Im Auge des Betrachters. Sören Jochim. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sören Jochim
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754143155
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unten steht sofort bereit und fährt heute ohne Zwischenstop in wenigen Sekunden hoch. Die Türen gleiten auf und ich zücke meine Chipkarte. Die gesamte Büroeinheit ist mit einer Glastür gesichert, die sich nur öffnet, wenn man eine entsprechende Chipkarte mit Zugangsberechtigung besitzt. Der Verlust einer solchen Karte kann den Arbeitnehmer teuer zu stehen kommen, allerdings nur, wenn er es nicht rechtzeitig meldet. Im Grunde ist die Lösung einfach, man programmiert den Code um und speichert ihn auf den existieren Karten. Das Problem ist am ehesten der ansonsten etwas hinterherhinkende Gebrauch von allem, was mit IT zu tun hat. Die Internetverbindung ist weiterhin nur die Zweitschnellste und den Änderungsvorschlägen wird immer wieder entgegen geworfen, dass es doch mit der bisherigen Technik klappe und diese vor allem stabil laufe. Würde man etwas Neues anschaffen, wisse man ja gar nicht, ob es nicht zu viel mehr Komplikationen käme. So ganz überraschen kann diese Einstellung bei einem konservativen Blatt natürlich nicht. Die Folge ist jedoch, dass alles, was den IT-Support betrifft etwas langsam vonstatten geht. Das ist kein rein technisches Problem, sondern liegt auch an mangelnder Manpower.

      Die Eingangstür öffnet sich und ein “Guten Morgen Herr Truggenbrot!” hallt mir von der Rezeption entgegen. Wieso wir immer noch eine Rezeption hier oben besitzen, die dazu noch ganztägig besetzt ist, ist mir ein wenig schleierhaft. Zu tun hat dort über den Arbeitstag gesehen jemand vielleicht für zwei Stunden, der Rest ist Zeit totschlagen, da vieles bereits am Empfang im Erdgeschoss geklärt wird. Vielleicht gibt es die Rezeption weiterhin wegen des ersten optischen Eindruckes. Die Redaktion legt da viel wert drauf, alles ist farblich auf die Blautöne der Zeitung abgestimmt und das helle Mobiliar ist äußerst stilvoll eingerichtet. Große Topfpflanzen zieren die Ecken des Empfangs, überall ist viel Platz, so dass der Raum unheimlich groß wirkt. Auf der linken Seite befinden sich die zwei großen Konferenzräume, die letztes Jahr endlich auch mit Beamern ausgestattet wurden. Wie gesagt, es geht hier ziemlich konservativ zu. Daneben befinden sich noch zwei Mitarbeiterbüros sowie das Büro des Chefredakteurs. Auf der rechten Seite sind außer den Toiletten nur noch Mitarbeiterbüros. Alle sind für maximal drei Personen ausgelegt und meist mit zwei dauerhaft besetzt. Nur wenn es zu gesteigertem Workload für ein Thema kommt, wird der dritte Platz durch Umverteilung gefüllt. Das Prinzip hat sich bewährt und klappt über alle Resorts hinweg vor allem für die Recherche sehr gut. Alle Arbeitsplätze sind mit ergonomischen Stühlen ausgestattet, die keinen Wunsch offen lassen. Leider müssen sich alle Mitarbeiter nach wie vor mit zwei mittelgroßen Monitoren begnügen, während es bei vielen anderen Zeitungen mittlerweile üblich ist, auf drei großen Bildschirmen zu arbeiten. Vielleicht werden ja nächstes Jahr welche angeschafft.

      Ich öffne die weiße Tür mit der Nummer acht. Tanja, meine Kollegin, ist noch nicht da. Sie kommt häufig erst eine Stunde später als ich, bleibt dafür aber entsprechend länger. Das hat den Vorteil, dass unser Büro durchgängig besetzt ist, da sich auch unsere Mittagspause in der Regel unterscheidet. Wirklich anders als bei mir zu Hause sieht es auch hier nicht aus. Hunderte Blätter säumen meinen Schreibtisch, der Kopierer blinkt und verlangt nach einem neuen Toner und das Telefon zeigt unbeirrt die 23 Anrufe auf dem Anrufbeantworter. Die sind alle abgehört, aber auf Grund eines technischen Defektes werden seit rund zwei Wochen dennoch 23 Anrufe gemeldet. Es dauert eben immer etwas länger mit diesen technischen Dingen.

      Ich starte meinen PC, lege mir meine Dokumente von zu Hause zurecht, werfe einen Blick auf das Faxgerät und mache mir dann erst einmal einen Kaffee. Ein paar Minuten habe ich noch, denn beim Gang durch die Rezeption habe ich gesehen, dass mein Chef, der mich ja zu sich bestellt hat, noch im Gespräch ist. Der Kaffee wird auf jeden Fall nicht schaden. Nach gut drei Minuten ist der Rechner hochgefahren und ich mache mir einen Überblick der eingegangenen Mails. Die Hälfte lösche ich sofort, zwei markiere ich mir als besonders wichtig und den Rest werde ich bearbeiten, falls ich die Zeit dafür habe. Das Icon der App zeigt mir jedoch 124 an, weshalb das mit dem falls ich Zeit dafür habe doch eher utopisch ist. Ich greife zum Telefon und wähle die Kurzwahl der Rezeption. “Ist Richard noch im Gespräch?”, frage ich. “Hallo Herr Truggenbrot, nein, er verabschiedet gerade seinen Gast. Soll ich Sie ankündigen?”, antwortet die Stimme aus dem Telefon. “Nicht nötig, er weiß Bescheid.” Ich lege auf. Einen Schluck Kaffee später erhebe ich mich und mache mich auf den Weg zu ihm.

