Die genannte Windgasse lag auf einer sanften Ansteigung, welche, obgleich sie nur unbedeutend war, dem, der ihren höchsten Punkt erstiegen hatte, eine weithin reichende Aussicht, deren sich Wanderer in den Wäldern nur selten erfreuen können, darbot. Der Umstand, daß die Gasse auf einem Hügel lag, und daß die Waldlücke sich abwärts zog, gewährte dem Auge ungewöhnliche Vortheile. Die Physiker haben es bis jetzt noch nicht vermocht, das Wesen der Kräfte zu ergründen, welche so oft Stellen auf die beschriebene Weise verwüsten, und sie haben es bald in den Wirbelwinden, welche auf dem Meere die Wasserhosen erzeugen, bald in plötzlichen und heftigen Durchzügen elektrischer Strömungen zu finden geglaubt. Wie dem übrigens sei — die Erscheinung selbst ist eine in den Wäldern wohlbekannte Thatsache. Am oberen Saume der genannten Waldlücke hatte jener unsichtbare Einfluß Baum auf Baum in einer Weise aufgethürmt, daß nicht nur der männliche Theil der Gesellschaft im Stande war, sich etwa dreißig Fuß über den Boden zu erheben, sondern daß auch die furchtsameren weiblichen Genossen sich durch einige Nachhilfe und Ermuthigung zur Theilnahme veranlassen ließen. Die ungeheuern Stämme, welche die Gewalt des Sturmes zerbrochen und fortgetrieben hatte, lagen wie Strohhalme untereinander gemengt, indeß die Zweige mit den duftenden, welkenden Blättern sich untereinander verflochten, und den Händen hinreichende Anhaltspunkte boten. Ein Baum war vollkommen entwurzelt und das untere Ende zu oberst gekehrt, so daß es mit der in den Wurzelzwischenräumen befindlichen Erde für unsere vier Abenteurer, als sie die gewünschte Höhe erreicht hatten, eine Art von Gerüste bildete.
Der Leser darf sich bei der ihm vorgeführten Gruppe keine Leute von Stand denken. Es waren Reisende in der Wildniß, denen man auch unter anderen Verhältnissen angesehen haben würde, daß ihren frühern Gewohnheiten und ihrer wirklichen gesellschaftlichen Stellung vieles von den Bedürfnissen der höhern Stände fremd geblieben war. In der That gehörten auch zwei von der Gesellschaft, ein Mann und ein Weib, zu den eingebornen Eigenthümern des Bodens; sie waren Indianer aus dem bekannten Stamme der Tuscaroras. Das dritte Glied der Gesellschaft trug die Eigenthümlichkeiten und Abzeichen eines Mannes, der seine Tage auf dem Ocean zugebracht hatte und, wenn er anders auf irgend eine Stellung Anspruch machen konnte, keine viel höhere, als die eines gemeinen Seemanns einnahm. Der weibliche Gefährte des letzteren war ein Mädchen, aus einer nicht viel höheren Klasse als die seinige, obgleich ihre Jugend, das Anmuthige ihrer Gesichtsbildung und eine bescheidene, aber ausdrucksvolle Miene ihr den Charakter des Verstandes und jener Verfeinerung ausprägten, welche so viel zu der Hebung weiblicher Reize beiträgt. Bei der gegenwärtigen Gelegenheit leuchteten in ihrem vollen blauen Auge die erhabenen Gefühle, welche das großartige Schauspiel in ihr erzeugte, und ihr angenehmes Gesicht zeigte jenen Ausdruck des Nachdenkens, mit welchem alle tiefen Gemüthsbewegungen, obgleich gerade sie das größte Vergnügen gewähren, die Gesichtszüge geistvoller und gedankenreicher Personen beschatten.
Und wahrlich, die Scene war hinreichend geeignet, einen tiefen Eindruck auf die Phantasie des Beobachters zu üben. Das Auge streifte gegen Westen, in welcher Richtung allein die Aussicht frei war, über ein Meer von Blättern, das in dem herrlich wechselnden, lebhaften Grün einer kräftigen Vegetation, beschattet von den üppigen Ästen des zweiundvierzigsten Breitegrades prangte. Die Rüster mit ihren zierlichen, hängenden Zweigen, die reichen Varietäten des Ahorns, am meisten aber die edlen Eichen der amerikanischen Urwälder, mit den breitblättrigen Linden, welche man in diesen Gegenden unter dem Namen des Unterholzes kennt, bildeten durch die Verschlingung ihrer Wipfel einen breiten, endlosen Blätterteppich, der sich gegen Abend hinzog, bis er den Horizont begränzte und sich mit den Wolken mischte, ähnlich den Wellen des Oceans, die am Saume des Himmelsgewölbes sich an die Wolkenmassen reihen. Hin und wieder gestattete eine durch Stürme oder durch die Laune der Natur erzeugte Lücke unter diesen riesenhaften Waldesgliedern einem untergeordneten Baume aufwärts zu streben gegen das Licht, und sein bescheidenes Haupt nahezu in ein gleiches Niveau mit der ihn umgebenden grünen Fläche zu bringen. Von der Art war die Birke, ein Baum, der in minder begünstigten Gegenden schon eine Bedeutung hat, die Zitterpappel, einige kräftige Nußbäume und verschiedene andere, so daß das Unedle und Gemeine ganz zufällig in die Gesellschaft des Stattlichen und Großartigen geworfen zu sein schien. Hie und da durchbohrte der hohe gerade Stamm der Fichte die ungeheure Ebene, hoch über sie wegragend, gleich einem großartigen Denkmal, welches die Kunst auf einer grünen Fläche errichtete.
