Der Junge mit dem Feueramulett. Frank Pfeifer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Pfeifer
Издательство: Bookwire
Серия: Der Junge mit dem Feueramulett
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783753191164
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lächelte.

      »Äh, schöne Arbeit, tolles Wetter…«, R’lan stotterte vor sich hin.

      »Und, was machen die Gefangenen? Irgendwelche besonderen Vorkommnisse?«

      »Äh, nein, alles wie immer.«

      »Neuzugänge?«

      »Ein Junge kam vorgestern. Embi. War schon bei Sorb.« R’lan fing unter seiner Uniform an zu schwitzen. Bei Laoch hatte man irgendwie das Gefühl, die Verbrechen selbst begangen zu haben, über die man ihm berichten sollte. Dabei war es keine Seltenheit, dass er hier vorbeischaute. Einerseits besprach er sich ab und zu mit Makral, dem Obersten der Wache, andererseits spazierte er öfters durch die Gänge und ließ sich von der Stimmung dort unten inspirieren.

      »Aha, ich weiß schon, der mit dem Amulett von Aidan.«

      R’lan schluckte. Dass einer den Namen des alten Widersachers von Flanakan so freimütig aussprach, gab es auf der Schwarzen Burg selten. Aber immerhin war das hier ja auch Laoch, der konnte sich das wohl erlauben.

      »Alles fügt sich«, sagte Laoch und schaute in Richtung der Verliese.

      »Wie meinen?«

      »Vergiss es. Wo ist Makral?«

      R’lan deutete auf den Wachturm, woraufhin Laoch mit beschwingtem Schritt in diese Richtung verschwand.

      *

      Nanda sang. Irgendwie klang es noch nicht richtig. Sie erinnerte sich genau wie ihre Mutter die magischen Lieder gesungen hatte. »Kind«, hatte sie zu ihr gesagt »schließ die Augen und lass dich erfüllen vom Geist Crednas, unserer Schutzpatronin. Hör zu und lass dich forttragen. Wir Frauen, selbst wir Govas, haben in dieser Welt nur wenige Waffen. Aber mit unseren Liedern können wir uns direkt in die Herzen der Männer singen, unserer Lieder sind unsere Schwerter!« Vor nicht allzu langer Zeit war ihr die Bedeutung dieser Worte noch völlig schleierhaft gewesen. Sie hatte sich nicht gefragt, wieso ihre Mutter immer leise vor sich hin gesungen hatte, während sie über den Marktplatz gegangen waren. Das freundliche Lächeln des Mannes, der ihnen ab und zu ein Laib Brot schenkte, war ihr immer eine Selbstverständlichkeit gewesen. Erst als ihre Mutter gestorben war und sie allein über den Markt gehen musste, verstand sie langsam, was ihre Mutter damals bewirkt hatte. Ihre Mutter, Gova von Credna, Göttin der Liebe, hatte den Menschen die Gabe ihrer Schutzpatronin geschenkt. Liebe, Hoffnung, Sehnsucht. Eine Weile hielt dieser Zauber auch noch nach dem Tod ihrer Mutter an und begleitete Nanda beim Gang über den Markt. Aber nichts hält ewig in dieser Welt, das wusste Nanda inzwischen. Die Menschen vergaßen die Lieder, sie vergaßen die Hoffnung und die Liebe und Nanda lernte, was es hieß, eine Waise zu sein. Hunger war bald ihr ständiger Begleiter gewesen.

      Sie betrachtete das Pentagramm, das sie in den Staub des Fußbodens mit ihren Fingern gezeichnet hatte. In der Mitte lag ein Haar, festgeklebt mit dem Blut einer Schabe. Sie stellte sich vor, dass R’lans Schritte die Stufen herabkommen würden, und begann erneut zu singen. »Das klingt doch jetzt schon ganz gut«, dachte sie.

      *

      Makral stand auf dem Wachturm neben dem Haupttor der Schwarzen Burg und betrachtete mit dem Fernrohr nicht etwa die weiten Ebenen vor Conchar, seine Aufmerksamkeit galt vielmehr der einfachen Wache R’lan. Als Oberste Wache hatte er nicht nur für Ruhe und Ordnung im Reich zu sorgen, und dafür benötigte er zuverlässige Männer. Zuverlässige Männer mit Pflichtgefühl und Beständigkeit.

