Isabella biss sich auf die Lippe.
Eine andere Stimme meinte: „Ich werde Herbner sagen, er soll die Putzleute noch einmal daran erinnern.“
Isabellas Herz beruhigte sich kurz wieder – bis sie hörte, wie die Schritte nicht weitergingen, sondern das Zimmer betraten!
Drei oder vier Leute waren es wohl.
Sie hörte, wie Stühle gerückt wurden. Man setzte sich!
Ihr Adrenalinspiegel stieg wieder – die wollten sich doch jetzt wohl nicht häuslich da drinnen niederlassen?
Wieder ein Blick auf die Uhr: 8.20 Uhr!
In zehn Minuten begann die Schauspielschule. Und sie hatte Davids Brief immer noch nicht übergeben!
Verzweifelt sah sie sich um: Der Raum, in dem sie sich nun befand, hatte keine andere Tür. Es schien so eine Art kleine Küche zu sein: Kisten mit Getränken waren in einer Ecke gestapelt, außerdem gab es mehrere Schränke, eine Spüle, eine Mikrowelle und etwas, das aussah, wie ein Kühlschrank... aber keine Tür. Verdammt! Sie saß in der Falle.
Isabellas ganzer Körper vibrierte vor Nervosität. Was jetzt?
Sie hörte, dass im Zimmer nebenan gesprochen wurde, verstand aber nicht, worüber. Da legte sie ihr Ohr an die Tür und lauschte, um herauszukriegen, ob die da drinnen bald wieder gehen würden.
Eine Männerstimme sagte gerade: „Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass dieses Gespräch streng geheim ist! Nur wir wissen von dieser Operation, und wir müssen sie ohne fremde Hilfe durchführen. Kein Wort zu jemand anderem! Ist das klar?“
„Jawohl, Herr Kriminaldirektor!“, ertönten drei andere Stimmen fast gleichzeitig.
Isabella wurde blass und wich von der Tür zurück – auch das noch! Sie war in eine streng geheime Besprechung mit einem Kriminaldirektor hineingeraten. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Jetzt wurde die Lage wirklich unangenehm – sie durfte gar nicht daran denken, was wäre, wenn die sie jetzt erwischen würden! Dummerweise war sie nicht mal unschuldig an diesem Schlamassel. Super gemacht, Isa!
Ihr Herz raste und ihre Knie wurden weich. Nach Luft ringend ließ sie sich leise auf den Fußboden sinken, um einen klaren Kopf zu bekommen. Ihr ging erst jetzt auf, dass ihre Lage tatsächlich vertrackt war. Wenn die sie hier fänden…
Verzweifelt biss Isabella sich auf die Unterlippe: Sie musste hier raus, und zwar schnell!
Ihr Blick fiel auf das Fenster. Hastig zog sie sich die Schuhe aus und tapste auf Socken lautlos zum Fenster. Als sie einen Blick nach unten geworfen hatte wusste sie, dass diese Möglichkeit wohl ausgeschlossen war: Sie befand sich im 3. Stock, und der harte Erdboden lag etwa zehn Meter unter ihr. Trotzdem wollte sie es sich genauer ansehen und dazu das Fenster öffnen – doch kaum hatte sie die Klinke gedreht und angefangen zu ziehen, da blieb ihr beinahe das Herz stehen: Das Fenster quietschte! Mit angehaltenem Atem blieb Isabella reglos stehen: Hatte jemand das gehört?
Doch die Stimmen von nebenan drangen weiterhin unverändert herüber – Glück gehabt! Aber das Fenster konnte Isabella nicht mehr anrühren – es würde sie verraten, wenn es weiter so quietschte.
Voll Verzweiflung ging Isabella zurück zur Tür und lauschte wieder.