Es war das Endlose der Aussicht, die fast ununterbrochene Fläche des Grüns, was dem Ganzen den Charakter der Größe, aufprägte. Die Schönheit des Anblicks zeigte sich jedoch in den zarten Tinten, gehoben durch den Wechsel des Lichts und des Schattens, indeß die feierliche Stille die Seele mit heiliger Scheu erfüllte.
„Onkel," sagte das freudig erstaunte Mädchen zu ihrem männlichen Gefährten, dessen Armes sie sich mehr wie eines Berührungspunktes, als einer Stütze bediente, da sie selbst auf sicheren Füßen stand, „wie sehr erinnert dieser Anblick an den Ocean, der Euch so theuer ist."
„So viel, als sich eben ein unwissendes Mädchen einbilden mag, Magnet," (es war dies ein Ausdruck der Zärtlichkeit, dessen sich der Seemann oft als einer Anspielung auf die persönlichen Anziehungskräfte seiner Nichte bediente,) „aber nur ein Kind kann eine Aehnlichkeit zwischen dieser Handvoll Blätter und dem wirklichen atlantischen Ocean finden. Nimm alle diese Baumwipfel zusammen, sie würden nichts weiter, als einen Strauß für Neptuns Jacke geben."
„Ich denke, Eure Phantasie versteigt sich, Onkel. Schau nur, hier ist Meile an Meile, und doch sehen wir nichts als Blätter. Was kann uns ein Blick auf den Ocean mehr geben?"
„Mehr?" erwiederte der Onkel, und berührte sie in ungeduldiger Bewegung mit dem Ellbogen, da er die Arme gekreuzt und die Hände in dem Busen eines rothlinnenen Wamses, wie man es damals trug, verborgen hatte, „mehr, Magnet? Sage lieber, was weniger? Wo sind denn die kräuselnden Wellen, die blauen Wasser, die Rollwogen, die Brandungen, die Walfische, die Wasserhosen, und die endlose Bewegung in diesem bischen Walde da, mein Kind?"
„Und wo sind die Baumgipfel, die festliche Stille, die duftigen Blätter auf dem Ocean, Onkel?"
„Weg damit, Magnet! Wenn du etwas von solchen Dingen verstündest, so wüßtest du, daß grünes Wasser dem Seemann Gift ist. Kaum einen Grünschnabel kann er weniger leiden."
„Aber grüne Bäume sind ganz andere Dinge. Horch! Dieser Ton ist das Säuseln des Windes in den Blättern."
„Da solltest du einen Nordwest sausen hören, Mädchen; aber, freilich, einen Wind auf dem Achterdecke kannst du dir nicht denken. Ha, wo sind die Kühlten, die Orkane, die Passat- und Ostwinde und ähnliche Erscheinungen aus diesem Waldfleckchen hier? und was für Fische schwimmen unter dieser zahmen Fläche?"
„Daß es hier Stürme gegeben hat, zeigt die Gegend rund um uns her hinreichend, und, wenn auch nicht Fische, so sind doch Thiere unter diesen Blättern."
„Ich weiß das nicht!" erwiederte der Onkel mit dem absprechenden Tone eines Seemanns. „Man erzählte uns zu Albany manche Geschichten von wilden Thieren, mit denen wir zusammentreffen könnten, und doch haben wir nicht so viel gesehen, als ein Seekalb erschrecken könnte. Ich zweifle, ob eines von diesen Landthieren sich mit einem Aequatorhay vergleichen läßt."
„Seht!" rief die Nichte, welche sich mehr mit der Betrachtung des endlosen Waldes, als mit ihres Onkels Argumentationen beschäftigte, „dort ringelt sich Rauch über den Gipfeln der Bäume. Mag der wohl aus einem Hause kommen?"