Wallas zeigte dem angehenden Gesellen nun die größten Geheimnisse der Schmiedekunst. Obwohl Kard immer sorgfältig bei der Arbeit gewesen war, verrichtete er sie diesmal mit einer neuen Ernsthaftigkeit, einer konzentrierten Innerlichkeit, als ob sein Geist direkt in den Schmiedeprozess eingreifen würde.
Stundenlang hatten sie das Erz immer und immer wieder den Feuern ausgesetzt, der Minas-Stahl hatte inzwischen die erforderliche Reinheit, gegen Mitternacht hatte er unter den wachsamen Augen von Wallas den eisernen Kern eingefügt. Endlich, kurz vor Sonnenaufgang, hatte Kard die Klinge in die endgültige Form gefaltet. Wallas half ihm, auch die Parierstange anzufertigen und den Griff mit Echsenleder zu umwickeln. Kard setzte alles zusammen, vorsichtig verlieh er der Klinge am Wetzstein den letzten Schliff. Als die Sonne aufging, zündete Wallas Räucherstäbchen im Schrein Branus an. Es war ein feierlicher Moment.
Dann standen sie gemeinsam vor der Schmiede, Kard hielt sein neues Schwert hoch in die Luft und Branu, der Schöpfer, strich mit den Stahlen der Sonne über die Klinge und gab ihr seinen Segen.
Das Minas-Schwert war fertig. Kard betrachtete stolz sein Gesellenstück. Und auch Wallas war wohl ganz zufrieden. Er nickte zustimmend und schlug Kard auf die Schulter.
»Ein gutes Schwert, Kard. Probier es aus.«
Wallas zeigte ihm die Grundregeln des Schwertkampfs. Ausfallschritt, Parade, Ausweichen. Gegen eine normale Wache würde Kard, wenn er ein wenig trainierte, so vielleicht ein paar Minuten bestehen können. Bis er weglaufen konnte. Denn Kard hatte ganz sicher nicht vor, dieses Schwert jemals wirklich zu benutzen. Es war das Gesellenstück eines Schmiedes. Mehr nicht. Obwohl Kard den Verdacht bekam, dass Wallas ihn zu einem Kämpfer ausbilden wollte. Was für ein Unsinn. Das kann ja nicht sein. Wahrscheinlich gehörte es einfach zum Zunftbrauch, mit seinem Gesellenstück auch ein wenig umgehen zu können, bevor es als Dekor über dem Kamin landete.
»Fettes Teil, für ein Menschenschwert«, bellte Madad, der sich inzwischen zu ihnen gesellt hatte. »Da sollen die Banditen mal kommen. Ich beiße ihnen in den Hintern und du haust ihnen eins über die Rübe.«
»Wenn ich einen Banditen sehe, lieber Madad, dann gebe ich den Pferden die Sporen und reite schneller als der Wind. Mit dieser Technik konnte ich bisher alle Pflugscharen an ihre Besitzer ausliefern.«
»Diesmal wird es aber keine Pflugschar, Kard«, unterbrach Wallas das freundschaftliche Geplänkel. »Das Minas-Schwert ist noch nicht ganz fertig.«
Verdutzt sah Kard seinen Meister an. Was sollte noch fehlen? Eine Verzierung am Knauf? Eine Änderung an der Parierstange? Die Klinge war doch perfekt!
»Ein Minas-Schwert wird erst ein Minas-Schwert, wenn es durch Branu, dem Schöpfer, gesegnet wird. Ein normales Schwert kann man von einem Govan segnen lassen, der die Magie Branus in das Metall fließen lässt. Aber ein Minas-Schwert erhält seine Magie durch den heiligen Urin eines Onchus, dem Wächter der heiligen Stätte, dem Boten der Götter. Dein Gesellenstück ist beendet, Kard. Du bist jetzt ein Schmied. Was jetzt vor dir liegt, wenn du bereit bist, diesen Weg zu gehen, ist deine Meisterprüfung. Und dein Meisterstück ist nicht etwa ein anderes Schwert oder irgend ein anderes Kunstwerk unserer Schmiedekunst. Es ist der Bund mit den Göttern.«
Bund mit den Göttern? Heiliger Urin? Was soll das alles sein? Um was geht es hier eigentlich?
Kard sah Wallas fragend an. Der entgegnete seinen Blick und Kard entdeckte in den gelben Pupillen, die er jetzt deutlich sah wie niemals zuvor, eine versteckte Unruhe, die er nicht zu deuten wusste.
