«In der Gartenlaube des alten Dernbach. Da war aber alles piko bello. Das einzig verderbliche was ich im Kühlschrank gefunden habe, war ne Flasche Ketchup. Und die war auch noch versiegelt.» Pit seufzte erneut. «Und in einer Truhe auf der ein altes und gigantisch großes Radio stand, war eben Deine Kiste.»
Verwirrung machte sich unweigerlich in mir breit. Warum war meine Kiste bei dem alten Dernbach versteckt? Den ich zwar seit Kindertagen kannte, für mich jedoch nie mehr geworden war, als ein alter Bäckermeister, der damals schon alt war, und mir immer ein Brötchen extra schenkte. Und warum zum Himmel war es eigentlich meine Kiste? Warum stand da mein Name drauf, wenn ich den Karton nicht selbst beschriftet hatte. Und die große Frage überhaupt war: Was war das für eine Vase? Natürlich war es mir durchaus klar, dass es keine Vase war, offensichtlich. Aber solange mir der richtige Name nicht klar war, war dies immerhin ein passabler Titel. Welche Vase, ohne Stromanschluss vermochte es, einen in die Pampa zu versetzen und Stundenlang dort schmoren zu lassen. Immerhin war nicht Winter, sonst wäre das anders gelaufen.
«Woher kam die Kiste?», brummte ich in mich hinein.
«Pff. Die Vase scheint definitiv defekt zu sein, sonst hätte der alte Dernbach die sicher nicht versteckt. Wer weiß wie alt das Ding ist», brummte Pit zurück. Allerdings glaube ich nicht, dass die Vase alt war. Sie hatten einen recht neuen oder zumindest unverbrauchten Eindruck gemacht. Damit, dass die Vase versteckt wurde, konnte Pit jedoch unwissentlich recht gehabt haben. Immerhin stand mein Name darauf und so lange der alte Dernbach gelebt hatte, hatte ich nichts von ihm erhalten, außer Backwaren. Keine Vasen. Warum also. Ich nahm mir vor der Gartenlaube einen Besuch abzustatten, eh ich wieder nach Köln zurück fuhr. Der Brisanz unseres Aufenthaltsortes und die Art und Weise, wie wir dort hin gelangten, kehrte ich mit Freude unter den Teppich, denn ich konnte nur hoffen, dass das schwinden der Armbänder unsere Rückkehr anzeigte.
Die Ziffern auf unseren Armen wurden immer schwächer bis sogar die Ziffern selbst zu schwinden begannen. Das X wurde zu einem krummen Y und das I einen Kopf kürzer. Wir bestaunten die Gleichmäßigkeit des dahin schwindens auf Pits und meinem Arm als ein Hund bellte. Deutlich und schon sehr nah. Das Bellen hallte zwar noch nach, aber je nachdem wir schnell der Hund lief konnte er in Kürze bei uns sein. Die Frage die mir sofort in den Sinn kam: Ist der Hund allein? Ein Streuner wäre nicht schön gewesen, aber um Längen besser als wenn er in Begleitung wäre. Er bellte wieder und das Bellen kam näher und plötzlich hatten wir auch Gewissheit. Männerstimmen. Zwei oder Drei. Pit wollte aufspringen, doch ich hielt ihn am Arm fest, legte meinen Zeigefinger auf meine Lippen und deutete ihm bloß still zu bleiben.
Das Hundebellen wurde noch lauter und noch kam noch weiter näher. Allmählich konnte wir genau die Richtung ausmachen, aus der das Bellen und die Stimmen hallten. Die kleine Baumgruppe, hinter der ein kleines Gefälle zu sein schien würde der Punkt sein, an dem jeden Augenblick der Hund durch das Gebüsch hindurch laufen würde.
Schockstarrenähnlich verweilten wir auf unseren Plätzen, jedoch in Fluchtstellung. Sobald ein Rottweiler mit Schaum vor dem Maul oder etwas ähnlich absurdes vor uns auftauchen würde, könnten wir immer noch die Flucht ergreifen. Die Ziffern auf meinem Arm waren kaum mehr zu erkennen, es konnte nicht mehr lange dauern. Plötzlich fröstelte ich und ich dachte die Anspannung und der Hunger forderten nun seinen Tribut, jedoch spürte ich es bereits als ich auf der Blumenwiese angekommen war. Als nächstes würde die bitterliche Kälte einsetzen und ich spürte sie bereits. Es wurde hell und allmählich verlor ich den Überblick über meine Umgebung, als der braune Hund bellend durch das Gebüsch brach und geradewegs auf uns zu hielt. Er hatte zwar keinen Schaum vor dem Maul, doch er schien mir nicht freundlich gesinnt zu sein, als er seine Lefzen nach oben verzog. Pit neben mir zog scharf die Luft ein, auch er musste mittlerweile die Kälte gespürt haben. Meinen Arm konnte ich nicht mehr erkennen, mein Blick tunnelte sich auf den Punkt, zu dem ich zuletzt geblickt hatte. Der rennende Hund im Vordergrund und dahinter das Gebüsch aus welchem nun drei männliche Gestalten schlugen. Spätestens deren Anblick hätte mich den Atem verschlagen, wenn es nicht stattdessen das Achterbahn Gefühl mit der unbeschreiblichen Kälte getan hätte. Das gleißende Licht oder die unerbittliche Dunkelheit währenddessen, gaben mir erneut den Rest. Ob hell oder dunkel konnte ich auch jenes Mal nicht mit Sicherheit sagen, vielleicht erst das Eine und dann das Andere.