      Der Kerkerdienst stimmte R’lan offensichtlich recht fröhlich. Und das war wirklich seltsam. R’lan hatte ein weiches Herz, das wusste Makral, obwohl es ihm im Grunde nicht wirklich klar war, was dies wirklich bedeutete. Aber in seiner mechanischen Art hatte sich Makral eine Art inneres Wörterbuch zurechtgelegt, um die Launen der Menschen und seiner Wachen im Besonderen besser verstehen zu können. Er selbst kannte so gut wie keine Gefühle. Ein gutes Schoff war nicht zu verachten. Ein gutes Steak vom Tok-Rind – wirklich lecker. Aber was die Soldaten am Tanz fanden, bei dem sie mit den Weibern komische Verrenkungen ausführten, konnte Makral auch nach intensivem Nachdenken nicht nachvollziehen. So hatte er in seinem Kopf eine Art Wörterbuch angelegt, das ihm half, Gefühle und Verhalten der normalen Wesen einzuordnen. Und R’lan hatte normalerweise nach einer Woche Kerkerdienst merklich an Spannkraft verloren. Irgendwas da unten schien ihm die Kräfte zu rauben. Makral wusste nicht was, aber so war es. Solange R’lan seinen Dienst akkurat verrichtete, war ihm das auch gleichgültig. Immerhin zeigte R’lan in diesem Verhalten eine beruhigende Beständigkeit. Doch in dieser Woche lief es anders. Jeden Tag kam R’lan fröhlicher die Treppen herauf, die letzten Stufen sprang er fast nach draußen und wäre beinahe mit Laoch zusammen gestoßen. Jetzt lief er über den Hof und pfiff ein Lied vor sich hin. Makral kannte das Lied, aber konnte sich nicht erinnern, wo er es bereits gehört hatte. Die Melodie ließ ihn völlig kalt.

      Makral erkannte Laoch an den Schritten.

      »Guten Tag, Makral.«

      »Guten Tag, Loach. Wie geht es dem Obersten der Schergen?«

      »Man hat so seine Sorgen, lieber Makral, Oberster der Wache.«

      Man konnte nicht unbedingt sagen, dass die beiden Freunde waren, aber da sie vergleichbare Positionen begleiteten, war eine gewisse Nähe durch die Ähnlichkeit der Alltagsprobleme entstanden. Man konnte ja einen einfachen Schergen oder eine einfache Wache zum Beispiel nicht fragen, ob man einem Zechpreller eher die Hand abhacken sollte oder ob zwanzig Peitschenhiebe ein angemessenes Maß der Bestrafung waren. So etwas konnte man nur von Oberst zu Oberst angemessen diskutieren.

      »Wem sagst du das, Laoch. In letzter Zeit habe ich den Eindruck, dass die Räte sich nicht nur um ihre Zünfte und Gilden kümmern wollen, sondern gerne mir ins Handwerk pfuschen würden.«

      »Das ist interessant, auch meine Leute berichten mir von einer gewissen Unzufriedenheit im Volk.« Loach trommelte nachdenklich mit den Fingerspitzen auf die Mauer des Wachturmes.

      Makral schaute von der hoch über der Stadt gelegenen Plattform hinunter in das Labyrinth der Gassen. Menschen und Toraks schlichen wie Ameisen durch die engen Schluchten. Über dem Gerberviertel weit im Süden der Stadt schwebte eine fahle, durchsichtige, grüne Wolke. Offensichtlich brauten sie dort heute ihre Laugen, eine sich monatlich wiederholende Prozedur. Anlass für diese Zunft, nach getaner Arbeit abends ausgiebig zu feiern. Gut so, dachte Makral. Lieber ein fröhlicher Gerber als ein aufmüpfiger Gerber. Obwohl. Dafür waren die Wachen schließlich da. Um die Aufmüpfigen, die Unzufriedenen und die Nörgler daran zu erinnern, dass unter Flanakan die Welt einfach nur schön sein durfte. Laoch mit seinen Spitzeln sorgte dafür, dass sich alle gegenseitig misstrauten. Aber wenn, wie bei diesen unerträglichen Temperaturen, sich die Gemüter der Bürger erhitzten, standen Makrals Wachen bereit, um sie wieder zu beruhigen. Zur Not mit ein bißchen Prügel. Oder abgehackten Ohren. Wozu hatten sie denn sonst die Schwerter?

      »Wieso?«, fragte Makral nun den Obersten Schergen.

      »Wieso was?« Laoch hatte gerade den Faden verloren.

      »Wieso es interessant ist?«

      Laoch erzählte von dem widerspenstigen Torak. Dann gäbe es diesen Gefangenen mit dem Aidan-Amulett, so etwas hatten sie schon ein paar Jahre nicht mehr in der Zelle gehabt. Und jetzt die widerspenstigen Räte, das passte alles zusammen.

      »Es ist einfach zu heiß, Laoch. Den Leuten steigt die Hitze zu Kopf. Mehr ist es glaube ich nicht.«

      »Aber Tsarrs Vision, Makral. Die Sonnenfinsternis. Irgendetwas wird passieren!«

      Makral, der wusste, wie Laoch es schaffte, der Obersten Gova gefällig zu sein und ihren Visionen zu Realitätsgehalt zu verhelfen, wirkte nicht überzeugt. »Ist es nicht jeden Sommer so? Wenn ein paar Wochen kein Regen gefallen ist und das Schoff immer dünner und das Winxbrot immer teurer wird, dann werden die Leute eben unzufrieden. Das ist ganz normal.«

      »Du hast schon recht, Makral, Oberster der Wache. Aber was sagen deine Leute so, ist es wirklich so wie immer?«

      Die Wachen, denen Makral vorstand, patrouillierten durch ganz Haragor und natürlich auch durch die Hauptstadt des Reiches. Sie