Salzburger Emigranten kommen 1732 in die Reichsstadt Giengen. Ulrich Stark. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrich Stark
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783754158609
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dass sie auch von der Bürgerschaft schon ziemlich Gutthaten genoßen haben. Weiterhin sollten sie sich morgens eine Stunde lang von den beiden Geistlichen3 und abends von den beiden Schullehrern unterrichten lassen. Außerdem wurde beschlossen, dass die eingangs erwähnten Kirchenbänke angefertigt und bei der großen Kirchenthür aufgestellt werden. Um die ganze Bürgerschaft zu einer desto größeren Gutherzigkeit gegen diese arme Glaubensgenoßen zu bewegen, soll eine entsprechende Bekanntmachung von der Kanzel verlesen und später ein Becken für die Kollekte aufgestellt werden.4

      1 Böse Worte

      Dass die Ankunft der Salzburger nicht nur Wohlwollen auslöste, verdeutlicht ein Vorfall der sich Anfang März im Gasthaus „zum Greifen“ abspielte. Dort hatte Hans Österlen, der Schmied aus dem benachbarten Hürben, ärgerliche und ganz ohnverantwortliche Reden wider die Salzburgischen Emigranten ausgestoßen und darüber grausam geflucht. Man hätte bereits dem ersten von selbigen eine Kugel vor den Kopf schießen sollen, denn sie brächten zu viele Menschen (Leuthe wie die Ochsen), und nichts als Theuerung ins Land.

      Er wurde deshalb aufs Rathaus zitiert, wo er sich auch zu allen Anschuldigungen bekannte, allerdings mit dem Hinweis, er habe auf solche Arth, von einem anderen, auf dem Weg von Langenau her, erzählen hören. Die Ratsherren hielten diese Entschuldigung jedoch für fadenscheinig und beschlossen, er wäre 8 Tage in das Blumenhäußlen zu legen, und mit Waßer und Brod zu speisen. Das „Blumenhäuslein“ war eine Arrestzelle im Hundsturm, der ganz oben im Norden der Tanzlaube stand.5

      1 Eine Liebesgeschichte

      Jacob Reutter, mit 22 Jahren einer der jüngsten der zehn ledigen Salzburger, hatte sich bereits im Salzburger Land mit der zwanzigjährigen Elisabeth Neudecker verlobt. Unglücklicherweise wurden die beiden jedoch während des ersten Marsches getrennt. Elisabeth und ihren Eltern mussten Ende November 1731 ihre Heimat verlassen. An der Grenze zu Bayern mussten die etwa 1000 Menschen dieses ersten Emigrantenzugs, frierend und von mangelnder Verpflegung erschöpft, drei Wochen lang warten, da der bayerische Kurfürst zunächst die Durchreise verweigert hatte. Am 19. Dezember ging der Marsch endlich weiter nach Kaufbeuren. Dort konnten sie zum ersten Mal in ihrem Leben in einer evangelischen Kirche an einem eigens für sie gehaltenen Gottesdienst teilnehmen, denn zuhause hatten sie keine Möglichkeit zu einem Kirchgang gehabt. Der weitere Weg führte über Memmingen nach Ulm.

      Um ihren geliebten Jacob abzuwarten trennte sich Elisabeth dort von ihren Eltern, die nach Preußen weiterzogen. Sie selbst verdingte sich während dessen als Magd bei Kaufmann Kramer. Tatsächlich kam Jacob mit einem späteren Zug nach Ulm. Sie verfehlten sich dort jedoch. Jacob zog dann weiter nach Giengen, um als Garnsiederknecht zu arbeiten, gab jedoch die Suche nach seiner Verlobten nicht auf, bis er endlich sie zu Ulm ausgekundschaftet und erfraget hatte. Er holte sie nach Giengen, wo die beiden sich am 25. März 1732 im Pfarrhaus (privatim) trauen ließen. Ihre Trauzeugen waren der Einhorn- und der Sonnenwirt.6

      Die Hochzeitsfeier wurde in der Gastwirtschaft „zur Sonne“, dem Quartier der Salzburger, abgehalten. Für die von Metzger Rau und Krämer Röckh gelieferten 10 Pfund Fleisch und 2 Pfund Schmalz kam die Stadtkasse ebenso auf, wie für den vom Sonnenwirt Mackh7 geforderten Gulden.8

      Eine zweite Hochzeit unter Salzburger Emigranten fand am 3. Juni 1732 statt. Der über Augsburg nach Giengen gekommen Maurer Johannes Reutter wird im Pfarrhaus mit Katharina Rücksberger eingesegnet, deren Eltern im Giengener Spital Aufnahme gefunden hatten. Es dauerte jedoch nicht lange und das junge Ehepaar verabschiedete sich von seinen Gönnern in Giengen und machte sich auf die Wegreyse nacher Preußen.

