Die Zeitlinie. Carolin Frohmader. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolin Frohmader
Издательство: Bookwire
Серия: Petrichor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738092622
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ich wirbelte mit den Armen. «Was ist mit der Wohnung? Wer erbt das alles?» Pit sah an mir vorbei und zuckte mit den Achseln. «Keine Kinder, soweit ich weiß.» Er machte eine lange Pause und ich wartete. Unschlüssig ob weiter nachfragen oder einfach die Füße still halten sollte.

      «Er- Er hat uns manchmal gesagt, wir müssten uns keine Sorgen um die Zukunft machen. Aber weiß der Teufel ob das ernst war, oder auch nur... gelallt.»

      «Er hat getrunken? Wirklich?» Etwas erstaunt war ich tatsächlich. Der graue alte Herr hatte auf mich nie einen volltrunkenen Eindruck gemacht, doch die Menschen fangen bekanntermaßen aus den niedrigsten Beweggründen mit der Trinksucht an.

      «Weiß nicht. Also... nein. Denke nicht. Vielmehr... er wurde immer komischer. Also komisch im Sinne von...», Pit machte mit dem Zeigefinger ein paar kreisende Bewegungen neben seinem Kopf. «nicht komisch wie lustig», fügte er noch hinzu.

      «Dass er alt war, wissen wir ja», sagte ich achselzuckend und drehte das Glas Cola unwillkürlich im Kreis.

      «Ja schon, aber manchmal sprach er von ihr.» flüsterte Pit.

      «Von wem?», flüsterte ich zurück, obwohl ich keine Ahnung hatte wen er meinte, oder warum er flüsterte.

      «Na von Omi natürlich», sagte Pit, also wäre das das offensichtlichste auf der Welt.

      «Sie haben sich früher schon gekannt, im Krieg bereits, ich weiß», sagte ich. Pit und trank das halbe Glas Cola in einem Zug aus.

      «Das meine ich nicht», flüstere er weiter. «Sondern das Andere.»

      Ich hob die Augenbrauen. So langsam musste er mal zur Sache kommen.

      «Na, der alte Dernbach behauptete, er hätte mal was mit unsere Omi gehabt. So im Sinne von, die Zeiten waren schlimm und wir hatten ja nüscht

      Mir blieb nicht anderes als heftig den Kopf zu schütteln.

      «Also eigentlich will ich gar nicht wissen, ob meine Oma mit irgendjemandem irgendwann mal was gehabt hat.» Der Gedanke sich die eigene Großmutter beim rummachen vorzustellen ging mir etwas zu weit. Selbst wenn die als zwanzig Jährige zweifellos ein heißer Feger gewesen sein musste und das genügte um mir ein Schmunzelte entgleiten zu lassen.

      «Muss auch im Krieg gewesen sein», sagte Pit.

      «Möglich», stimmt ich ihm zu. «Aber ein Leben kann lang sein. Wer weiß, vielleicht irrt er sich ja auch.»

      «Hmm.» Pit sog scharf Luft durch seine Nase und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.

      «Denk nicht mal daran sie zu fragen, Pit. Vielleicht, wenn daran was sein sollte, will sie sich vielleicht nicht daran erinnern. Und wenn es in Kriegszeiten war, stelle ich mir das deutlich weniger romantisch vor als eine Liebschaft aus heutiger Zeit. Damals war alles anders. Viele Frauen sind vergewaltigt worden.»

      Pit hob sofort resignierend die Hände, als wolle er sich ergeben. Danach ließ er sie auf den Tisch sinken. «Ich will mir das auch nicht vorstellen, ok? Aber ich hab ihm irgendwie geglaubt.»

      «Er war alt Pit. Es kommt vor, dass Menschen kurz vor ihrem Tod, sich an längst vergangene Dinge erinnern können. Das muss ja nicht zwangsläufig was körperliches gewesen sein.» Ich schnappte nach Luft. «Vielleicht hat sie ihm mal Kekse gebacken!?» Okay. Das würde ich mir selbst wahrscheinlich auch nicht abkaufen, doch mir hatte sich immer noch nicht erschlossen worauf Pit überhaupt hinaus wollte. Meine Augenlider machten sich mittlerweile ziemlich schwer.

      «Kekse?» krächzte Pit und mir blieb nicht weiter als die Schultern zu heben.

      «Übrigens hat Dir niemand was gesagt, weil deine Mutti der Meinung war, dass Du zu viel arbeitest und keine Familie brauchst die Dich ständig anruft. Sie würden sich aber trotzdem freuen, wenn Du morgen da aufschlagen würdest. Omi an erster Stelle.» Pit grinste über das ganze Gesicht und natürlich hatte er recht. Was aber auch bedeutete, dass ich vorher eine Nacht durchschlafen konnte. Mein Blick fiel auf die heimelige grüne Couch am anderen Ende des Raumes. Sie war zwar nicht ausziehbar, aber die gemütlichste auf der ich je schlafen durfte und sie war früher schon öfters von mir bezogen worden. An sich konnte ich es kaum erwarten.

