Der Weg nach Afrika. Helmut Lauschke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Helmut Lauschke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783753187754
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und noch weiter nördlich besonders schwer fiel, weil sie im Schiessen ihre Bedenken hätten, die sie zu ernsthaftem Nachdenken brächten und bei den intelligenten regelrechte Gewissenskonflikte auslösten, die sie nicht mehr beherrschen konnten, weil sie den menschlichen Verstand überstiegen. Dr. Ferdinand fand diesen Aspekt sehr interessant und wollte mehr darüber erfahren. So fragte er den Psychologen, wie denn die Soldaten aus ihren Gewissensnöten befreit werden können.

      "Das ist ein schweres Problem, weil es sehr komplex ist. Diejenigen, die zum ersten Mal auf einen Menschen zu schiessen haben, ist diese Not besonders gross, und manche dieser Erstschützen berichteten, dass ihre Hände zitterten und erleichtert waren, dass sie am Menschen vorbeischossen, was andere wiederum mit ruhiger Hand taten, weil sie den Tod eines Menschen nicht verantworten konnten." "Wenn ich Sie recht verstehe, muss der Soldat erst die nötige Routine im Totschiessen bekommen, um mit der zunehmenden Routine seine Gewissensnöte schrittweise abzubauen. Kann ich das so sagen?", fragte Dr. Ferdinand. Der Psychologe: "Es hört sich unvernünftig an", Dr. Ferdinand unterbrach ihn: "weil das Schiessen auf Menschen immer unvernünftig ist", "wenn Sie so wollen, ich weiss, was Sie da meinen", setzte der Psychologe seinen Satz fort, "weil jeder Krieg eine Bankrotterklärung des miteinander Sprechens ist, die Regeln der Zivilisation ausser Kraft setzt und daher mit der Vernunft unvereinbar ist. Aber um auf die von Ihnen vorgebrachte 'Routine' zurückzukommen, es entspricht, ohne es werten zu wollen, der Praxis eines Psychologen, dass die Gewissensnöte abnehmen, je länger der Soldat mit dem Gewehr umgeht und mit dem Gewehr Menschen erschiesst." Dr. Ferdinand nickte ihm zu und fand es beängstigend und abscheulich, dass es dieser Mechanismus mit der wachsenden Routine im Totschiessen ist, der sich so nachhaltig auf das Gemüt auswirkt, dass das Gewissen dabei letztendlich keine Not mehr empfindet.

      "Was sagen Sie jenen Soldaten, die Ihnen vom Zittern der Hände und vom Vorbeischiessen mit ruhiger Hand berichten", fragte Dr. Ferdinand. Der Psychologe: "Viel kann ich da nicht sagen, weil das fünfte Gebot auch in meinem Hinterkopf sitzt. Doch kommt dann die Uniform herein, so ähnlich wie beim Arzt in Uniform, und ich selbst sitze in der Uniform eines kleinen Offiziers vor dem Soldaten mit der Gewissensnot, dass der Soldat und ich als Militärpsychologe am militärischen Auftrag nicht mehr vorbeikommen. Da ist eine Schlucht, die Gewissensschlucht, über die eine Brücke gespannt werden muss, um beide Seiten zu verbinden." Dr. Ferdinand: "Wie kann denn eine Brücke vom fünften Gebot zum Schiessbefehl gespannt werden; das ist doch unmöglich, weil das eine das andere grundsätzlich ausschliesst?" Der Psychologe: "Ich nenne diese Brücke deshalb 'Behelfsbrücke' oder 'Schluchtsteg' oder 'Kriegspfad', Sie können auch andere zusammengesetzte Worte dafür einsetzen, weil ich mir der Problematik bewusst bin, dass die Vernunft da an der Schlucht eigentlich abbricht und keine Brücke zulässt, weil es da nichts zu überbrücken gibt." Dr. Ferdinand: "Da gebe ich Ihnen recht, wenn ich auch nicht verstehen kann, wie so eine 'Behelfsbrücke' oder ein 'Schluchtsteg', oder wie Sie es sonst noch nannten, überhaupt gedacht werden kann, oder freier formuliert, eine Brücke zwischen dem fünften Gebot und dem Schiessbefehl zu spannen, die doch widersinnig ist, von welcher Seite Sie die Brücke auch betrachten, solange man noch alle Sinne beisammen hat. Bei diesem Brückenbau kann doch nur der militärische Auftrag gelten, wo das fünfte Gebot, als der andere Brückenpfeiler, gewaltsam weggesprengt und in die Schlucht geworfen wird, die Brücke also nur dem militärischen Pfeiler aufsitzt, die, weil die Statik nicht stimmt, auf der moralischen Seite völlig in der Luft hängt, wie es der Schiessbefehl will.

