Sie erinnerte ihn an seine Mutter. Stephen und seine Mutter hatten oft schweigend nebeneinander gearbeitet, wenn sie etwas in ihrem Haushalt erledigt hatten, ohne die Notwendigkeit, etwas zu sagen. Irgendwie fühlte er sich bei Kayla wie zu Hause.
Nach einer Weile begann er wieder zu sprechen. „Kayla, letzte Woche hast du etwas gesagt, über das ich dauernd nachdenken muss. Du glaubst, dass du schon mehrmals zuvor gelebt hast. Woher weißt du das?“
Kayla konnte sehen, dass ihn das Thema wirklich beschäftigte. „Ich hab es in Meditationen herausgefunden. Man nennt es Rückerinnerung.“
„Kann ich das auch lernen? Vielleicht habe ich auch schon mehrmals gelebt. Dann würde ich es gern wissen, auch wenn ich es mir noch nicht recht vorstellen kann. Ich meine, ich müsste doch irgendeine Ahnung haben, oder so.“
Stephen sah sie fragend an. Kayla zögerte einen Moment. Sie wusste, dass Stephen dies bemerkte. Doch weder sie noch Stephen waren im Augenblick bereit dafür, auch wenn Stephen das noch nicht wissen konnte.
Er sah sie noch immer erwartungsvoll an. Sie versuchte ein unbeteiligtes Gesicht zu wahren, während in ihrem Inneren mehrere Gefühle im Widerstreit lagen. Wenn er das wirklich wollte, dann sollte es wohl so sein. Es ging hier nicht nur um sie selbst.
„Nun, vielleicht später“, meinte sie schließlich. „Zuerst musst du einige Techniken kennen. Wir werden einen Schritt nach dem anderen machen.“
Stephen sah enttäuscht aus.
„Hör zu, Stephen. Es gibt dafür keine Abkürzung. Es ist wie das Alphabet lernen, bevor du ein Buch liest. Du musst geduldig sein. Kannst du das?“
Stephen fühlte ihren aufmerksamen Blick und gab nach. „Also gut, wir machen es wie du sagst. Also, was kommt als nächstes? Eine Meditation, oder möchtest du, dass ich dir etwas im Haus helfe. Das ist ein Teil unserer Abmachung.“
„Ich freue mich, dass du nicht vergessen hast, was ich über Ausgleich von Energien gesagt habe. Also, wir werden jetzt erst eine Meditation machen. Danach kannst du mir im Garten helfen, bevor du gehst.“
„Wir beginnen mit dem Atmen.“
Stephen seufzte. Hatte er das nicht schon auf der Parkbank gelernt? Aber er sagte nichts. Er hatte versprochen, es richtig zu machen.
„Wir werden das immer wieder tun, in jeder Meditation.“ Kayla sprach sanft zu ihm. „Es ist dein Schlüssel für alles, was danach kommt.“
In den kommenden Wochen lernte Stephen die Grundlagen der Meditation. Nach einiger Zeit musste er bestimmte Meditationen allein durchführen, während Kayla ihn beobachtete. Sie wusste immer, wenn er sich nicht konzentrieren konnte, oder seine Gedanken vom Thema abglitten. Stephen wunderte sich oft, wie sie das herausfand, aber sie wollte es ihm nicht sagen.
Konnte es sein, dass sie hellsichtig war? Vielleicht war sie ein Medium. Oder steckte da noch mehr dahinter? Er versuchte immer noch, es herauszukriegen. Aber wer glaubt schon an Hexen? Stephen staunte selbst über seine Gedanken. Noch vor wenigen Wochen, bevor er Kayla kennengelernt hatte, wäre er nie auf derartige Ideen gekommen.
Stephen hatte bisher in einer sehr realistischen Welt gelebt. Was man sehen konnte, war Wirklichkeit. Alles andere gehörte ins Reich der Fantasie. Man konnte Filme darüber machen, aber mit der Wirklichkeit hatte dies nichts zu tun.
Nur, seit er Kayla kannte, wurde diese Überzeugung oft erschüttert. Gelegentlich sagte sie Dinge, bei denen er erst überlegen musste, ob er das für wahr halten konnte. Wenn er dann darüber nachdachte, musste er zumindest die Möglichkeit einräumen, dass es derartige Dinge geben könnte. In Kaylas Nähe tat sich für ihn eine völlig neue Welt auf. Manchmal war es wirklich seltsam, wie sie herausfand, was er gerade dachte. Aber er sorgte sich nicht darum.
Kayla war genau die richtige Lehrerin für ihn. Und sie wurde eine Freundin, die er sehr mochte. Seltsam, dass sie genau dann in sein Leben getreten war, als er seine Mutter verloren hatte. Er erfüllte seinen Teil der Abmachung, indem er Dinge im Haus reparierte. Es fiel ihm auf, dass er sich unter der Woche darauf freute, jeden Samstag in Kaylas Haus zu sein.
