Das Herz unter der Robe. Julika Szabó. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julika Szabó
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748595656
Скачать книгу
anzuschleichen und mich so zu erschrecken!«, fahre ich Silke unbeherrscht an, die vollkommen unbemerkt hereingekommen ist.

      Silke Herrmann ist meine Partnerin und mittlerweile fast so etwas wie meine zweitbeste Freundin geworden. Sie verfügt neben einem herzerfrischenden Lachen über die beneidenswerte Gabe, unbekümmert in den Tag hineinzuleben und immer optimistisch in die Zukunft zu blicken. Das Einzige, was sie ab und an bekümmert, sind ein paar Speckpölsterchen zu viel, die sie mit einer wöchentlich wechselnden Diät mehr oder weniger vergeblich zu bekämpfen versucht.

      »Und überhaupt, Frau Herrmann. Hast du keine Arbeit?«

      »Purzelchen, das Gleiche müsste ich dich fragen. Frau Alibaba sitzt schon seit einer Dreiviertelstunde in Tränen aufgelöst im Wartezimmer und erzählt Janine alles, was ihr Herr Alibaba wieder angetan hat.«

      »Na ist doch perfekt. Wird doch auch langsam Zeit, dass unsere Auszubildende endlich das pralle Leben kennenlernt. Dann muss ich mir das Ganze nicht wieder anhören. Und wenn sie fertig ist, wird sie ihm alles verziehen haben und zufrieden zu ihrem Ali und seiner Wunderlampe nach Hause gehen. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.«

      »Puh, so abgebrüht wie du möchte ich mal sein, Hasilein.«

      »Quatsch abgebrüht. Realistisch. Die Gute ist nämlich zum dritten Mal hier. Als Ali sie das erste Mal mit dem Messer bedrohte, habe ich noch am gleichen Tage eine einstweilige Anordnung gegen ihn erwirkt, nach der er eine Entfernung von 500 Metern zu ihr einhalten musste. Noch am gleichen Abend hat sie ihn wieder in die Wohnung gelassen und ihm Couscous gekocht.«

      »Ja, so sans, die alten Ägypter.«

      »Beim zweiten Mal hat er ihr einen Topf Kichererbsen über den Kopf gekippt. Verbrennungen zweiten Grades. Natürlich am Freitagabend. Und was mache ich blöde Kuh? Ich streiche mein Wochenende, mache den notdiensthabenden Richter kirre, bis ich am Samstagmorgen endlich wieder eine einstweilige Anordnung in den Händen halte. Und abends, als ich mir zum Einschlafen mein wohlverdientes Bier an der Bude umme Ecke holen will, wer steht da turtelnd und trinkt sein Bierchen, man gönnt sich ja sonst nichts? Ali und Baba. Herr und Frau. An diesem Abend habe ich mir geschworen, mich NIEMALS, NIEMALS wieder von irgendetwas oder irgendjemandem aus der Ruhe bringen zu lassen. Und schon gar nicht von einem MACHO oder einer dämlichen Frau, die einem ebensolchen hinterherläuft.«

      »NIEMALS ist ein so hartes Wort. Und das ist jetzt die ultimative Weisheit? Bis morgen früh oder morgen Nachmittag? Kati, hör doch endlich auf, immer alles grundsätzlich regeln zu wollen. Du wirst weder dich, die Alibabas noch alle anderen Männer auf der Welt ändern können. Irgendwann steht wieder einer vor deiner Tür und bettelt um Einlass. Wirst du auch dann ruhig bleiben wollen und ein gutes Buch aufschlagen oder nach der Lektüre der Neuen Juristischen Wochenschrift um 21.00 Uhr ins Bett gehen wollen? Lebe doch einfach. Rede nicht immer drüber!«

      Das saß. Wieder einmal hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Ständig wollte ich mich und mein Leben ändern. Alles besser machen. Bis zum Perfektionismus.

      War die Beziehung kaputt, würde Silke einfach sagen: Schwamm drüber. Andere Väter haben auch noch schöne Söhne. Und wenn nicht, warum denn nicht gleich den Vater selbst?

      Und zur Belohnung würde sie sich dann ein Spaghetti-Eis mit Extra-Sauce gönnen.

      Ich hingegen müsste alles siebenundzwanzigundeinmal hinterfragen, um dann mit Hilfe meines Psychologieratgebers zu der Erkenntnis zu kommen, dass ich mir aufgrund eines frühkindlichen Geburtstraumas immer den falschen Typ Mann aussuchen würde.

      Den Nachbarsjungen, der mir im zarten Alter von drei Jahren mit aller Wucht eine Spielzeugwumme auf den Kopf gehauen hatte. Immer nur der wars, den ich wollte. Den Wilden. Unbezähmbaren. Der an meinen Zöpfen zog, bis ich schrie. Nie den, der mir mit den Förmchen so schöne Sandtörtchen backte.

