Schattensamt. Klara Chilla. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klara Chilla
Издательство: Bookwire
Серия: Der Clan der Selkies
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742796370
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war immer noch so ruhig, wie vorhin, als ich mit meinen Eltern draußen gewesen war. Leichte Wellen schlugen gegen das Boot, die die gleiche graue Farbe hatten wie der ausnahmsweise wirklich schottisch wirkende wolkenverdeckte Himmel. Langsam tuckerte Fearghas dahin und sah auf einem imaginären Punkt. Dabei wirkte er, als ob er mich inzwischen vollkommen vergessen hatte. Wieso wollte er ausgerechnet mir beweisen, wie gut er als Schwimmer war? Ich wurde immer neugieriger und hielt es nicht länger aus, nachdem wir die Bucht hinter uns gelassen hatten: »Was ist denn überhaupt passiert? Bei diesem Unglück, meine ich.«

      Fearghas richtete seine großen Augen auf mich und stellte den Motor ab. Eine Gänsehaut raste über meine Arme und meinen Rücken. War ich eigentlich noch bei Trost? Niemand wusste, wo ich war. Wenn er wollte, konnte er mich hier einfach ins Wasser werfen. Ich sah zum Ufer hinüber, das mir plötzlich viel zu klein und viel zu weit entfernt vorkam. Ich würde diese Strecke definitiv nicht mal eben so schaffen.

      »Meine Freunde und ich sind zu einer Bucht gefahren und waren dort schwimmen«, begann Fearghas da langsam und sah mich dabei unverwandt an. »Wir haben gegrillt und getrunken. Einige von uns vielleicht zu viel. Auf dem Rückweg kamen wir bei den Seehunden vorbei. Mein Freund Liam hatte Wurfsterne dabei. Das ist so ein dummes Hobby von ihm. Und damit hat er dann nach den Seehunden geworfen. Die anderen fanden das ungemein lustig und machten mit. Als sie sich nicht aufhalten ließen, wurde ich so wütend, dass ich aufgesprungen bin und das Boot mit Absicht zum Kentern gebracht habe. Es war nicht weiter schwer. Wir hatten bereits heftigen Wellengang.« Er schwieg, sah mich aber weiterhin an. Dabei entging ihm auch nicht, wie meine Hände ängstlich nach sicherem Halt suchten. Ich warf einen prüfenden Blick auf die Wellen und versuchte abzuschätzen, wie leicht es ihm wohl an einem Tag wie heute fallen würde, das Boot umzuwerfen.

      »Ich habe mich vergewissert, dass sich alle auf die Inseln retten konnten, und bin dann nach Hause geschwommen. Von dort hat mein Vater die Rettung angerufen. Das ist alles.« Damit stand er auf.

      Erschrocken klammerte ich mich an beiden Seiten des Bootes fest. Ich hasste es zutiefst, wenn jemand in einem Boot aufstand und es dann, wie wild zu schaukeln begann. Doch nichts geschah. Das Boot schaukelte nicht mehr als zuvor.

      »Ich weiß nicht, warum ich ausgerechnet dir das gleich zeige, aber ich muss es dringend loswerden.«

      Noch ehe ich fragen konnte, setzte er mit einem eleganten Kopfsprung über die Bordwand, und wieder schien das Boot dies kaum zu bemerken. Fearghas tauchte sofort wieder auf und sah mich merkwürdig an. Er war doch nicht verrückt, oder?

      »Ich schwimme täglich durch die Bucht«, erklärte er und tauchte ab. Verdammt, wohin? Suchend sah ich über die Wasseroberfläche, als er bereits wieder auf der anderen Seite auftauchte und sich leicht an der Bordwand festhielt. Das Boot kippte unmerklich und brachte mein Herz zum Jagen.

      »Das erklärt schon, warum du so eine weite Strecke schwimmen kannst«, plapperte ich halbherzig. Ich hatte mal gehört, dass man Verrückten gut zureden sollte. Ich hob meine Hand und verbiss mir einen Fluch. Beinahe hätte ich tatsächlich seine Hand getätschelt. Er musste es bemerkt haben, denn er grinste, was mich nun auch nicht gerade beruhigte.

      »Und wenn das Loch zufriert?«, fragte ich, nur um etwas zu sagen.