»Geweihte Minas-Schwerter waren die Waffen der Drachenkönige, Kard. Ein geweihtes Minas-Schwert ist nicht einfach nur das Meisterstück eines Schmiedes. Es ist viel mehr. Und, ich sage es dir gleich, denn ich weiß, dass es dir nicht schmecken wird. Es wird den Wachen nicht gefallen, ganz und gar nicht. Es wird dem Herrscher selbst nicht gefallen. Ein geweihtes Minas-Schwert ist eine gewaltige magische Waffe. An der sich allerdings Branu, der Schöpfer, erfreuen wird.«
Es wird dem Herrscher nicht gefallen? Ist Wallas von allen Göttern verlassen? Auf keinen Fall wollte Kard ins Visier von Flanakan kommen. Die Wachen des Herrschers hatten kein Erbarmen. Aber noch schlimmer waren die Schergen, die Geheimpolizei, die in jedem Winkel des Reiches ihre Spitzel hatte. Also, er würde dieses Schwert jetzt in die Ecke stellen und ein wenig durch die Straßen von Conchar laufen, um wieder einen kühlen Kopf zu bekommen.
Aber das Schwert klebte an seiner Hand. Er betrachtete das bläulich schimmernde Metall und fühlte, wie er eins mit der Waffe wurde. Das Schwert gehörte zu ihm wie das Feuer, das wusste er jetzt. Und er wusste, dass diese Waffe noch nicht fertig war. Es fehlte etwas. Eine Leere, die gefüllt werden wollte. Und letztendlich ist es auch ein Dienst an Branu, oder? Das hat Wallas gesagt! Branu oder Flanakan, Gott oder Herrscher, wem sollte er dienen?
»Dieses Schwert soll mein Schicksal sein, Wallas.« Die Worte kamen ganz alleine aus seinem Mund. Am liebsten hätte Kard sie wieder eingefangen und zurück in den Hals gesteckt. War er denn verrückt geworden?
Der Torak aber schien erleichtert, er atmete tief ein.
»Aber was hat es mit diesem Onchu auf sich?« Wieder schien sich ein Teil seiner Persönlichkeit verselbständigt zu haben. Natürlich war das alles sehr spannend und Kard interessierte es wirklich, wieso man ein Minas-Schwert in Onchu-Urin tauchen sollte. Aber sollte ich nicht lieber in den Himmel schauen und den Wolkentieren lustige Namen geben? Das Schwert könnte man schön an die Wand hängen und morgen würde er wieder ein paar Spitzhacken anfertigen.
Kard kannte die Legenden über die Onchus. Die Götter, die einst das Land erschaffen hatten, die die Elemente ins Leben gerufen und Leben und Tod für alle Lebewesen unter der Sonne verteilt hatten, hatten als Wächter ihrer heiligen Stätten die Onchus zurückgelassen. Magischen Hunde, größer als ein Torak. So sagten die Legenden. Aber mal im Ernst, das sind doch Märchen, oder?
»Klingt komisch, das mit dem Onchu, ich weiß.« Wallas grinste den Jungen an.
»Yo, cool, ein Onchu. Mama hat von ihnen erzählt. Wir sind irgendwie verwandt. Die können auch sprechen. Sogar mit den Göttern, ziemlich abgefahren.« Madad wirkte ein wenig aufgeregt.
»Aber das sind doch nur Legenden, Wallas. Onchus gibt es nicht, das sind Sagengestalten.«
»Da irrst du dich, Kard. Die Onchus existieren. So wie die Götter. Und ich kann dir sagen, wo du einen dieser göttlichen Wesen finden wirst. Madad wird dich begleiten.«
Begleiten? Wohin? Von was redet Wallas da gerade?
»Genau, wir sind nämlich Nachfahren der Onchus. Irgendein Uropa war wohl mal einer von denen. Sagt Mama. Außerdem sind wir die besten Pfadfinder, Spürhunde, Fährtenleser von ganz Haragor. Sagt Mama«, kläffte Madad stolz.
»Kommt mit, ich zeichne euch eine Karte in die Asche. Die müsst ihr euch merken. Und morgen geht es los Richtung Norden. Ihr müsst tief hinein in den Drachenwald.«
Kard stöhnte. Losgehen? Was hat das alles zu bedeuten? Schon morgen? Onchus, Drachenwald, Schergen? Nein, das war nicht seine Welt. Er wollte lieber ein netter kleiner Schmied sein und ein paar Werkzeuge für die Bauern fertigen. Auch mal ein Messer und wenn es sein musste ein Schwert. Aber das alles hier in Conchar. In der Schmiede. Beim Feuer. Nicht irgendwo da draußen. Weit weg von allem, was er kannte und wo er sich sicher fühlte. Es würgte ihn, die Knie zitterten, alles in ihm schrie Nein. Aber ein anderer Teil von ihm verhinderte, dass er laut losheulte und folgte diesem seltsamen Torak zur Asche und staunte, als in dem grauen Mehl eine Karte entstand, mit der er eine Heilige Stätte Branus, dem Schöpfergott, finden sollte. Weit weg, dort draußen im Drachenwald.
Die Schwarze Burg
An der