      «Da wäre aber vielleicht noch was.» Pit flüsterte wieder. «Ja, ich weiß, der alte Dernbach war alt. Das hatten wir schon, aber er hat noch mehr gesagt. Ok, er hat mehr gelallt, aber dabei war er ziemlich deutlich. Was auch schon komisch war, also wieder...» Pit wiederholte die kreisende Bewegung mit dem Zeigefinder neben seinem Kopf. «Denn er roch gar nicht nach Alk. Kein bisschen. Höchstens etwas muffig.»

      Mit etwas Mühe verkniff ich es mir herzhaft zu gähnen und reckte meine Arme in die Höhe.

      «Komm zum Punkt, Pit», raunte ich.

      «Ja, ja gut. Er hat gelallt, dass alles mal ein Ende hat. Und, dass man auch nicht ewig lebt, selbst wenn man nicht krank ist.» sagte Pit in gedämpften Ton und rutschte auf seinem Stuhl herum.

      «War er also doch krank? Was hatte er denn?»

      «Nein. Nicht krank. Nicht er.» Pit lehnte sich zu mir über den Tisch. «Er behauptete, dass Omi krank ist und dass sie bald sterben muss.»

      Ich starrte ihn an und war wieder hellwach.

      «Vielleicht nehm' ich doch ein Bier.»

      Kapitel 2

       Selig sind die Unwissenden

      Geschäftiges Treiben und Stimmen hörte ich aus der Backstube und dem Verkaufsraum während ich die Schnürsenkel meiner Turnschuhe verknotete. Ich saß oben auf einem Küchenstuhl und lauschte nach unten.

      Die Sonne drängte sich durch die dicken Vorhänge in der Küche. Als ich sie zurück zog, kniff ich geblendet die Augen zu, denn das grelle Sonnenlicht war um ein vielfaches heller, als ich erwartet hatte. Meine müden Augen gewöhnten sich nur langsam daran.

      Das Dutzend Bierflaschen auf der Küchenzeile ließen mich vermuten, dass Pit nun wusste, warum ich hergekommen war. Weil die letzten Wochen ein reiner Spießrutenlauf gewesen war. Weil mich meine Freundin schlichtweg abserviert hatte und mir vor lauter Müdigkeit oft die Augen zu fielen. Die Frustration darüber, wie sehr sich mein Leben zum negativen verändert hatte und wie wenig ich scheinbar ausrichten konnte um das Gegenteil herbei zu führen, ärgerten mich mehr als ich zugeben wollte. Aber ich war nicht allein auf der Welt mit Problemen.

      Bevor ich eingeschlafen war, hatte mich noch Pits Sorge über seine nahe Zukunft und die Backstube beschäftigt. Die Hiobsbotschaft über den baldigen Tod meiner Großmutter und somit auch Pits, hatte ich relativ schnell als nicht ernstzunehmendes Geschwätz eines alten Mannes abgetan. Natürlich ist niemand vor einem plötzlichen Tod gefeit, erst recht nicht nach einem langen und erfüllten Leben. Allerdings hatte ich enorme Zweifel an der Glaubwürdigkeit solcher Voraussagen. Der Mediziner in mir betrachtete das etwas nüchterner. Meine Großmutter war stets gesund und kräftig gewesen und nichts hatte darauf hingedeutet, dass sich die sobald ändern sollte.

      Die Nacht hatte ich tatsächlich ohne Unterbrechung im Tiefschlaf auf meiner grünen Couch verbracht. Wie schön durchschlafen sein kann, weiß man erst zu schätzen, wenn man sonst nachts arbeitet, lernt oder schlaflos an die Zimmerdecke starrt.

      Das T-Shirt vom Vortag stopfte ich noch meine Reisetasche und kickte sie unter die Couch, eh ich die Treppe zur Backstube hinunter lief. Der Verkaufsraum war gerade leer und Pit zog ein Blech dampfender, goldbrauner Croissants aus dem Ofen. Die Wolke traf mich wie ein Schlag.

      «Wow, ich hatte ganz vergessen...!», murmelte ich zu mir selbst, doch Pit schien mich bereits vorher gehört zu haben.

      «Moin, Moin. Kannst gleich welche haben», rief Pit mir über die Schulter zu.

      «Morgen! Später. Gern. Ich geh erst mal rüber.» sagte ich und nickte zur Tür.

      «Alles