Zärtlich küsste er sie auf die Stirn.
Schließlich löste Isa sich von ihm, zeichnete ihm mit dem Daumen ein Kreuz auf die Stirn und murmelte etwas auf Italienisch. David sprach nur ein paar Brocken italienisch, verstand aber, dass sie um Gottes Segen für ihn bat.
„Danke“, murmelte er gerührt und küsste sie noch einmal, bevor er aufstand und sich anzog.
„Pass gut auf dich auf!“, bat Isa leise, als er in der Dunkelheit das Haus verließ. Kurz darauf hörte sie, wie David den Motor startete und wegfuhr.
4. Kapitel
Es war Freitag, 6.30 Uhr. Isabella räumte in ihrer Küche das Geschirr weg. Sie hatte gerade fertig gefrühstückt und wollte sich noch kurz eine Szene durchlesen, die sie heute in der Schauspielschule vorspielen sollte, als ihr Handy klingelte. Das Display zeigte eine ihr unbekannte Rufnummer an.
Neutral meldete sie sich: „Isabella Caspari.“
„Isa, hier ist David“, erklang seine Stimme leise aus dem schnurlosen Telefon.
Freudestrahlend sprang Isa auf. Sie hatte seit zwei Wochen nichts von David gehört. War sein Einsatz endlich beendet?
„Buon giorno, amore mio!“, trällerte sie.
Doch Davids Antwort dämpfte ihre gute Laune augenblicklich: „Hör gut zu Isa, ich habe nicht viel Zeit. Ich hinterlege zwei weiße, unbeschriftete Umschläge im Nymphenburger Park beim grünen Brunnhaus im Wald, bei einer Eiche auf der anderen Seite des Kanales, etwa zehn Meter vom Weg entfernt. Hole sie bitte schnellstmöglich ab! Das ist wichtig! Du musst suchen, bis du sie findest! Bring die Umschläge zum LKA, Maillingerstraße 15. Übergib sie an Herrn Amper. Er ist bei diesem Einsatz mein Führer. Du findest ihn in Zimmer 314. Gib sie ihm nur persönlich – und betritt sein Zimmer nur, wenn er es dir erlaubt! – Wiederhole das bitte.“
Perplex wiederholte Isa Davids Anweisungen. Dann setzte sie zu einer Frage an: „David, was ist los? Ist alles in Ordnung?“
David klang gehetzt, als er antwortete: „Ich kann nicht länger sprechen. Tu, was ich dir gesagt habe – jetzt sofort – und ruf nicht zurück! Ich muss mich jetzt auf dich verlassen können. Ich…“
Plötzlich brach der Anruf ab.
„David?“, fragte Isa noch einmal vergeblich in den Hörer hinein.
Keine Antwort. Die Verbindung war abgebrochen.
Sie schluckte. Was war da los? Was war das denn für ein seltsamer Anruf gewesen?
Beunruhigt starrte sie ihr Handy an, als ob es ihr eine Erklärung liefern würde. Sollte sie zurückrufen?
Nein, David hatte das nicht gewollt.
Ihr Herz schlug schnell – sie hatte Angst um ihn! Nervös biss sie sich auf die Unterlippe. Er steckte in Schwierigkeiten, da war sie sich fast sicher. Sonst hätte er sie nicht um diesen Botengang gebeten. Irgendetwas stimmte nicht.
Die Schauspielschule war ihr auf einmal egal. Sie musste tun, worum ihr Freund sie gebeten hatte. Nur das war jetzt wichtig!
Rasch schulterte sie ihren Rucksack und machte sich auf den Weg zu dem Waldstück, das David ihr beschrieben hatte. Es war ganz in der Nähe ihres Hauses.
Vielleicht, wenn alles gut klappte, kam sie danach sogar noch pünktlich zur Schauspielschule. Aber erst musste sie diese Umschläge finden und beim LKA abgeben. Hoffentlich konnte ihr dieser Herr Amper eine Erklärung für Davids Verhalten geben. Ob er wohl die Möglichkeit hatte, ihren Freund zu kontaktieren? Sie hoffte es. Sie wollte wissen, ob es ihm gut ging.
Unruhig lief Isa los.
5. Kapitel
Mit dem Fahrrad erreichte Isa rasch die Stelle im Nymphenburger Park, die David ihr beschrieben hatte. Vor Ort aber musste sie länger suchen, bis sie die beiden Umschläge fand. David hatte sie unter die Rinde einer abgestorbenen Eiche geschoben, so dass sie kaum zu sehen waren.