      1 Der erste Emigrantenzug

      Am 4. April kam von Ulm das Gerücht, dass von den dort angekommen Salzburger Emigranten 2-300 über Giengen marschieren wollten. Deshalb wurde gleich vorsorglich veranlasst etliche Malter Dinkel und Roggen mahlen zu lassen und alles vorzubereiten, um, so gut als es möglich, ihnen für 1 oder 2 Tag allhier Quartier zu geben.9

      Am folgenden Tag, einem Samstag, erhielt Giengen durch einen Boten ein offizielles Schreiben der Reichsstadt Ulm, das dort die Ankunft von etwa 800 Salzburgern erwartet werde. Sie würden dort sonntags Rasttag halten, des folgenden Tags aber, in circa 250 ihre Route über Giengen fortsetzen, auch daß solchen erbarmungswürdigen Glaubensgenoßen weiters fortgeholfen werden möchte.

      Weil in diesem Schreiben nichts über die weitere Route der Salzburger mitgeteilt wurde, sandte man noch selbigen Abend einen Express-Reiter nach Ulm. Nach dessen Rückkehr wurden unverzüglich Schritte unternommen, um den Empfang in Giengen sowie den Weitermarsch nach Nördlingen zu organisieren.

      Man beschloss, die am Montag ankommenden Salzburger den Dienstag über hier zu behalten, und ihnen zum Abmarsch am Mittwoch 20 Kreuzer pro Person, egal ob groß oder klein, mitzugeben und ihnen mit Fuhrwerken bis Nördlingen auszuhelfen. Jeder Ratsherr und auch jeder Bürger sollte einen Salzburger in sein Haus aufnehmen und verpflegen. Im Hospital wollte man 20 Salzburger einquartieren.

      Am 7. April gingen Schultheiß Hans Martin Streng10 und ein Reiter den ankommenden Emigranten entgegen, um sie in die Stadt hereinzubegleiten. Dass der Empfang mehr als herzlich war, ersieht man daraus, dass die Bürgerschaft aus aigener Bewegnus und mitleydigem Gemüthe diese arme Leüthe, sobald sie in die Stadt herein gekommen, theils unterwegs, theils aber auf dem Marckt vor dem Rathaus hinweg, und zu sich genohmen, auch liebreich verpflegt hat.

      Am folgenden Dienstag wurde in der Stadtkirche ein Gottesdienst für die Gäste abgehalten. Stadtpfarrer Schnapper hielt dabei speziell eine auf ihren Zustand gerichtete Predigt.

      Alle 274 Emigranten erhielten am Mittwoch, dem Tag ihres Abmarschs, zu den 20 Kreuzern pro Kopf noch insgesamt 55 Laib Brot mit auf den Weg. Ratsherr Jacob Teller11 führte den Zug, unter Zuhilfenahme von zwölf Giengener Fuhrwerken für das ganze Gepäck, bis nach Nördlingen.

      Wieder zurück in Giengen, berichtete Ratsherr Teller erregt über einige unschöne Vorkommnisse während des Weitermarschs, wie nämlich diese armen Leute unterwegs keinen Tropfen Bier bekamen, auch selbige weiterhin zu Klein-Örlingen12 ein Lied, welches sie anfangen wollen, nicht singen laßen.13

      1 Aufnahme Bedürftiger

      Von besonderer Bedeutung für Giengen war jedoch die Entscheidung der Ratsherren von denen gar alten und elenden, auch kranken Leuten, etliche aus Barmherzigkeit hier zu behalten.14 Sie alle sind namentlich bekannt:

      1 Ruprecht Rücksberger (90 J.) und

      2 Marie Rücksberger (65 J.), dessen Ehefrau, aus Wagrain

      3 Ruprecht Durchholzer (80 J.) und

      4 Margaretha Durchholzer (70 J.), dessen Ehefrau, aus Wagrain

      5 Sybilla Durchholzer (19 J.), und

      6 Barbara Durchholzer, beides Töchter von 3 und 4

      7 Matthias Knabel (72 J.)

      8 Magdalena Knabel (65 J.), dessen Ehefrau, aus Abtenau

      9 Hans Schmidt (67 J.) aus Tragmann

      10 Christina Zitterauer (64 J.) aus Großarl

      11 Maria Winkler (65 J.) aus Goldegg

      12 Barbara Creuzberger (64 J.) aus Obersteiermark

      Zunächst wurden alle auf Kosten der Stadtkasse in der Herberg zum Weißen Löwen verpflegt, bis im Hospital die ihnen gewidmeten Stuben, und was weiters ohnumgänglich nöthig, bäldigst zustand kommen und mithin die Besorgung geschehen war.

      Schreiner Hans Georg Erhardt15 erhielt für seine Arbeit in dem neuen Bau vier Gulden, David Enßlin16 für fünf Fenster insgesamt sechs Gulden.

      Alle oben genannten, gar alte und zum arbeiten untaugliche Personen, wurden in das Hospital aufgenommen, und allda mit der Notdurft verpflegt. Die Kosten hierfür übernahm die Hospitalpflege.

      Eine namentlich