Das Gebrüll von Fabian geht in der Menge unter. Der Techniker schaut nur kurz zu Josef und dreht den Schalter auf Stufe eins. Wie bei Lukas eben, ist das nicht mehr als ein Witz. Der Bulle schaukelt etwas, aber mehr kommt da nicht rüber.
Der Techniker jodelt wieder durchs Mikro: „Willst du mehr? Wollt ihr mehr sehen? Frisch aus der Hölle zu uns gestiegen, um uns das Fürchten zu lehren.“
Er dreht den Schalter sofort auf fünf. Josef spürt den Ruck sofort und drückt seine Beine noch fester gegen die Schultern der Bestie. Nur dieses abrupte, plötzliche Stoppen macht ihm zu schaffen. Der Techniker hat nur ein fieses Lächeln übrig und dreht den Schalter auf Stufe sieben. Josef verzieht sein Gesicht. Dass sein Rumpf schneller nach vorne schießt als sein Kopf, der immer etwas länger braucht, um diese elektrische Gewalt zu verstehen.
Sein linker Arm wirbelt durch die Luft. Der Techniker hält weiterhin seine Hand am Schalter und dreht in langsam in Richtung Acht.
Binnen einer Zehntelsekunde spürt es Josef sofort, dass sein rechtes Knie, unkontrolliert, haargenau wie eine Faust aufs linke Auge passt, als er wie eine Rakete abhebt. Den Salto, den er dabei hinlegt, gibt es gratis dazu. Vielleicht hätte die Matte etwas größer ausfallen sollen, dann wäre die Landung auch weicher ausgefallen.
Die Menge tobt, kreischt und lacht über Josef, dass auch den Techniker mit seinem Gelaber am Mikro übertönt.
Immer noch außer sich vor Lachen bringt Karin eine Runde Sekt – es sind nur noch einige Minuten bis Neujahr.
Karin: „Leute der Sekt geht auf Hannes, er hat sich lange nicht mehr so gut unterhalten. Und der Eisbeutel ist für Josef, den wirst du heute noch länger brauchen. Puh, dein Auge sieht ja schlimm aus, muss doch verdammt schmerzen?“
Fabian: „He, unseren Josef kann so schnell nichts erschüttern, was ihn nicht umbringt, macht ihn nur noch härter. Der verträgt schon eine Packung und wenn das Auge blau wird, kommt eben eine Gesichtsmaske darauf, sieht vielleicht noch besser aus als das Original.“
Anna hält derweil Augenkontakt zu Sarah, die neben Paul sitzt und wartet auf eine Reaktion von ihr. Fast unscheinbar legt Sarah ihre Hand auf die von Paul, schaut ihm nur kurz in seine Augen und lächelt ihn an. Und damit hätte sie nicht gerechnet, denn Paul erwidert ihr Lachen und mehr, er hält, ohne einen Ton von sich zu geben ihre Hand fest und zieht Sarah an sich heran.
Anna: „Und so wie es ausschaut, hat natürlich niemand ans Bleigießen gedacht. Man, ihr seid vielleicht schlimme Leute!
Aber zumindest, wie es ausschaut, hat sich für jemanden ein Herzenswunsch erfüllt.“
Lukas starrt auf die Uhr, hält das Sektglas in der Hand und verschüttet die Hälfte. Der Countdown beginnt, wobei der halbe Saal nur Hannes im Auge hat, der jetzt durch Mikrofon die Zeit ankündigt.
Hannes: „Lasst uns Anstoßen auf das neue Jahr, dass es so weitergeht, wie das alte Jahr aufhört und vor allem, Glück und Gesundheit für euch alle!“ Wie im Chor und im Takt, lauthals, so rattert die Menge, die Zeit bis zum Jahreswechsel runter…
KAPITEL 5
GARAGE DIE ZWEITE
Das geschlossene Garagentor öffnet sich langsam - da steht er! Der Bulli im neuen, tiefblauen Lack. Die verchromte Stoßstange ist die Zierde, die das Logo vom Wagen einfasst. Neben den vielen Werkzeugen und Chaos auf der Werkbank spielt leise das Radio in der Ecke, wobei der Moderator auf die Zeiten der Plastikscheiben eingeht.
Was wir vermissen in der digitalen Welt? Das leise, zarte Knacken der Schallplatten, wenn das schwarze Vinyl unter der Diamantnadel seine Runden dreht. Und der musikalische Leckerbissen für euch da draußen, ohne Kratzer und Knacken, der Mann mit den Hüften einer Schlange, Gelenke und Beine wie Gummi, MR. ELVIS PRESLEY mit All SHOOK UP aus dem Jahr 1957.
