SMY „HOHENZOLLERN“ in Kiel (Zeichnung Willy Stöwer)
Jetzt erschien Majestät oben an Bord der „HOHENZOLLERN“ (SMS „HOHENZOLLERN“ diente als Staatsyacht von 1893 bis 1918 dem Kaiser für repräsentative Zwecke. Sie war ein Aviso von 4.460 t und lief 21,5 kn, die Besatzung bestand aus 350 Mann.), um sie spielte der ganze Korso sich ab, und nun entstand hier ein Gedränge, auf das die Eintagsausschmückung der Boote wenig berechnet war. Aber daran störte sich niemand; jeder wünschte eins von den Sträußchen zu fangen, die der Kaiser in Menge und zu seinem großen Vergnügen herabwarf. Auch wir konnten mehrere unser eigen nennen, fünf Sträuße für die Damen unseres Bootes; und ich erhielt noch eine Rose, die ich Ingeborg zur Aufbewahrung in ihrem Album schicken werde.
Um 9 Uhr sollte ich an der Vineta-Brücke (benannt nach der angeblich bei Rügen untergegangenen Stadt Vineta) sein, und so fuhren wir ¼ 9 fort. Gleich darauf wurde dann auch schon als Zeichen zum Schluß „Heil Dir im Siegerkranz“ gespielt; erst sehr langsam verzog sich das bunte Gewimmel, und nun sah man die einzelnen Boote auseinandergondeln: hier ein Negerkanot (kanot: schwedisch für Padelboot, Kanu) mit den kurzen Schaufeln zum Rudern, und vielfach von Wassertropfen weiß gesprenkelten Gesichtern, dort ein Schwan, dort eine venezianische Gondel, dort ein offenbar von Granaten durchlöchertes Wikingerschiff, dort wieder ein „Middy“ (middy: Kurzform für „midshipman“ = Seekadett, hier vermutlich scherzhaft für ein Tretboot verwandt) in dem Seekadetten die gebrechlichen Räder drehten. So verlief dies schöne Fest. Dann begaben sich Wasmers und Schaubs in die Akademie zu einem Ball, während ich noch über 1 Stunde auf das Boot warten musste, das uns eigentlich um 9 Uhr an Bord bringen sollte.
Während wir auf Urlaub waren, hat die „STOSCH“ Kohlen übergenommen. Ob die Reise durch den Kaiser Wilhelm Kanal gehen wird, wissen wir noch nicht; es heißt übermorgen um 8 Uhr gehe es los. Zusatz: Es ist jetzt auf 6 Uhr morgens festgesetzt. Schon seit einigen Tagen finden tagtäglich Wettsegeln statt, zuerst mit sehr starken, schließlich mit kleinem Winde. Während zuerst viele Yachten kenterten und zu Grunde gerichtet wurden, kamen die Boote heute kaum vorwärts. Ein Boot von der „STOSCH“ unter Herrn Leutnant Kehrl hat heute den dritten Preis bekommen. Gestern erhielt der Kaiser mit seiner Yacht „METEOR“ (Die „METEOR I“ war die erste von insgesamt 5 kaiserlichen Yachten dieses Namens. Sie war 1887 in Schottland gebaut worden und hatte eine Länge von 26 m.) den ersten Preis beim Segeln.
Freitag, den 28. Juni 1895
Gestern abend war Kurt und sein Kamerad Hellmann (Mama kennt ihn, denn er war auf dem Akademie-Kaffe) bei uns in der Messe. Und nachher gingen wir in die Seekadettenmesse. Ich erhielt gestern auch den Brief von Papa, als Kurt gerade hier war. Wir haben jetzt Urlaub, und heute nachmittag wieder. Dann will ich noch einmal nach Labö zu Hagelbergs und nach Heikendorf zu Rendtorffs. Heute mittag wird Majestät zu uns an Bord kommen zur See Klar Besichtigung. Es wird schon furchtbar „Rein Schiff“ gemacht. Wasmers sind jetzt nicht in Kiel, sonst würde ich heute Nachmittag noch dort sein; sie sind auf Schirnau (Gut Schirnau: Ausflugsziel am Kaiser-Wilhelm-Kanal nördlich von Rendsburg) am Nord-Ostsee Kanal.