Es war wie nach Hause zu kommen. Sie tranken zuerst Tee zusammen und redeten über ihre Woche. Dann gab es Meditationen und später reparierte er etwas. Meistens musste er nicht lange suchen, bis er etwas fand, dem er seine Aufmerksamkeit widmen konnte. Oft sah er im Garten nach, ob es etwas zu richten gab. Kayla ließ ihn meist selbst Vorschläge machen, worum er sich kümmern wollte.
Sie lebte in einem kleinen alleinstehenden Häuschen am Rande der Großstadt. Dem Garten, der sich rundherum erstreckte, sah man ihre liebevolle Hand an. Zu jeder Jahreszeit blühten viele Blumen, wodurch auch das Haus ein freundliches Aussehen erhielt. Mehrere Beete mit Heilpflanzen und Küchenkräutern ergänzten das Bild. Unter einem Lindenbaum im hinteren Bereich stand eine Gartenbank aus Holz. Davor breitete sich eine Rasenfläche aus.
Kayla gab ihm häufig Aufgaben, Meditationen, die er während der Woche durchführen sollte. Sie halfen ihm, seine Rollen noch besser zu spielen, weil sie seine Konzentration lange Zeit aufrecht hielten. Er ermüdete nicht so schnell, weil er wusste, wie er wieder Kraft tanken konnte, sogar in den Drehpausen, wenn er nur wenig Zeit hatte.
Stephen hätte zuvor nie geglaubt, in seinem Inneren ein Kraftzentrum zu besitzen, das er nutzen konnte. Durch die Meditationen, die er lernte, erhielt er Zugriff darauf. Wenn seine Konzentration gestört war, genügten einige Minuten der inneren Versenkung, um alles Störende beiseite zu schieben und nur noch das Wesentliche zu beachten.
Er liebte seinen Job. Jeder konnte das in den Rollen sehen, die er spielte. Schauspieler zu sein war alles, was er jemals gewollte hatte und jetzt tat er das aus ganzem Herzen.
Kapitel 7 – Merit und Shokar
Merit begann, sich auf die Abende zu freuen, wenn Shokar von seinen Unterweisungen zurückkehrte. Es war ihm streng verboten, darüber zu reden, noch nicht einmal mit den anderen Anwärtern. Die Schüler sollten damit lernen, absolutes Stillschweigen zu bewahren.
Deshalb konnte Shokar nichts von seinem Tagesablauf an Merit weiter geben. Dennoch ergab sich genügend Gesprächsstoff. Er berichtete gern über das Zusammenleben mit seiner Familie. Wie Merit schon vermutet hatte, vermisste er sie sehr. Das war nicht das Verhalten, das von einem Anwärter erwartet wurde, doch Merit schätzte ihn deshalb umso mehr.
Merit weigerte sich lange Zeit, mit Shokar gemeinsam zu essen. Als Dienerin sollte sie ihren Herrn unterhalten, während dieser seine Mahlzeit einnahm. Weil aber Shokar nicht nachgab, begann sie endlich, kleine Happen zu essen, damit er Ruhe gab. Niemand sah ihnen zu, deshalb war es wohl nicht so schlimm, wenn sie die Grenzen übertrat.
Shokar behandelte sie immer weniger wie eine Dienerin. Sie war seine Vertraute, seine Geliebte. Schließlich musste er sich eingestehen, dass er sich in sie verliebt hatte. Nach dem Willen der Priester war das jedoch streng verboten. Deshalb würde er ganz gewiss nicht darüber reden. Man würde ihm Merit sonst bestimmt wegnehmen. Schon der Gedanke daran war schrecklich. Er wollte nicht mehr ohne sie sein.
Merit hatte sich schon nach der ersten Nacht in Shokar verliebt. Auch sie wusste um die Gefahr, falls dies offenbar werden sollte. Aus diesem Grund blieb dieses Thema in ihren Gesprächen ausgespart. Sie genossen ihre gemeinsamen Nächte und lebten einfach in den Tag hinein.
Eines Tages kam Noala weinend zur Kochstelle gelaufen. Die Priester hatten entdeckt, dass sie und Farik Gefühle für einander hatten. Deshalb beschloss man, sie zu trennen. Noala durfte nicht mehr für Farik sorgen und es war ihr verboten, ihn zu sehen. Noala war verzweifelt. Bessara und Merit taten ihr Möglichstes, um sie zu trösten. Aber auch sie wussten keinen Rat.
Bessara meinte nur: „In meinem Fall hätte ich nichts dagegen, von diesem Grobian Kerlak getrennt zu werden. Er fühlt sich nur selbst gut, wenn er anderen seine Macht zeigen