Unter den eben erwähnten Predigern war es besonders der hochbetagte Beausobre, der ihn mächtig anzog.
Ludwig Beausobre – 1730 – 1783
Eine Predigt, die er von diesem im März 1736 hörte, riss ihn zu förmlicher Begeisterung hin, und er suchte seine persönliche Bekanntschaft. Beausobre war wohl geeignet, durch die edle Würde seines Äußeren und durch die Gewandtheit seines Benehmens Eindruck auf ihn zu machen. Nach der ersten Begrüßung, mit der ihn der Prinz empfangen, fragte dieser, der in seiner raschen Weise jede weitere Einleitung verschmähte, mit welcher Lektüre der Prediger gegenwärtig beschäftigt sei. „Ach, gnädiger Herr,“ erwiderte Beausobre mit dem würdevollen Tone, der ihm zur Natur geworden war, „ich las in diesem Augenblick ein bewunderungswürdiges, ein wahrhaft göttliches Stück, dessen Eindruck ich noch an dieser Stelle empfinde.“ – „Und das war?“ – „Der Anfang von dem Evangelium St. Johannis.“ – Die Antwort kam dem Kronprinzen unerwartet, und schon fürchtete er, dass der biblische Redner seine Bedürfnisse wenig verstehen werde. Aber Beausobre wusste im weiteren Verlaufe des Gespräches den Geist des Prinzen so lebendig zu fesseln, dass dieser mit größter Zufriedenheit den Besuch beendete und dem Prediger aus freier Anregung versprach, seinen ältesten Sohn an Kindes Statt anzunehmen. Leider starb der würdige Geistliche bald darauf, zu früh für den jungen Forscher. Friedrich hielt dankbar sein Versprechen.
Christian Wolff
Was ihm auf dem Felde der Theologie unklar blieb, suchte Friedrich durch ein umso gründlicheres Studium der Philosophie zu erwerben. Wolff, früher Professor zu Halle, von wo ihn aber Friedrich Wilhelm auf pietistischen Antrieb verbannt hatte, behauptete zu jener Zeit den ersten Platz in der philosophischen Wissenschaft. Seine Schriften wurden von den Gebildeten mit freudigem Danke aufgenommen. Auch Friedrich wurde durch seine Freunde an diese Quelle geführt. Er ließ sich Wolffs Logik, seine Moral, seine Metaphysik ins Französische übersetzen – denn schon hatte er sich gewöhnt, seine Gedanken nur in französischer Form zu bilden – und war rastlos bemüht, sich alle Ergebnisse seiner Forschung anzueignen, auch, wo er Mängel und Ungenügendes wahrzunehmen glaubte, mit eigener Kraft auf dem Wege der Forschung durchzudringen. So bildete sich ihm eine Weltanschauung aus, die fortan, wenn auch in manchen Einzelheiten verändert, die Grundrichtung seines Geistes bestimmte. Er kehrte zu jener Lehre der Vorherbestimmung zurück, die er schon früh auf eine schroffe Weise aufgefasst hatte; aber er suchte sie von jener trostlosen Härte zu entkleiden und mit der Freiheit und der Kraft des Menschen in Einklang zu bringen. Nur aus einer Überzeugung solcher Art konnte die todverachtende Zuversicht entspringen, mit welcher er nachmals die großen Taten seines Lebens ausgeführt hat.
Im Allgemeinen aber gelang es Friedrich nicht, auf dem Gebiete der höheren Philosophie heimisch zu werden, und so gab er auch später seine spekulativen Versuche wieder auf. Die Natur hatte ihn nicht zu beschaulicher Ruhe, sondern zur Tat, zur Gestaltung des Lebens berufen. So waren es auch nur diejenigen Elemente der Philosophie, die unmittelbar ins Leben eingriffen, vornehmlich das Bereich der Moral, was ihn mit dieser Wissenschaft in Verbindung erhielt. Auch sind alle seine Schriften, die sich nicht auf den Kreis historischer Gegenstände beziehen, vorzugsweise nur der Betrachtung und Erörterung moralischer Zustände gewidmet. In solcher Beziehung erscheint es fast als eine besondere Ironie des Zufalls, dass, als im Januar 1737 eben eine Reinschrift von der Übersetzung der Wolff'schen Metaphysik vollendet war und zum belehrenden Genuss einzuladen schien, der eine von den Affen, die Friedrich sich damals hielt, darüber kam und das schöne Manuskript ruhig in den brennenden Kamin steckte.