Der Kriminaldirektor sagte gerade: „Wie Sie sicher wissen, ist die Weltöffentlichkeit seit Jahren sehr besorgt wegen der wiederholten Kernwaffentests in Nordkorea. Trotz des intensiven Einsatzes von Geheimdienstagenten verschiedener Länder – vor allem aus den USA – weiß man bis heute nicht genau, wie viel waffenfähiges Plutonium und wie viele Atomsprengköpfe Nordkorea produziert hat. Das Friedensforschungsinstitut SIPRI schätzt die Anzahl auf zehn bis zwanzig. Auch die genaue Position der vorhandenen Atomsprengköpfe in Nordkorea ist bisher nicht bekannt. Das ist für die Sicherheit Deutschlands und anderer Länder eine nicht zu unterschätzende Gefahr, denn Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un behauptet öffentlich, dass er bereit wäre, seine Atomwaffen auch einzusetzen. Vor ein paar Wochen kontaktierte ein nordkoreanischer Oberst heimlich einen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes vor Ort. Er bot ihm an, Deutschland Informationen über den Umfang und die genaue Position von Atomsprengköpfen in Nordkorea zu geben. Diese Informationen sind von unschätzbarem Wert für uns. Als Gegenleistung dafür will der Oberst Asyl in Deutschland und eine neue Identität, da er als Whistleblower natürlich befürchten muss, von Handlangern des dortigen Machthabers Kim Jong-un getötet zu werden. Es versteht sich von selbst, dass dieser Mann – sein Name lautet Li Yong-rim – hochqualifizierten Personenschutz benötigt. Der BND hat das LKA um Amtshilfe gebeten… Sie wurden ausgewählt, den nordkoreanischen Überläufer zu beschützen. Der BND hat bereits Pläne, wie Yong-rim das Land verlassen und nach Deutschland gelangen soll. Der Mann wird Nordkorea im Rahmen einer Dienstreise nach Russland verlassen. In Russland wird er abtauchen und unter falschem Namen – um den Pass kümmert sich der BND – nach Deutschland einreisen. Wenn alles läuft, wie geplant, startet sein Flug am übernächsten Donnerstag um 15.15 Uhr in Moskau. Um 18.30 Uhr trifft er am Münchner Flughafen ein. Hier übernehmen wir. Ich erkläre Ihnen jetzt Ihre Aufgaben…“
Isabella wich zitternd von der Tür zurück: In was war sie da bloß hineingeraten? Die junge Frau verfluchte sich selbst. Wie hatte sie nur so dämlich sein können, ins LKA und in dieses Zimmer hineinzugehen? Hätte sie doch bloß auf David gehört und wäre nicht alleine hineingegangen! Nun saß sie hier in einem kleinen, dämmerigen Raum wie in einer Mausefalle.
Und wenn sie nun einfach klopfte, die Tür aufmachte und hinüberging? Wenn sie sagen würde, es war ein Versehen und es täte ihr leid?
Sie schüttelte den Kopf: Nein – jetzt war es zu spät. Das hätte sie ganz am Anfang machen müssen. Sie hätte zwar Ärger gekriegt, aber das wäre wohl nicht so schlimm gewesen. Jetzt dagegen… unmöglich!
Es blieb ihr nichts anderes übrig als abzuwarten, bis die Leute den Konferenzraum verließen… und zu hoffen, dass sie das bald taten.
6. Kapitel
Isabella saß noch immer tatenlos im Nebenzimmer des Konferenzraumes und konnte nichts weiter tun als zuzuhören.
Der Kriminaldirektor hatte seinen zwei oder drei Untergebenen ihre Aufgaben genauer erläutert. Den Stimmen nach schien auch eine Frau dabei zu sein.
Isabella hatte fast alles mit angehört. Doch sie wurde immer nervöser. Es war schon Viertel vor neun. Die Schauspielschule hatte bereits begonnen, sie war nicht entschuldigt. Ihr Handy hatte Isa lautlos gestellt, falls das Sekretariat nachfragte, warum sie fehlte. Der wichtige Brief von David steckte immer noch in ihrem Rucksack. Und irgendwann schaute womöglich mal jemand in den Nebenraum!
Gedankenverloren stand Isabella auf und sah sich um: Konnte sie sich hier nicht irgendwo verstecken? Ihr Blick fiel auf die Schränke an der Wand: Ob sie da hineinkriechen konnte? Leise schlich sie sich hinüber und öffnete die unteren Schränke: Sie waren alle voller Geschirr und hatten mehrere Unterteilungen – das ging nicht.
Isabella schloss die Schranktüren wieder und ging nachdenklich zurück zur Tür - halb lauschend, halb überlegend, wo sie sich noch verstecken könnte. Sie hörte unterbewusst, wie der Kriminaldirektor meinte: „Könnten Sie uns etwas zu trinken holen, Herr Kemp?“
Eine andere Stimme erwiderte: „Natürlich, gerne.“
Gleichzeitig machte Isabella zwei Schritte auf das zu, was sie für einen Kühlschrank hielt.
Doch plötzlich wurde ihr klar, was sie eben gehört hatte. Zugleich hörte sie Schritte. Sie fuhr zusammen: Er würde doch wohl nicht hierher…?
In dem Moment, als sich die Tür öffnete und heller Lichtschein ins Zimmer fiel, fuhr Isabella herum. Stocksteif, vor Schreck erstarrt und geblendet stand sie da und alles Blut wich aus ihrem Gesicht, als der junge Polizist wie in Zeitlupe in der Tür erschien und sie sah.
Für