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      “Hallo Richard, du wolltest mich sprechen.” Richards Büro ähnelt dem aller anderen, hat aber nur einen Arbeitsplatz. Es ist sehr überschaubar eingerichtet, ein paar immergrüne Pflanzen, eine Couch und ansonsten die zwei Schreibtische, das war es. Neben der Eingangstür stehen für den Bedarf noch zwei weitere Stühle. Die Wände sind mit allerlei Urkunden geschmückt, die Erfolge der Zeitung aufweisen, Bilder gibt es keine, auch nicht auf dem Schreibtisch. Richard hat Familie, so viel weiß ich, zwei Söhne glaube ich, aber die Seite seines Lebens trennt er strikt von seiner Arbeit und ich habe gelernt, nicht weiter nachzufragen. “Guten Morgen Rolf, du sahst schon mal besser aus, schlecht geschlafen?” Mit den Jahren kennt mich Richard sehr gut. “Ja”, antworte ich, “mal wieder dieser Traum. Aber ich war schon laufen heute Morgen, ist schon fast wieder vergessen. Was hat das jetzt mit diesem Musiker auf sich?”

      Er durchsucht die Blätter auf seinem Schreibtisch, scheint aber auf Anhieb nicht zu finden, wonach er sucht. “Wie schon gesagt, Christian und Evelyn fallen aus und ich brauche jemanden, der sich um die Sache kümmert. Du bist meine erste Wahl. Es geht ganz grob um einen Rapper namens Johnny C., bei dem einem seiner Bandmitglieder Vergewaltigung vorgeworfen wird. Irgendwie sowas. Außerdem haben die jüngst auf einem Festival gespielt und einen neuen Song präsentiert. Daher gibt es genügend Material, um daraus eine gute Story zu machen.” Der Rechtsbezug macht den Fall für mich gleich interessanter. Kriminalfälle haben mich immer schon fasziniert und wenn ich mal Zeit für Fernsehen opfere, dann für einen der rar gewordenen, guten Krimis. “Interessant. Eine Vergewaltigung habe ich noch nicht behandelt, woher hast du die Info? Ich hätte bestimmt schon davon gehört, wenn das schon öffentlich wäre. Johnny C. ist ja durchaus bekannt bei uns in der Stadt.”

      Richard sucht weiter in seinen Papieren. “Die Info basiert auf internen Quellen, mehr kann ich dir gerade gar nicht sagen. Ein bisschen selbst recherchieren wirst du noch müssen, aber meine Quelle sagt, dass der gesamte Vorfall hoch brisant ist und Karrieren zerstören wird.” Er flucht kurz, “Ich finde das Übersichtspapier grad nicht, tut mir leid. Ich reiche es dir nach, sobald es mir in die Finger fällt. Du kannst ja mit ein wenig Online-Recherche anfangen. Tanja wird dich unterstützen, kommt heute aber noch etwas später als gewöhnlich, weil sie noch einen Arzttermin hat. Ach ja, und ab Morgen ist noch eine Praktikantin bei dir, eine Anna oder Anne Friedrich, sie bleibt für sechs Wochen.” Das auch noch, der muss ich dann bestimmt wie der letzten Praktikantin erst mal wieder viel erklären. Die war echt der totale Reinfall. “Waren wir uns nicht einig, dass erst mal keine Praktikanten mehr zu mir kommen?”, frage ich. “Die hier ist anders, glaub mir, die hat echt was auf dem Kasten, du wirst sie mögen.” Das glaube ich erst, wenn ich es sehe. “Na, wenn du meinst.” Richard blickt plötzlich ernst: “Wenn du diesen Artikel schreibst, mach deutlich, dass wir als Zeitung uns ganz klar gegen jede Art der Vergewaltigung und was da nicht sonst noch passiert ist, richten. Wir haben einen Ruf in der Stadt und dem Umfeld und es gibt Dinge, die können wir nicht schönreden.” Ich stutze etwas, denn solch eine Aussage kommt von Richard nicht oft. Wenn ich mich richtig erinnere, gab es so etwas sogar noch nie. Perplex nicke ich leicht. Er lächelt und wechselt das Thema. “Wie war dein Date neulich?”

      Von Zeit zu Zeit probiere ich es eben noch einmal. Meine Oma mit ihren stolzen 87 Jahren wünscht sich ja so sehr ein Ur-Enkelkind. Natürlich wäre eine Frau zu finden schon eine tolle Sache, aber so richtig funken will es einfach nicht. Eine Kollegin aus der Sportabteilung hatte das Date am letzten Samstag verkuppelt. Sie hatte mir im Vorfeld gesagt, dass Tina eine reizende Persönlichkeit hätte, total lieb sei und mir auf Anhieb gefallen müsse. Sie sei lediglich Single, weil sie sich immer die falschen Männer aussuche. Damit sollte jetzt ein für alle Mal Schluss sein. Wie kommst du dann auf mich, hatte ich lachend gefragt.

      Jedenfalls trafen wir uns in einem Café in der Innenstadt, nicht weit entfernt von der Kirche. Wir hatten abgemacht, dass sie einen roten