Die Erscheinung der Männer jedoch nahm ich noch mit, als es mich unsanft auf den Laminatboden beförderte.
Die schwarzen Stiefel schien noch das normalste an dem Outfit der Ankömmlinge gewesen zu sein. Darüber trugen sie weite dunkle Puffhosen, gestreift. Womöglich noch eine Art Strumpfhose darunter oder verdammt hohe Strümpfe. Die Oberkörper bedeckte ein Panzer, ähnlich einer Rüstung, mit verschnörkelten Verzierungen und machten einen unbeweglichen Eindruck. Der Hut, oder vielleicht auch eher Helm schien ebenfalls aus Metall, jedoch war der Kopfteil bereits stark verschwommen. Einzig den gezogenen Degen in den Händen der Soldaten hatte ich noch klar erkennen können. Sie wollten sich nicht verteidigen. Sie waren vielmehr auf der Jagd.
Noch nie war ich so glücklich gewesen, in Pits alter Wohnküche zu sein. Er folgte mir zudem auf dem Fuße. Er landete ebenso unglücklich und stieß sich den Kopf ein einem Stuhlbein. Panisch richtete er sich auf und sah nach allen Seiten, als ob er seine eigene Küche nicht erkennen würde. Zumindest wurde uns wieder warm und Pit stand auf. Kopfschüttelnd blieb ich auf dem Boden sitzen.
«Was für ein Höllentrip», stieß Pit aus. «Hast Du die Typen gesehen? Wir haben sicher mitten in deren Rollenspiel gehockt. Begeistert sahen die nicht aus.»
Ich fuhr mit dem Kopf herum und sah Pit direkt in die Augen.
«Haben sie uns gesehen? Haben sie Dich gesehen?», fragte ich ihn scharf.
Er zuckte nur teilnahmslos mit den Schultern.
«Freaks», murmelte er. «Dämliches Rollenspiel. Dieser Köter hätte mich fast erwischt. Ich muss Mira suchen, sie wird mich umbringen.»
Pit sah auf die Uhr und sein Blick blieb dort haften. Zuerst sah ich ihn an und folgte schließlich seinem Blick. Die Wanduhr zeigte etwa 6:58 Uhr.
Nun war ich fähig die Stimmen aus dem Verkaufsraum wahr zu nehmen. Pit jedoch rührte sich nicht.
«Und wenn es kein Rollenspiel war?», fragte ich vorsichtig.
«Liebster, ich könnte hier unten etwas Hilfe gebrauchen», flötete Miranda die Treppe hinauf. Sie klang angestrengt, aber nicht gestresst. Sie klang wartend aber nicht wütend. Warum hatte sie auch wütend sein sollen? Es war immerhin keine Minuten vergangen seitdem wir zu unserem Trip aufgebrochen waren. Dafür hatte ich keine logische Erklärung. Die Stunden die wir auf der Blumenwiese gesessen hatten schien entweder gar nicht stattgefunden zu haben oder woanders.
Nein. Mir wurde eiskalt.
Nicht woanders. Ich schnappte nach Luft.
Wann anders.
Wann anders?
Die Vase stand noch immer auf dem Küchentisch, glänzte schwarz und unschuldig. Mein bester Freund hingegen war Leichenblass.
Kapitel 5
Tatsachen
Nachdem sich Pit ein zweites Mal im Badezimmer übergeben hatte, war ich vom Fußboden auf die grüne Couch umgezogen und saß dort mit dem Kopf zwischen den Knien. Zwar spürte ich keine Übelkeit, doch mir zog ein Schauer nach dem anderen über den Rücken. Regungslos stand die Vase noch immer auf dem Küchentisch als würde sie uns verspotten und sich lustig darüber machen, wie verwirrt und ahnungslos wir uns verhielten. Leider hatte sie auch noch recht damit. Die römischen Ziffern die vor kurzem noch mein rechtes Handgelenk geziert hatten, waren verschwunden doch sie tanzten noch immer von meinem inneren Auge umher und lenkten meine Aufmerksamkeit mit voller Kraft auf sich – und dem konnte ich mich nicht entziehen.
Pit kam nun vollends bekleidet aus dem Bad und hatte zumindest wieder Farbe im Gesicht. Wortlos wollte er an mir vorbei die Treppe runter in die Backstube gehen.
«Du