Aus solcher Geistesrichtung entsprang endlich auch eine freisinnigere Gestaltung anderer Lebensverhältnisse. Religiöse Duldung war einer der wichtigsten Grundsätze, mit denen Friedrich seine Regierung begann und tätig alten Missbräuchen oder einseitiger Beschränkung gegenübertrat. Ein zweiter Grundsatz war: geläuterte, vernunftmäßige Rechtspflege. Aber um eine solche in das Leben einzuführen, bedurfte es eines weise durchdachten, kunstreich aufgeführten Baues. Vorerst erschienen einige Verordnungen, welche wenigstens geeignet waren, das Licht der neuen Zeit, das in Friedrichs Hand ruhte, erkennen zu lassen. So ist namentlich anzuführen, dass, schon am vierten Tage seiner Regierung, das unmenschliche Gerichtsverfahren der Folter – bis auf einige außerordentliche Ausnahmen, für welche dasselbe aber einige Jahre später ebenfalls verschwand – durch königlichen Befehl aufgehoben wurde. Die übrigen Staaten sind diesem großartigen Beispiele erst in beträchtlich späterer Zeit gefolgt.
Alles aber, was Friedrich in solcher Weise in den ersten Monaten seiner Regierung einrichtete, war sein eigenes Werk; die Minister hatten nur seine Befehle auszuführen. Durch eine außerordentliche Tätigkeit, durch die strengste Einteilung der Zeit machte er es möglich, was bis dahin unerhört gewesen war, dass er alles beobachten, prüfen, leiten konnte. Und so blieb es die lange Zeit seiner Regierung hindurch bis an seinen Tod. Und doch gebrach es ihm hierbei nicht an Zelt, um auch den Künsten, namentlich der Musik und Poesie, einige heitere Stunden widmen zu können; aber der Genuss der Kunst diente wiederum nur dazu, seinem Geiste neue Schwungkraft zu geben. Die vorteilhaftesten Zeugnisse über diese ganz außerordentliche Geschäftsführung enthalten die Berichte der damaligen in Berlin anwesenden fremden Gesandten an ihre Regierungen. Sie klagen, dass der König sein eigener Minister sei, dass man niemand finde, dem er sich ganz mitteile und durch dessen Hilfe man Kenntnis und Einfluss erlangen könne. Auch wird, gewiss richtig, hinzugesetzt, es sei das Beste, wenn man gegen diesen jungen König – dem herkömmlichen Gebrauche sehr zuwider – ein offenes Verfahren beobachte.
Mitte Juli begab sich Friedrich nach Königsberg in Preußen, die Erbhuldigung der preußischen Stände zu empfangen. Dort hatte sich sein Großvater die preußische Königskrone aufgesetzt. Aber Friedrich Wilhelm schon verschmähte diese äußerliche Zeremonie, und auch Friedrich fand es nicht für nötig, dieselbe wieder einzuführen. „Ich reise jetzt“, so äußerte er sich kurze Zeit vorher in einem Schreiben an Voltaire, „nach Preußen, um mir da ohne das heilige Ölfläschchen und ohne die unnützen und nichtigen Zeremonien huldigen zu lassen, welche Ignoranz eingeführt hat und die nun von der hergebrachten Gewohnheit begünstigt werden.“ Die Huldigung fand am 20. Juli statt. Über die dabei nötigen Förmlichkeiten hatte er sich durch einen, in solchen Dingen erfahrenen Freund, der ihn begleitete, unterrichten lassen. Nachher fragte er diesen, ob er seine Sache gut gemacht habe. – O ja, Sire, antwortete der Gefragte, aber einer machte es doch noch besser. – „Und der war?“ – Ludwig der Fünfzehnte. – „Ich aber“, setzte Friedrich mit Laune hinzu, „kenne einen, der es doch noch besser machte.“ – Und der war? – „Baron!“ (Ein bekannter französischer Schauspieler.)
Stadtwappen Königsberg
Übrigens war Friedrich mit den Tagen seines Aufenthalts in Königsberg zufrieden. Die Huldigungspredigt, welche der Oberhofprediger Quandt hielt, fand seinen entschiedenen Beifall; schon früher hatte er Quandt mit Teilnahme gehört und noch am Abend seines Lebens, in einer Schrift über deutsche Literatur, erwähnte er seiner als des vorzüglichsten Redners, den Deutschland je besessen. Besonderes Vergnügen bereitete ihm ein Fackelzug, den ihm die Königsberger Studenten unter Musikbegleitung brachten; er ließ ihnen zum Dank ein reichliches Trinkgelage veranstalten. Auch die Übungen des Königsberger Militärs fielen zu seiner Zufriedenheit aus. Er aber bezeichnete diese Tage wiederum durch zahlreiche Wohltaten, die er der Stadt und der gesamten Provinz zukommen ließ, den Wahlspruch der bei der Huldigung ausgeworfenen Medaillen – „Glück des Volkes“ – durch die Tat bewährend.