      Leider hörte der Ratgeber an der entscheidenden Stelle auf. Wie man es anstellte, den Richtigen zu wollen und dann auch noch zu finden, wurde nicht verraten.

      »Okay Baby. Ich bekenne mich schuldig. Schuldig im Sinne der Anklage. Bei dir hat Leugnen ohnehin keinen Zweck.«

      Auch wenn es noch ein erhebliches Weilchen dauern würde, bis ich Bernd vergessen hätte, so war es doch an der Zeit, ins Leben zurückzukehren. Ich proste Silke mit meiner Kaffeetasse zu:

      »Und als Dank für deine Lebenshilfe in allen Lagen lade ich dich heute Abend ins Bella Italia ein. All inclusive. Schließlich müssen wir noch Müller-Voigtländers Beratungshonorar verprassen. Sagen wir um acht?«

      »Okay um acht, meine Süße. Das passt mir gut. Ich mach im Moment sowieso die Pizza-Pasta-Rotwein-Diät. Und nun lass uns wieder ausschwärmen und Freude bereiten und wenn nicht Freude, dann wenigstens für Recht und Gerechtigkeit oder zumindest gefüllte Bankkonten sorgen.«

      Kaum ausgesprochen, entschwindet sie, um der nächsten Mandantin mit einem strahlenden Lächeln zu ihrem künftigen Glück allein zu verhelfen.

      »Ach, Frau Bamberger, ich hoffe, Sie haben nicht zu lange gewartet. Aber nun stehe ich voll und ganz zu Ihrer Verfügung. Und wie nett, Ihren Felix haben Sie auch wieder mitgebracht.«

      Mit einem breiten Lächeln geleitet Silke ihre nächste Mandantin, eine Omi mit wippenden Löckchen samt Pudel mit identischer Haarfarbe und Glitzerhalsband, in ihr Besprechungszimmer. Die beiden sind ein weiterer Beweis, dass sich Ehemänner und Frauen oder Frauchen und Hund nach einer langen Ehe immer ähnlicher sehen.

      Ich selbst halte noch ein wenig inne, um das soeben beendete Gespräch zu verdauen. Schon wieder ertappe ich mich dabei, mir einen Vorsatz zu nehmen, ein Gelübde abzulegen, so wie sich manch einer zum hundertsten Mal das Rauchen abgewöhnen will, um sich dann in der nächsten Minute erneut eine Zigarette anzuzünden.

      Ich will zurückkehren in das Leben. Ein Leben ohne feste Vorsätze. Denn die würde ich ohnehin wieder über Bord werfen. Ein Leben mit Spaß und ohne Tränen. Und fast ohne Schokolade.

      Kapitel 2

      Um 7.35 Uhr schlägt das Faxgerät Alarm.

      Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit befinde ich mich bereits seit einer Dreiviertelstunde im Büro, um mich durch die zahlreichen aufgelaufenen Aktenstapel, die mir schon seit Wochen den ungehinderten Zugang zu meinem Schreibtisch verwehren, durchzukämpfen.

      Bevor ich dem Fax zu Hilfe eile, gönne ich mir erst einmal einen doppelten Espresso Camorra No. 3, um mich bei Arbeitslaune zu halten. In Gedanken proste ich Giuseppe, unserem italienischen Lieblingsmandanten No. 3, und seinem hervorragenden Bardolino zu, der einen auch bei übermäßigem Genuss am nächsten Tage klar denken, flüssig diktieren und gut aussehen lässt. Ein kurzer Blick in den rosenumrankten Schneewittchen-Spiegel neben der Kaffeemaschine bestätigt dies.

      Sodann lege ich einen kurzen Sprint zum Fax ein. Wer besitzt denn wohl die Unverfrorenheit, um diese Uhrzeit schon seitenweise Faxe zu senden, obwohl Rechtsanwälte und auch deren Angestellte bekanntermaßen Langschläfer sind? So etwas tun nur Kollegen, die etwas zu verbergen haben oder einem wutentbrannten sofortigen Rückruf entgehen wollen.

      Ja, was müssen meine kurzsichtigen Augen da lesen:

      EILT, BITTE SOFORT VORLEGEN!

      Der Tag fängt ja heiter an.

      ANTRAG AUF ERLASS EINER EINSTWEILIGEN AN-

      ORDNUNG

      In Sachen Müller-Voigtländer ./. dito

      Und noch ein ANTRAG AUF ERLASS EINER EINST-

      WEILIGEN SORGERECHTSREGELUNG.

      Zur Krönung dann noch ein ANTRAG AUF HAUS-

      RATSAUSEINANDERSETZUNG.

      Meine Stimmung sinkt auf den Nullpunkt.

      Was muss ich da lesen?

      Mrs. Müller-Voigtländer verlangt 2.000,– Euro Unterhalt. Und das alleinige Sorgerecht für die Hunde. Und