„Wir sehen uns heute Abend!“, rief er. Dann stürzte er zur Tür hinaus.
Merit war beschämt. Es wäre ihre Aufgabe gewesen, ihm ein frisches Morgenmahl zu bringen und das rechtzeitig, damit er ohne Hast den Tag beginnen konnte. Sie wusste doch, wie sehr die Priester Eile verabscheuten.
Was noch schlimmer war, Shokar hatte nicht ausreichend essen können. Nun musste er bis zum Mittag ausharren, bis er etwas zu sich nehmen konnte und auch das würde nicht viel sein. Wegen der Hitze gab es mittags nur wenig zu essen. Das Hauptmahl des Tages gab es abends.
Merits Blick wanderte zum Krug. Er sollte immer mit frischem, kühlem Wasser gefüllt sein. Sie erhob sich, um selbst einen Schluck zu trinken. Dabei verzog sie das Gesicht. Völlig schal und abgestanden! Wie hatte Shokar das nur trinken können?
Shokar … Ihre Gedanken gerieten ins Träumen. Er hatte Gefühle in ihr erweckt, von denen sie niemals geglaubt hätte, dass diese in ihr ruhen würden. Er hatte erreicht, dass sie sich nicht wie eine Dienerin gefühlt hatte, als er all diese wunderbaren Dinge mit ihr getan hatte.
„Merit, bist du da drin?“ Die Stimme von Noala unterbrach ihre Tagträume. „Komm mit uns, wir wollen endlich unser Morgenmahl haben.“
Es war üblich, dass die Dienerinnen, nachdem ihre Herren gegangen waren, die Reste des Frühstücks für sich nutzten. Dazu gingen sie zu ihrer Kochstelle. Kein Priester würde sich herablassen, dort zu erscheinen. Deshalb blieben die Dienerinnen dort ungestört.
Hastig zog sich Merit an, griff nach dem Tablett und eilte zur Tür hinaus. Noala und Bessara musterten erst sie, dann das Tablett, das nicht nach Frühstück aussah. Dann sahen sich beide an und nickten bedeutungsvoll. Anschließend begannen sie zu grinsen.
„Was ist los?“, wollte Merit wissen, während sie versuchte, zu verbergen, was in ihr vorging.
„Du hast so ein Leuchten in den Augen.“ Es war unmöglich, vor Noala etwas geheim zu halten.
„Hat dich Shokar nun doch auf sein Lager geholt? Natürlich hat er das. Schau nur, Bessara, wie sie strahlt. Du musst uns alles erzählen. Wie war er? Hat er dir Freude bereitet? So wie du aussiehst, hat er nicht nur an sich selbst gedacht. Manche Männer tun das nämlich.“
Mit einem Seitenblick zu Bessara verstummte Noala plötzlich. Das war nicht sehr taktvoll gewesen, wenn man bedachte, wie Kerlak Bessara behandelte.
Merit schaute kurz zu Bessara hinüber und erkannte neue blaue Male auf ihren Armen. Arme Bessara! Während sie, Merit, zum ersten Mal die Freuden des körperlichen Zusammenseins genossen hatte, war Bessara wieder gequält worden. Schuldbewusst senkte sie ihren Blick.
Bessara richtete das Wort an sie: „Hör mal, du kannst nichts dafür. Es tut mir leid, dass ich dich gestern so angefahren habe. Es ist nur, ich fühle mich so hilflos, weil ich nichts dagegen tun kann. Du warst nur der letzte Tropfen, der den Krug zum Überlaufen brachte Dann habe ich alles herausgelassen, was in mir am Kochen war. Verzeihst du mir?“
Merit setzte ihr Tablett auf den Boden, lief zu Bessara und umarmte sie. Die drei Mädchen hatten nur sich selbst, um sich umeinander zu kümmern. Niemand sonst hatte bisher Interesse an ihnen gezeigt. Ob es ihnen gut ging, ob sie Sorgen hatten, das schien bisher niemanden zu interessieren. Deshalb redeten sie viel miteinander und teilten ihre Gedanken.
Auch wenn sie einmal ärgerlich aufeinander waren, versuchten sie immer rasch, sich wieder zu vertragen. Sie waren Freundinnen, sie waren wie eine Familie.
Merit konnte sich allerdings nicht vorstellen, dass sie über alles berichten würde, was in der letzten Nacht geschehen war. Schon bei dem Gedanken daran wurde sie rot im Gesicht.