Neugierig betrachtete sie die zugeklebten Umschläge ein paar Sekunden lang. Einer war klein und leicht, der andere etwas größer als DIN A 4, wattiert, schwer und dick. Was mochten sie enthalten?
Energisch riss sie sich aus ihren Gedanken: Sie musste weiter! Die Umschläge zum LKA bringen und übergeben!
Zügig radelte Isa zurück nach Hause, stellte ihr Fahrrad dort wieder ab und lief zum Bus, mit dem sie losfuhr in Richtung Maillingerstraße.
Bald stieg sie um in die Straßenbahn und fuhr noch einige Stationen.
Als Isabella sich schließlich zu Fuß dem LKA näherte, spürte sie, wie ihre Nervosität stieg. Sie verband nicht gerade angenehme Erinnerungen mit ihrem bisher einzigen Aufenthalt in der Polizeibehörde. Damals hatte sie hier zwei Tage in einer Zelle verbracht.
Isa versuchte, ihre Aufregung hinunterzuschlucken – schließlich hatte sie nichts Böses im Sinn. Sie musste nur einen Brief abgeben, das konnte ja wohl nicht so schwer sein.
Sie straffte ihre Schultern und stieg die wenigen Stufen zum Eingang hinauf. „Kopf hoch – wie beim Auftritt auf der Bühne. Das kannst du doch gut, Isa!“, sprach sie sich selbst Mut zu.
Etliche Menschen strömten gerade ins Gebäude – für die Mitarbeiter des LKAs begann ein neuer Arbeitstag. Zu Isabellas Linken lag die Pförtnerloge. Sie trat darauf zu. Als der Pförtner – ein grauhaariger Herr um die sechzig mit einem kleinen Bierbäuchlein – sie gelangweilt ansah, holte sie tief Luft: „Guten Morgen. Ich soll einen Brief hier abgeben – für Herrn Amper.“
„Welche Abteilung?“, wollte der Pförtner wissen.
Unsicher entgegnete Isa: „Staatsschutz, denke ich. Zimmer 314.“
„Ich kann Sie aber nicht hereinlassen. Sie können den Brief hier an Herrn Amper übergeben.“
Isa zuckte mit den Schultern: „Von mir aus.“
Hauptsache, sie konnte ihre Aufgabe erfüllen – und Herrn Amper fragen, ob er Kontakt zu David hatte.
„Ihren Personalausweis, bitte!“
Isa zog ihren Ausweis aus dem Geldbeutel und legte ihn an das altmodische Schiebefenster. Der Pförtner zog den Ausweis zu sich heran und trug ihren Namen, das Datum und die Uhrzeit sowie die Zielabteilung in ein Gästebuch ein. Dann griff er zum Telefon und wählte eine Nummer. Es klingelte eine Weile. Isa beobachtete es ungeduldig. Schließlich schüttelte der Pförtner den Kopf: „Tut mir leid, es geht niemand ran.“
„Es ist aber dringend“, beharrte Isa. „Ich muss den Brief heute übergeben! Können Sie vielleicht jemand anderen aus der Abteilung anrufen und fragen, wo Herr Amper ist? Oder Sie rufen Herrn Hesche an – Kriminaloberkommissar Tobias Hesche vom Staatsschutz. Den kenne ich persönlich.“
Der Pförtner seufzte genervt: „Schön für Sie. Ich kann jetzt aber nicht jeden Ihrer persönlichen Bekannten anrufen, bloß weil Sie einen Brief abgeben wollen!“
Isa schenkte ihm ein Lächeln, in das sie ihren ganzen italienischen Charme hineinlegte: „Bitte!“
Er lenkte ein: „Na schön, ich frage nach.“
Wieder wählte er eine Nummer, sprach kurz, lauschte. Kurz darauf legte er auf und wandte sich schulterzuckend an Isa: „Herr Amper ist zwar da, aber er ist in einer wichtigen Besprechung und darf nicht gestört werden. Er kann momentan nicht kommen. Und Ihr Herr Hesche ist gerade außer Haus. Sie können den Brief hierlassen.“
„Nein! Ich muss den Brief persönlich übergeben!“, beharrte Isa.
Er überlegte kurz: „Tja – dann kommen Sie am besten heute Nachmittag oder morgen wieder. Sie können auch Ihre Telefonnummer hinterlassen, wenn Sie wollen.“
Heute Nachmittag oder morgen?