Das umfassendste, das durchgreifendste Interesse gewährte Friedrich der Mann, der sich damals an die Spitze der geistigen Bildung Frankreichs – somit der geistigen Bildung Europas – emporgeschwungen hatte: Voltaire. Freilich war es nicht eigentümliche Tiefe des Wissens, nicht innere Glut der Begeisterung, was Voltaire eine so glänzende Stellung verliehen: – Es war der unermüdliche Kampf, den er mit allen Waffen des Ernstes und des Spottes gegen die verjährten Vorrechte im Bereiche des Glaubens und Wissens führte; es war die helle Fackel des gefunden Menschenverstandes, mit der er in das Dunkel des Aberglaubens hineinleuchtete; es war die Behändigkeit eines Geistes, welcher fast in allen Gebieten des Wissens, in der Geschichte, der Naturkunde, der Philosophie usw., nicht minder in allen Gattungen poetischer Darstellungsweise die Lehren und die Forschungen der neuen Zeit zu verbreiten und sie der Fassungskraft der Menge anzubequemen wusste; es war endlich eine Kunst des Wortes, die durch die Reinheit der äußeren Form, durch ebenso geistreich witzigen wie zierlichen Vortrag, durch das verlockende Gewand einer üppig spielenden Phantasie das Interesse des Lesers gespannt hielt. Alles, was er schrieb, hatte einen vorzugsweise praktischen Gehalt.
Voltaire
Und eben aus diesem Grunde fand Friedrich in Voltaire den Mann, der das, was in der eigenen Brust ruhte, was ihn zu Taten treiben sollte, durch das Wort aussprach, der hiermit sein inneres Wesen vollendete und ausfüllte. Friedrich hatte sich seit früher Zeit an Volatiles Schriften auferbaut; im Jahre 1736 wandte er sich, der vierundzwanzigjährige Königssohn, an den zweiundvierzigjährigen Schriftsteller, ihm brieflich seine Verehrung zu bezeugen, seine Freundschaft anzutragen; und es entspann sich ein Briefwechsel, der, trotz mancher Störungen, bis an das Ende Volatiles, zweiundvierzig Jahre lang fortgesetzt wurde, indem beide Naturen fort und fort auf die gegenseitige Ergänzung hingewiesen blieben. Friedrich teilte dem Freunde seine philosophischen Studien und seine dichterischen Versuche mit, jene zur Erweiterung der eigenen Ansicht, diese, um sich auf ihre Fehler aufmerksam machen zu lassen. Er erwies ihm eine bis an Schwärmerei grenzende Verehrung; Volatiles Geisteswerke waren ihm der liebste Besitz; von dem Bilde des Freundes, welches den Schmuck seiner Bibliothek ausmachte und seinem Schreibtische gegenüber hing, sagte er, es sei wie das Memnonsbild, das in den Strahlen der Sonne erklinge und den Geist dessen, der es anschaue, lebendig mache. Volatiles Heldengedicht, die Henriade, beabsichtigte er in einer großen Prachtausgabe, mit Kupferstichen, zu denen Knobelsdorff die Zeichnungen machen sollte, der Welt zu übergeben (ein Unternehmen, das nicht zur Vollendung kam); ein einzelner Gedanke der Henriade, so behauptete er in seinem überschwänglichen Enthusiasmus, wiege Hommers ganze Iliade auf usw. Er sandte dem Freunde mancherlei sinnige Geschenke zu; ja er schickte, in der Person Kaiserlings, einen eigenen Gesandten an Voltaire, der diesem Friedrichs Portrait, von Knobelsdorff gemalt, überbringen musste und dafür die neuen Schriften Volatiles, namentlich diejenigen, die zur Zeit noch aus mancherlei Gründen das Licht zu scheuen hatten, heimbrachte. Diesen Erwerb, der mit äußerster Vorsicht bewahrt wurde, nannte Friedrich sein goldenes Vlies.
So war die Zeit, die Friedrich in Rheinsberg zubrachte, recht eigentlich die Zeit der Vorbereitung auf den hohen Beruf, der ihn erwartete. Aber auch unmittelbar schon riefen diese Jahre sehr bemerkenswerte Früchte hervor: verschiedene Schriften, in denen er seine Ansichten und Gesinnungen aussprach, sich selbst und andere klar zu machen. Von geringerer Bedeutung sind unter diesen zunächst seine Gedichte. In letzteren zeigt sich dieselbe Erscheinung,