An der Kochstelle ließen sich die Mädchen nieder und Bessara und Noala teilten ihr restliches Morgenmahl mit Merit, weil diese doch keine Zeit gehabt hatte, selbst eines zu richten. Merit sah mit einem Stirnrunzeln im Gesicht, dass ihre Freundinnen schon wieder grinsten. Nun erwarteten sie einen Bericht.
In dem Bestreben, möglichst wenig zu erzählen, gelangte Merit von einer Verlegenheit in die andere. Bessara und Noala bemerkten dies und drangen nicht weiter in sie.
Stattdessen begann Noala zu erzählen, wie es ihr mit Farik erging. Auch Noala erzählte nicht alles, das wusste Merit nach den Erfahrungen der letzten Nacht. Noala konnte dennoch ausdrücken, dass sie Farik zugetan war.
Merit lernte dadurch, wie sie ihre Worte in ähnlicher Weise wählen konnte. Das was im Inneren in ihr vorging, konnte sie als Geheimnis bewahren, es war ihr größter Schatz.
Kapitel 6 - Gegenwart
Als Stephen am nächsten Samstag erschien, strahlte er über das ganze Gesicht, während er am Eingang stand
„Also hattest du eine gute Woche, vermute ich.“ Kayla lächelte. Stephen strahlte noch mehr.
„Es war einfach großartig! Wir hatten so viel zu tun, weil ich zwei Wochen weg war. Das hielt uns alle beschäftigt. Und alle waren so freundlich. Ich fühlte, dass ich das Richtige machte. So wollte ich es haben.“
Sie gingen in Kaylas kleines Wohnzimmer. Der Tee stand schon dort.
Kayla sah ihm in die Augen. „Weißt du, warum alles so perfekt gelaufen ist?“
„Vielleicht wegen der Meditation, die ich letzte Woche gemacht habe. Ich hatte den Wunsch, eine wundervolle Woche zu haben.“
„Ja, aber konntest du fühlen, was es mit dir gemacht hat?“ Stephen war sich nicht sicher, was Kayla von ihm hören wollte.
Sie half ihm. „Du hast Energie in deinen Wunsch gelenkt. Du hast dich auf deinen Wunsch konzentriert. Deshalb hast du diese wundervolle Woche geschaffen. Du hast das ganz allein getan.“
„Also muss ich mir nur etwas wünschen und dann bekomme ich es? Das kann nicht sein. Wie oft habe ich mir etwas gewünscht und es dann nicht bekommen. Was ist der Trick dabei?“
Kayla lachte. „Nun, es gibt ein paar Regeln, wenn man sich etwas wünscht. Erstens kannst du dir Dinge wünschen, die du selber erschaffen kannst mit deiner Energie. Du hast das vergangene Woche getan. Zweitens, du kannst dir nicht wünschen, im Lotto zu gewinnen und dann darauf warten, bis du das Geld bekommst. Wenn es nicht vorgesehen ist, dass du gewinnst, weil es nicht gut für dich wäre, dann wirst du nicht gewinnen. Drittens, wünsche dir niemals, dass jemand anderes etwas für dich tun soll. Andere Personen haben ihren eigenen freien Willen. Sie müssen nicht tun, was du von ihnen möchtest. Du wirst lernen, die besten Wünsche für dich zu finden.“
„Warte mal, hab ich das richtig verstanden? Ich kann mir nichts wünschen, was nicht richtig für mich wäre? Aber woher weiß ich, was richtig ist?“ Stephen war irritiert.
„Du kannst dir nichts wünschen, wenn andere daran einen Teil übernehmen sollen. Wie bist du Schauspieler geworden? Ich vermute, du hast dein Bestes gegeben und deshalb haben andere Leute dir geholfen, weiter zu kommen. Zuerst gab es deine Energie. Sie hat dich in die richtige Richtung gelenkt. Aber du musstest warten, bis andere Menschen dir eine Chance gegeben haben, weil sie dein Talent erkannt haben. Du hast sie nicht gezwungen, so zu entscheiden.“
„Das ist richtig. Ich erinnere mich. Ich war so voller Freude und Stolz, als ich meine erste Rolle erhalten habe.“
„Und du bist von einer Energiewelle getragen worden, weil du diese Freude verspürt hast, stimmt’s?“, fuhr Kayla fort.
„Ja!“ Stephen war erstaunt. „Woher weißt du das? Es war so einfach, meine Rolle zu spielen. Ich hab mich gefühlt, als ob ich auf einer Welle reite. Es hat überhaupt keine Mühe gekostet, das zu spielen, was man von mir verlangt hat.“
„Das ist ein energetisches