Land am Ende der Welt und seinen Fürsten gewarnt hatten: Er hatte es damals nicht geglaubt, als er und Ambrosius Arzhur Freunde geworden waren. Der junge Herzog war ein genauso gefährlicher Fanatiker, wie zuvor schon sein Vater und sein Großvater …und dazu war der Mann auch noch vollkommen verrückt.

      Er würde unverzüglich auf dem schnellsten Weg nach Prag reiten, um dem Großmeister des Ordens Stephan von Paléc mitzuteilen, was er in Paris entdeckt hatte. Nur so konnte es ihm vielleicht noch gelingen, seine unentschuldbare Vertrauensseligkeit wieder gut zu machen, Ambrosius Arzhur als Erstem von der Wiederentdeckung der Übersetzung des Manuskriptes des Abraham Eleazar berichtet zu haben.

      Niemand konnte unter diesen Umständen vorhersehen, was dieser gefährliche Verrückte wohl zu tun in der Lage war, wenn seine Macht um seines bodenlosen Leichtsinnes Willen ins Wanken geriet. Guy konnte sich nur zu gut vorstellen, wie sein ehemaliger Freund sogar den heiligen Eid der weißen Bruderschaft brechen würde, um sich dieser Handschrift zu bemächtigen, die es dem Templerorden damals erlaubt hatte, über mehrere Jahrhunderte hinweg eine geradezu grenzenlose Macht beinahe mühelos auszuüben.

      Gerade als er eine belanglose Entschuldigung erfinden wollte, um sich von seinen unlieb gewordenen Tischgefährten diskret zu verabschieden, um im Schutz der Morgendämmerung seine Abreise vorzubereiten, bemerkte er eine hochgewachsene Gestalt in einem weißen Gewand, die langsam von der Festung zum Festplatz hinunterkam.

      Er kniff die Augen zusammen, um besser durch das trübe Licht des jungen Tages hindurchsehen zu können: Die hochgewachsene Gestalt hatte unverkennbar einen bis zum Gürtel reichenden, steingrauen Bart und ebenso lange, steingraue Haare, die offen über den Schultern hingen. In der Rechten hielt er einen hohen, schlanken Stab, dessen ungeschliffener Kristall an der Spitze die ersten Strahlen der Morgensonne brach.

      Guy fuhr von seinem Platz hoch und stieß dabei so heftig gegen die Holzbohlen, die ihnen als Tisch gedient hatten, dass ein großer, tönerner Krug scheppernd zerbrach und alle am Tisch Sitzenden mit dunkelrotem Wein besudelte. Noch bevor die Ersten überhaupt dazu ansetzen konnten, ihn um seiner Unvorsichtigkeit willen lauthals zu beschimpfen, war er schon über die Bank gesprungen. Er rannte mit fliegenden Gewändern auf die weißgewandete Gestalt zu, die eine in ein feines, hellgrünes Tuch gewickelte Last trug.

      „Aodrén“, schrie er, ohne das Kopfschütteln und die ungehaltenen Blicke derer zu beachten, die er bei seinem raschen Lauf achtlos zur Seite