Nachdem Friedrich aus Preußen zurückgekehrt war, erfolgte in Berlin, am 2. August, die Erbhuldigung der kurmärkischen Stände. Das Volk rief, als Friedrich nach der Zeremonie auf den Balkon des Schlosses hinaustrat, dreimal mit freudiger Seele: Es lebe der König! Gegen die Gewohnheit und Etikette blieb er eine halbe Stunde auf dem Balkon, mit festem, aufmerksamem Blick auf die unermessliche Menge vor dem Schlosse hinabschauend; er schien in tiefe Betrachtung verloren. – Die Medaillen, welche in Berlin ausgeworfen wurden, führten den Wahlspruch: „Der Wahrheit und Gerechtigkeit.“
Kurze Zeit darauf verließ Friedrich Berlin aufs Neue, um die Huldigung in den westfälischen Provinzen des Staates einzunehmen. Vorher besuchte er seine ältere Schwester, die Markgräfin von Bayreuth, in ihrer Residenz.
Neues Schloss in Bayreuth
innen
Bayreuther Opernhaus
Von hier machte er in raschem Fluge einen Abstecher nach Straßburg, um einmal französischen Boden zu betreten und französische Truppen zu sehen. Um indes unbekannt zu bleiben, hatte er den Namen eines Grafen du Four angenommen und nur geringes Gefolge mitgeführt. Seine ganze Equipage bestand in zwei Wagen. Als die Gesellschaft in Kehl, Straßburg gegenüber, auf der deutschen Seite des Rheins, ankam, machte der dortige Wirt den Kammerdiener Friedrichs aufmerksam, dass man jenseits sogleich die Pässe vorzeigen müsse. Der Kammerdiener setzte also einen Pass auf, ließ Friedrich unterschreiben und drückte dann das königliche Siegel darunter. Dem Wirte war ein so kurzes Verfahren selten vorgekommen; aber schnell erriet er, von wem allein dasselbe ausgehen konnte, und man hatte Mühe, den Hocherfreuten zum Stillschweigen zu verpflichten. In Straßburg angekommen, ließ sich Friedrich sogleich, um ganz als Franzose auftreten zu können, französische Kleider nach neuestem Geschmacke anfertigen. In einem Kaffeehause machte er die Bekanntschaft französischer Offiziere, die er sich zur Abendtafel einlud; die geschmackvolle Bewirtung, der Geist und die Anmut seiner Unterhaltung entzückten die Gäste, aber vergebens bemühten sie sich, die Geheimnisse ihres Wirtes zu erforschen. Am nächsten Tage besuchte Friedrich die Parade. Hier erkannte ihn ein Soldat, der früher in preußischen Diensten gestanden hatte; augenblicklich wurde es dem Gouverneur, Marschall von Broglio, berichtet, und Friedrich war nicht imstande, die Ehrenbezeugungen des Marschalls ganz zu beseitigen. Nun verbreitete sich die Nachricht durch die ganze Stadt; das Volk war entzückt, den jungen König, dessen Ruhm schon vor seiner Thronbesteigung durch die Welt erklungen war, in seiner Nähe zu wissen. Der Schneider, der die neuen Kleider gefertigt, wollte keine Bezahlung annehmen und sich durchaus nur mit der Ehre, für den Preußenkönig gearbeitet zu haben, begnügen. Am Abend wurden rings in den Straßen Freudenfeuer angezündet; überall hörte man den Jubelruf: Vive Ie roi de prusse!
Von Straßburg begab sich Friedrich den Rhein abwärts nach Wesel. Diesmal wurde die Rheinreise nicht mit so bangen Gefühlen zurückgelegt, wie vor zehn Jahren, da Friedrich in engem Gewahrsam als ein schmachvoll Gefangener geführt ward. Doch verkümmerte ein Fieber, das sich einstellte und längere Zeit anhielt, den Genuss der schönen Fahrt. Das Fieber war auch die Ursache, dass Friedrich nicht, wie er beabsichtigt hatte, nach Brabant ging, um Voltaire aufzusuchen, der sich gegenwärtig dort aufhielt. Dafür indes bedurfte es nur des ausgesprochenen Wunsches, und Voltaire fand sich bereitwillig vor seinem hohen Verehrer auf dem Schlosse Moyland bei Cleve ein. Friedrich war angegriffen von der Krankheit; er bedauerte, dass ihm die nötige Spannkraft fehle, um seinem großen Geiste würdig entgegentreten zu können. Doch war er von der Persönlichkeit des Gefeierten ebenso entzückt, wie früher von seinen Werken. „Voltaire“, so schrieb Friedrich kurze Zeit nach diesem Besuche an Jordan, „ist so beredt wie Ciecro, so angenehm wie Plinius, so weise