Paul nimmt die Hand vom dem Garagendrücker und schlendert langsam um den Bulli. Huscht mit dem Tuch, hier und da noch einmal über den Lack. Im Wagen sitzt Josef und umklammert das Lenkrad.
Paul sieht durchs offene Seitenfenster sofort, dass irgendetwas mit Josef los ist, ihn bedrückt – behält das Wissen über das Ungewisse, erst mal für sich!
Paul: „Schmeiß die Kiste an! Der Bock hat sich jetzt wirklich lange genug auf meine Kosten ausgeruht.“
Paul ist es anzusehen, er ist aufgeregt, nervös – geht in Gedanken vor dem Bulli auf und ab.
Josef steckt den Schlüssel ins Zündschloss und dreht ihn langsam nach rechts. Es klackt im Motorraum. Er hält den Schlüssel in Position und der Motor orgelt vor sich hin.
Josef: „Jetzt komm schon du altes Ersatzteillager, spring endlich an! Komm schon… Mach endlich… Mist Karre!“
Paul wedelt mit den Armen aufgeregt vor dem Bulli.
Und ruft Josef zu: „Tritt aufs Gas, damit er was zu schlucken hat!“
Josef hört die Worte bei der Geräuschkulisse vom Motor nicht. Dann passiert es, eine große schwarze Rauchschwarte dringt aus dem Auspuffrohr und lässt den Bulli erzittern, er läuft! Paul wischt sich den Angstschweiß von der Stirn und grinst zufrieden…
KAPITEL 6
DIE UNTERSUCHUNG VON SARAH
In der Klinik zur selben Zeit.
Sarah ist zur routinemäßigen Untersuchung für Arbeitnehmer, im Büro von Dr. Schröder bestellt. Sie sitzt ihm am Schreibtisch gegenüber, der sich eingehend mit einem Befund befasst. Tiefsinnig schaut er auf einige der Untersuchungsergebnisse und vergleicht die Werte mit den Daten am Monitor. Dr. Schröder rückt seine Brille zurecht, widmet sich nun Sarah, die sehr aufgelöst scheint, denn sie hat keinen Schimmer, weshalb sie bestellt worden ist. Und so:
„Nun Sarah, Fräulein Beck. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass ihr Befund bei der routinemäßigen Früherkennung positiv ausgefallen ist. Wir haben in den oberen Schichten, ein invasives Mammakarzinom in der rechten Brust festgestellt. Dieser Tumor ist bösartig und bedarf einer sofortigen Behandlung.“
Sarah verfällt in einen Schockzustand. Sie hat mit allem gerechnet aber nicht mit solch einer Aussage. „Aber… Aber…“ Stammelt sie…
„Wie kann das sein, dass kann sich nur um einen Irrtum handeln!“ Sie lächelt sehr emotional, ihre Wangen beginnen zu zittern.
„Ich bin doch erst dreiundzwanzig. Ich dachte, der Knoten käme noch von meiner Prellung, dem Sturz im Urlaub.“
„Das Alter spielt heute keine Rolle mehr. Auch bei jungen Frauen wird immer häufiger diese Diagnose gestellt. Was wir nicht diagnostiziert haben sind gebildete Metastasen. Das bedeutet, wir haben durch diese sehr frühe Erkennung, sehr gute Chancen einer vollkommenen Heilung.“
Dr. Schröder richtet wieder seine Brille, legt die Hände auf den Tisch und es ist ihm anzusehen, es fällt ihm sichtlich nicht einfach, einer jungen Frau diese Mitteilung zu geben.
„Um es frei wegzusagen, es könnte eine sehr schwierige Zeit für Sie werden. Wenn die Behandlung nicht ihre Wirkung zeigt, müssen wir zu gegebener Zeit, einen operativen Eingriff vornehmen, wobei wir nach weiteren Ergebnissen auch eine teilweise Entfernung im Brustbereich, in Betracht ziehen müssen. Es wird aber nicht bei dieser OP bleiben! Wir werden weiter eine Chemotherapie durchführen, deren Konsequenzen werden sich ebenfalls auf ihr jetziges Leben auswirken.“
Tränen treten langsam aus Sarahs Augen und Rinnen wie kleine Perlen über ihre Wangen. Sie legt ihre Hände auf den Oberschenkeln ab und reibt sie vor Angst und Nervosität.
„Was soll denn jetzt werden? Ich dachte, ich habe mein Leben vor mir und jetzt? Ich sehe doch ständig die Statistiken und wie die Krankheit in den meisten Fällen verläuft.“
„Sie Wissen, dass Sie hier in guten Händen sind und ihre Chancen stehen durch