Von morgen, dem Abreisetage an, beginnen für uns Kadetten auch die Tag- und Nachtwachen, so wie auch die Maschinenwachen. Übrigens ist jetzt bestimmt, daß der „HAGEN“ von der Siegfried Klasse mit uns geht. Gestern wurde der Tagesbefehl über unsere Reise veröffentlicht; die „STOSCH“ wird voraussichtlich Flaggschiff des Geschwaders (Flaggschiff: Führungsschiff eines Schiffsverbandes. Tatsächlich wurde „KAISERIN AUGUSTA“ Flaggschiff der Tanger-Aktion.) werden. Urlaub wirds im Herbst nicht geben. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß wir sofort aus dem Mittelmeer nach Westindien fahren, oder, daß wir überhaupt dableiben. Der erste Hafen den wir anlaufen, (wir werden um Jütland herumfahren), ist Plymouth, dann kommt Gibraltar. „HAGEN“ läuft nicht viel mehr Seemeilen wie wir (Küstenpanzerschiffe waren, ihrem defensiven Zweck entsprechend, stark bewaffnet und gepanzert, aber langsam und von geringer Reichweite. Für Auslandseinsätze waren sie wenig geeignet. Die Höchstgeschwindigkeit von „HAGEN“ betrug 14,8 kn, die der „STOSCH“ 12 kn.), und es ist möglich, daß er auf See Kohlen von der „KAISERIN AUGUSTA“ übernehmen muß, da er für nur wenig Kohlen Platz hat.
Für dieses Mal will ich schließen. Der nächste Bericht kommt aus Plymouth.
Herzlichen Gruß
Willi
S.M.S. „STOSCH“
Kiel, a. B. S.M.S. „STOSCH“ 28. Juni 1895
Lieber Papa!
Vor meiner Abfahrt will ich Dir noch die herzlichsten Glückwünsche zum Geburtstage senden, da ich nicht wissen kann wann die nächste Gelegenheit zum Brief abschicken sein wird.
Onkel Wenck war neulich ja auch hier, vor seiner Fahrt nach Kopenhagen. Er hat sich, mit einer Polizeikarte bewaffnet, überall Zutritt verschafft und vieles gesehen. Aus seinem Erzählen bei Wasmers konnte man merken wie sehr ihn alles interessiert hatte, und es muß auch wirklich sehr interessant in Holtenau gewesen sein. Jetzt sind alle fremden Kriegsschiffe aus dem Hafen verschwunden, nur die Amerikaner liegen noch hier. Heute abend ist Kurt dorthin eingeladen. Im übrigen habe ich in den beiliegenden Bogen die Ereignisse seit vorgestern genau aufgeführt, und ich gedenke dies auf der ganze Reise, wenigstens soweit es mir möglich ist fortzusetzen. Noch einmal meine herzlichsten Glückwünsche zum Geburtstag und viele Grüße an Mama und die beiden Schwestern von Eurem
Willi
Nordsee, a. B. S.M.S. „STOSCH“
30. Juni 1895
Noch vor unserer Abfahrt von Kiel sollten wir noch das furchtbare Unglück, das den „KURFÜRSTEN FRIEDRICH WILHELM“ betroffen hat, erleben. Besonders schmerzlich ist dieses Unglück, da der verwundete Offizier der mit Wasmers bekannte Leutnant Starke ist. Einerseits hatte Herr Doktor zwar bei Exzellenz Köster (Hans Köster (1844-1928), der „Lehrmeister der deutschen Flotte“, war 1895 als Vizeadmiral Chef des Mövergeschwaders in Kiel.)
Über dieses Unglück ließ sich nichts ermitteln. (gehört die Verwundung sei leicht, aber andererseits hörte man von allen Seiten, beide Beine seien ihm fortgerissen, und man zweifelte allgemein an seinem Wiederaufkommen (er mag jetzt wohl schon gestorben sein). Über die Einzelheiten der Explosion beim Minenlegen konnte ich noch nichts erfahren (Am 28.6.1895 hatte eine Explosion an Bord der „KURFÜRST FRIEDRICH WILHELM“ in der Kieler Bucht 7 Besatzungsmitglieder getötet und Leutnant z. S. Wilhelm Starke (1885 – 1941, zuletzt Konteradmiral) verletzt.).
Freitag nachmittag hatten wir noch einmal Urlaub; Majestät war nicht an Bord gekommen, da die „HOHENZOLLERN“ nach Eckernförde gegangen war. Ich wollte Kurt noch einmal aufsuchen, traf ihn aber nicht. Wasmers waren in Schirnau, nur Herr Doktor war zu Hause. Ihm habe ich noch Adieu gesagt.
Am folgenden Morgen, Sonnabend, machten wir uns zur Fahrt durch den Kanal fertig. Die Feuer aufgemacht, Boote geheißt und die Raaen gebrasst (Raa: Spiere, die waagerecht und seitwärts schwenkbar vor dem Mast angeschlagen ist. Brassen: Die Segel mit Tauen horizontal um den Mast