Er hatte Recht, und ich war der Idiot! Peinlich!
»Ich war in mein Buch vertieft. Es tut mir leid«, murmelte ich und wich seinem Blick aus, indem ich prüfend über den Einband meines Buches strich. Es schien von der Katastrophe glücklicherweise nicht beschädigt worden zu sein. Dann tupfte ich mit dem Handtuch über die feucht gewordenen Kissen. Gut, dass ich nur Wasser dabei hatte. Das gab wenigstens keine Flecken.
Als ich wieder aufsah, hatte Fearghas sich bereits den Rosenbüschen zugewandt, die wirklich einen traurigen Anblick boten. Die wenigen Blätter an den Stielen waren mit kleinen Punkten übersät und gelblich. Nur zwei Blüten hielten in diesem Trauerspiel die Köpfe standhaft aufgerichtet. Irgendwie taten sie mir leid, als Fearghas den Spaten mit Schwung in den festen Boden rammte. Er arbeitete schnell und kraftvoll und beachtete mich nicht mehr. Naserümpfend dachte ich an eine beleidigte Mimose und musste mir eingestehen, dass ich viel zu lange dazu brauchte, das feuchte Handtuch über die gedrechselte Brüstung des Pavillons zum Trocknen auszubreiten. Dabei schielte ich auf seine Bewegungen und musste zugeben, dass ich diesmal der Stalker war.
Ich widerstand der Versuchung, ein Foto mit meinem Handy zu machen. Aber tatsächlich bot Fearghas einen Anblick, der mir ausgesprochen gut gefiel. Er trug eine Jeans, die locker um seine schmalen Hüften saß und darüber ein stinknormales grünes T-Shirt. Bei jedem Stoß mit dem Spaten zeigten sich wohlgeformte Muskeln. Unwillkürlich grinste ich und musste an meine Freundin Julia denken. „Der Typ ist heißßßß!“, würde sie sagen, ganz klar. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich jetzt genau das tat, was ich vorhin bei ihm so schändlich verdammt hatte. Meine Wangen erhitzten sich von ganz alleine, und ich zog mich schnell auf die Bank zurück. Ich schlug das Buch wieder auf, darum bemüht, mich auf den Inhalt zu konzentrieren. Doch bereits nach wenigen Zeilen hatte mich die Atmosphäre in der Geschichte bereits aus der Realität entführt.
*
Ich war so versunken, in mein Buch, dass ich gar nicht bemerkte, wie die Zeit verging. Erst das laute Rufen Finns riss mich zurück.
»Klara! Wir wollen runter ans Loch. Kommst du mit?«
Keuchend blieb er vor mir stehen und hatte dabei nicht wenig Ähnlichkeit mit einem Hund, der einem die Leine bringt, damit man mit ihm Gassi geht. Eigentlich verspürte ich wenig Lust, mich von meinem Buch zu trennen, aber andererseits wollte ich es auch nicht zu schnell durchlesen. Es war schon merklich dünner geworden, und das gefiel mir auch nicht. Ich warf einen Blick an Finn vorbei nach draußen. Immer noch strahlend blauer Himmel! Nicht gerade typisches Schottland-Wetter, aber bestimmt schön, um ans Wasser zu gehen. Also nickte ich, woraufhin Finn bereits wieder herumwirbelte und schreiend davonrannte, dass ich mitkommen würde.
Von Fearghas war weit und breit nichts mehr zu sehen. Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, dass er die Büsche ausgegraben und das Beet anschließend säuberlich wieder hergerichtet hatte. Wenigstens hatte er mich in Ruhe gelassen. Nicht dass ich Interesse an der Bekanntschaft mit irgendeinem dahergelaufenen Schotten gehabt hätte.
Meine Eltern und Finn warteten bereits vor dem Haus. Gemeinsam liefen wir den Schotterweg herunter und erreichten innerhalb weniger Minuten das Loch, an dessen Ufer wir einer Straße bis zu einem kleinen Bootshafen folgten. Eine kleine Insel schirmte sie vom Rest des Lochs ab, in deren Bucht dadurch einige Segelboote in ruhigerem Wasser dümpelten. Im Hintergrund waren die Berghänge vom gegenüberliegenden Ufer zu sehen, die sich wie mächtige Wächter über die Szenerie erhoben. Es war wunderschön, und meine Mutter sparte wieder nicht mit begeisterten Ausrufen. Immer wieder blieb sie stehen und machte Fotos, während Finn bereits mit seinen Croqs direkt ins Wasser rannte.