      »Dann schlage ich ein Loch in das Eis«, antwortete er, und jetzt wurde sein Grinsen richtig wild. Doch er bemerkte, dass er mich verängstigte. Seine Miene wurde schlagartig ernst. »Tatsächlich schwimme ich jeden Tag, Klara. Aber im Winter bin ich immer nach Oban ins Schwimmbad gefahren. – Ich war immer ein guter und schneller Schwimmer, aber vorgestern ist etwas geschehen, das alles verändert hat.« Er stieß sich leicht von der Bordwand ab und schwamm einige Züge zurück. »Als wir ins Wasser stürzten, spürte ich keine Kälte – auch jetzt tue ich das nicht. Und ich war so schnell wie nie zuvor. Sieh selbst.« Fearghas drehte sich im Wasser und – konnte ich es wirklich noch schwimmen nennen? – schoss davon. Mit fließenden Bewegungen glitt er in erstaunlicher Geschwindigkeit durch das Wasser, dass ich es kaum glauben konnte. Ich starrte ihm nach, aber mein Verstand konnte nicht ernsthaft aufnehmen, was er da sah. Mit offenem Mund verfolgte ich, wie er zu den Seehundinseln und wieder zu mir zurückschwamm. Immer noch sprachlos starrte ich ihn an, als er sich neben dem Boot ausstreckte und einfach treiben ließ. Nicht der geringste Hinweis auf körperliche Anstrengung war zu erkennen.

      Okay, dachte ich und versuchte mein Gehirn wieder zu starten. Er hatte ja wirklich den Oberkörper eines Profi-Schwimmers, aber das, was ich gerade gesehen hatte, war schlicht absurd und mit bloßem Training nicht zu erklären. Also, wie konnte das sein? Ein geheimes Militärexperiment, vielleicht? Vielleicht doch so ein Wassermann wie in meinem Buch? Lächerlich! Ich schnaubte, und Fearghas sah auf und warf wieder einen Blick auf die Sonne, die sich bald hinter den Bergen verstecken würde. »Es wird bald dunkel. Wir müssen zurück.« Wieder zog er sich mit dieser erschreckenden Leichtigkeit ins Boot und sah mich an, während er den Motor startete. »Und? Glaubst du mir jetzt?«

      Ich nickte nur. Was hätte ich auch sagen sollen? Normal war anders.

      Auf dem Rückweg sprachen wir nicht miteinander. Zu sehr beschäftigte mich das, was ich gerade gesehen hatte. Ich saß bloß da und versuchte ihn möglichst unauffällig zu beobachten. Erst als wir bereits den Weg zum Haus hinauf gingen, hielt er mich kurz auf.

      »Klara?«, sagte er leise.

      Überrascht begegnete ich seinem scheuen Blick.

      »Bitte erzähl niemandem davon.«

      »Wovon?«, sagte ich und lächelte schwach. Seine Hand brannte sich dabei in meine Haut. Er nahm sie fort, Erleichterung in der Stimme:

      »Danke!«

      Ich nickte und öffnete unser Törchen, um zur Tür zu gehen.

      »Hättest du vielleicht Lust, morgen Nachmittag eine Radtour mit mir zu machen?«

       Eine Radtour in Schottland? Automatisch schob sich das Bild vor meine Augen, in dem ich völlig verschwitzt und atemlos das Rad irgendwelche Bens hochschob. Kein verlockender Gedanke, mich derartig zu blamieren. Der Kampf zwischen Blamage und dem Wunsch, ein wenig Zeit mit Fearghas zu verbringen, schien mir deutlich ins Gesicht geschrieben zu sein.

      »Kaum Berge und am Ende wartet eine einsame Bucht zum Schwimmen.«

      Verlegen wischte ich mir ein paar Haarsträhnen aus den Augen: »Gut«, sagte ich. »Aber vormittags sind wir noch in diesem kleinen Zoo. Wir können erst danach los.«

      »Ich hole dich ab.« Leise schloss er das Tor und blieb dort stehen, bis ich im Haus verschwunden war.

      Kapitel 3

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      Am Abend luden uns Adam und Mairee in ihren Teil des Gartens zum Grillen ein. Ihre beiden anderen Söhne, die bereits achtundzwanzig und dreißig Jahre alt waren, saßen ebenfalls mit uns am Tisch. Während ich die Makrele extrem vorsichtig von Gräten befreite, versuchte ich unauffällig alle drei mit ihren Eltern zu vergleichen.

      Alexander und Oliver waren Adam wie aus dem Gesicht geschnitten, wobei Alexander auch die kleine und drahtige Figur von seinem Vater besaß.

      Oliver hatte nicht so viel Glück gehabt und Mairees eher untersetzte Gestalt geerbt. Beide hatten dunkelbraune Haare wie auch Fearghas. Das war auch das Einzige, was sie tatsächlich miteinander verband. Er war einfach größer und ... ja, sah auch besser aus und jetzt, Mist, er hatte mich wohl beobachtet, denn er grinste mich offensiv an.

      »Du suchst vergeblich«, sagte Fearghas in aller Seelenruhe und schob sich ein riesiges Stück Fleisch in den Mund. Das war bereits sein drittes Steak. Kein Wunder, dass er so riesig war. Allerdings hätte er auch fett sein müssen, dachte ich mit einem skeptischen Blick auf den See aus Saucen, der auf seinem überfüllten Teller schwamm.

      Cathy, die Freundin von Oliver, stieß mich an und lachte: »Das habe ich auch bei unserer ersten gemeinsamen Begegnung gemacht. Wir waren Essen in einem Restaurant, und ich habe die drei Jungs miteinander und mit