      Dieses gedankliche Monster nennen Sie eine Brücke oder Behelfsbrücke oder sonstwie, und setzen dieses Ungebilde, weil es dem gesunden Menschenverstand widerspricht, den Soldaten vor, die mit ihren Gewissensnöten zu Ihnen kommen, um von den Qualen des Tötenmüssens befreit zu werden. Das verstehe ich eben nicht." Der Psychologe hatte es verstanden und schwieg, weil es da keine Brücke gab, die solche Gegensätze miteinander verbindet und überbrückt. Es war ein strategischer Irrsinn, der zweckgebunden vom Leben in den Tod gespannt wurde, wofür der Koffer mit den psychologischen Sonden der völlig falsche Koffer war, wie es ein Kochbuch oder Gedichtsband für einen Chirurgen war, der ein Anatomiebuch brauchte, um sich für eine schwierige Operation vorzubereiten. Die Wahnvorstellung von einer Brücke über die Schlucht, die zwischen fünftem Gebot und Schiessbefehl liegt, war so alt wie die Menschheit ist, und die Menschen wissen um die fehlerhafte Statik, weil sie einem Irrsinn aufsitzt. Diese Statik hat mit der Brücke nichts gemeinsam, über die Kristofina ging, die vom Blitz getroffen wurde, der ihr den rechten Unterschenkel verschmorte, das Schienbein verkohlte und ihr noch andere schwere Verbrennungen zufügte, die von Natur aus nicht mit dem Leben zu vereinbaren waren. Dr. Ferdinand hatte sich bei der Vorstellung dieses Monsters erschrocken und fand es tragisch, dass so eine Schlucht, über die es keine Brücke geben durfte, auch noch psychologisch mit einer Behelfsbrücke oder einem Schluchtsteg überspannt wurde oder überspannt werden sollte beziehungsweise musste, um der Uniform zu genügen, mit der der Schiessbefehl einherging.

      Das Telefon läutete, Dr. Lizette nahm beim dritten Klingelzeichen den Hörer ab, bekam ein ernstes Gesicht, als würde sie eine schlechte Botschaft empfangen und am Schluss sagte, dass sie Dr. Ferdinand davon in Kenntnis setzen werde. "Es war die Nachtschwester vom 'Outpatient department', wo ein Mann liegt, der angeschossen wurde, dem die verletzten Darmschlingen aus dem Bauch heraushingen." Der Psychologe machte ein betroffenes Gesicht, denn zum Alltag konnte auch er keinen konstruktiven Beitrag leisten, um der Gewalt ein Ende zu setzen. Dr. Ferdinand dankte für den schönen Abend mit dem köstlichen Essen und das interessante Gespräch. Sie drückten gemeinsam den Wunsch aus, dass ein solcher Abend wiederholt werden sollte, um das Gespräch fortzuführen. Das Ehepaar brachte Dr. Ferdinand zum Auto, der Psychologe öffnete das Ausfahrtstor, und sie wechselten noch einige freundliche Worte durch die runtergedrehte Scheibe bei laufendem Heckmotor. Dann fuhr Dr. Ferdinand davon und brachte den Abend als atmosphärisch und aufschlussreich in sein Gedächtnis. Er passierte die Sperrschranke am Dorfausgang, zeigte sein 'Permit' vor, liess das Innere des Käfers von einem Wachhabenden von rechts und links beäugen, während zwei andere Soldaten den Karabiner schussbereits in der Hand hielten und die Inspektion verfolgten. Dr. Ferdinand setzte die Fahrt mit Umfahren der grössten Schlaglöcher fort, bog nach zweihundert Metern links ein, liess die Räder in jene Schlaglöcher schlagen, die er nicht umfahren konnte, fuhr durch die Hospitaleinfahrt, wo der Pförtner auf einem seitlich zurückgesetzten Stuhl sich die Nachtruhe nicht nehmen liess, und stellte das Auto vor den beiden Fenstern an der Schmalwand der Intensivstation ab. Er sah auf die angereihten Körper der in Decken eingerollten Schlafenden auf dem Betonboden vor der Rezeption, als er die OPD (Outpatient department) betrat und geradewegs auf die Trage zuging, auf der der Verletzte lag, die von zwei anderen Männern, die sich als Brüder ausgaben, umstellt war. Dr. Ferdinand hob die Decke hoch und sah die heraushängenden Darmschlingen aus dem Bauch, die an mehreren Stellen aufgerissen waren, als ihm der ältere der beiden Männer den Unfall schilderte, was die Schwester ins Afrikaans übersetzte. Es war dunkel, als drei Männer urn ihren Kraal herumstrichen und dabei waren, zwei Rinder zu stehlen. Der jüngere Bruder schlug mit dem Knüppel auf diese Männer ein, als einer mit der Pistole auf ihn schoss, was er, der ältere Bruder hörte, der dem jüngeren zu Hilfe eilte und die drei Männer wegrennen sah, die mit einem 'Casspir'.davonfuhren. Die beiden Rinder brachte er in den Kraal zurück und verhängte ihn mit dem dicken Balken. Es waren Männer der Koevoet, jener gefürchteten Spezialeinheit, die mit dem 'Casspir' kamen, um nun auch Rinder zu stehlen und dabei dem, der im Recht war, in den Bauch schossen. Dr. Ferdinand nahm Blut zur Kreuzprobe ab, während die Schwester den Laboranten telefonisch aus dem Bett holte. Die Nachtschicht im Op und Dr. Nestor wurden von der Notfalloperation in Kenntnis gesetzt, dann rollten Arzt und Schwester den Patienten zum 'theatre'.

      Dr. Ferdinand sass umgezogen im Teeraum und dachte bei der Tasse Tee über den Abend bei Dr. Lizette und ihrem Ehemann nach. Er konnte es einfach nicht verstehen, dass Menschen dort Brücken bauen, wo sie nicht hingehören, und damit den Versuch an der falschen Stelle machen, das Unmenschliche menschlich einzukleiden, um dem unmoralischen Verhalten einen moralischen Anstrich zu geben. Er nannte es die 'moralische Verwerfungszone', die er sich wie einen riesig aufgeworfenen Vesuv mit einem grossmäulig gähnenden Rachen eines hundert Meter langen Riesenkrokodils vorstellte, das die perverse Bande mitsamt dem unmenschlichen System mit seinen scharfen Reisszähnen zerkleinert und verschluckt, weil sie mit Brücken hantierte, deren Statik vorn und hinten nicht stimmte. Dr. Nestor war eingetroffen, der sich umzog und mit verschlafenem