»Das ist überhaupt nicht kalt. Ich will schwimmen gehen!«
»Jetzt warte doch erst einmal ab«, rief meine Mutter und watete ebenfalls mit ihren Trekkingsandalen hinein. »Ist das Wasser klar, schaut doch nur.« Sie winkte zu meinem Vater und mir herüber, dabei strahlten ihre blauen Augen. Meine Mutter liebte Wasser über alles. Für sie setzte in dem Augenblick die Erholung ein, wenn sie ein Stückchen Meer oder etwas Vergleichbares sah. Das Loch schien ganz klar ihren Ansprüchen gerecht zu werden.
Mit lautem Gebell sprang einer der Hunde, die uns vorhin auf der Farm begrüßt hatten, zu Finn ins Wasser und stellte sich abwartend vor ihn hin. Mein Bruder lachte laut, griff sich einen Stein und warf ihn in hohem Bogen ins Wasser. Der Hund sprang hinterher, kehrte dann zu ihm zurück und bellte erneut.
»Etive! Aus!«, schrie Adam, der plötzlich hinter mir aus einer kleinen Hütte auftauchte, den anderen Hund neben sich. Ich hätte schwören können, dass dieser Hund etwas abfällig auf seinen Kameraden herabsah.
»Hallo Adam«, sagte ich und lächelte.
»Hallo, Klara. Etive ist ein alter Hund, aber immer noch total verrückt wie ein Welpe. Ganz anders als unsere Dee.« Zärtlich tätschelte er der Hündin über den Kopf, die schwanzwedelnd davon rannte, als Fearghas auf dem Bootssteg auftauchte. Nahezu gleichzeitig trennte auch Etive sich von ihrem Spiel mit Finn und lief auf ihn zu. »Ja, da hält keiner von uns mit. Sobald Fearghas auftaucht, ist kein Tier hier mehr zu halten. Alle wollen sie von ihm gestreichelt werden.« Das Lächeln Adams wurde breiter und überstrahlte sein ganzes Gesicht. Es war sicherlich auch markant zu bezeichnen, da nicht zu übersehen war, dass er sich wohl die meiste Zeit an der frischen Luft aufhielt, hatte aber keinerlei Ähnlichkeit mit seinem Sohn. Auch die Statur war vollkommen unterschiedlich. Während Fearghas groß und schlank war, war sein Vater eher klein und drahtig.
Eine Frau kam den Weg entlang und beanspruchte Adams Aufmerksamkeit, sodass ich mich zu meiner Mutter und meinem Bruder gesellte. Das Wasser sah wirklich verlockend aus. Hätte ich doch nur das Badezeug mit runter genommen. Mein Bruder stand schon bis zu den Oberschenkeln im Wasser, während meine Mutter sich die Beine ihrer Jeanshose so weit wie möglich aufgekrempelt hatte. Mit einem vielsagenden Blick von Adam zu Fearghas sagte sie: »Den Postboten möchte ich gerne mal sehen«. Damit brachte sie meine Überlegungen auf den Punkt. Wir grinsten uns verschwörerisch an.
Hinter ihr ließ sich Finn mit einem gespielten Stolpern und einem theatralischen Aufschrei der Länge nach in das Wasser fallen.
»Gut, dass wir es nicht weit haben«, lachte sie. »Willst du nicht auch?«
»Au ja, Klara. Lass uns vom Steg ins Wasser springen!«
Lust hatte ich schon, aber das Wasser musste doch total kalt sein. Schließlich hatte das Loch eine direkte Verbindung zum Meer. Ein wenig misstrauisch schnürte ich meine Turnschuhe auf und streifte sie ab. Vorsichtig trat ich in das Wasser und war überrascht. Es war wirklich gar nicht so kalt.
Übermütig rannte Finn an mir vorbei und stand schon hüpfend und springend auf dem Steg. Seine dunklen Haare klebten in dicken Strähnen um sein rundes Gesicht.
»Komm schon, Klara! Lass uns springen!«
Fearghas, der sich gerade mit meinem Vater unterhielt, sah zu mir, und das gab mir damit den Rest. Eigentlich war seine Miene neutral, aber sicher erwartete er, dass ich kneifen würde. Jetzt erst recht. Schnell rannte ich zu meinem Bruder, der schon auf eine Stelle zwischen zwei Booten zeigte.
»Hier! Hier ist prima!«
»Wir springen bei drei!«, rief ich. Er nickte begeistert und stellte sich in Sprungposition.
»Eins!«
»Zwei!«
»Dr …«
»Warte!«, schrie ich, plötzlich doch unsicher und kicherte. Das Wasser war total klar, aber vielleicht doch zu kalt, wenn man dann so da reinsprang?
»Ach Mensch, Klara! Was ist denn?«
»Ist es auch tief genug?«
»Ja.«
»Okay, dann bei drei.«
»Eins! … Zwei! …«
»Halt, Moment noch! Bist du sicher?«
Finn verdrehte die Augen. »Also willst du jetzt springen, oder nicht? – Schau