Im Busch / Kriegsbilder aus dem dt.-franz. Krieg. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754154243
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Augen, bot Malchus, wie der Bergmann hieß, allen Schicksalen des Lebens eine so ruhige Stirn und setzte ihnen ein so fabelhaftes Phlegma entgegen, daß Jeder, der ihn nicht näher kannte, in dieser grenzenlosen Ruhe /96/ einen eisernen, felsenfesten Charakter zu finden glaubte - und doch war Malchus gerade das Gegentheil davon. Nur aus seiner Bequemlichkeit wollte er nicht gestört werden, und der heutige Marsch, der ihn zum ersten Mal in seinem ganzen Leben mitten in das wilde, rastlose Treiben der Berge, in ihre Mühen und Gefahren hineinriß und alle seine früheren Berechnungen und Vorsätze mit einem Schlage über den Haufen warf, hatte ihn so förmlich gebrochen und zerknirscht, daß er, die Station kaum erreicht, sich auch mitten im Hof auf einen dort stehen gelassenen Baumstumpf gerade in die Sonne niedersetzte und keuchend und stöhnend den Schweiß an sich heruntertropfen ließ.

      Einer der Anderen, ein junger Photograph aus Sidney, hatte indessen die gerade aus dem Haus tretende Gertrud um eine kleine Erfrischung angesprochen, indem er ihr mit wenigen Worten schilderte, wie sie hergekommen, und Gertrud war in die Wirthschaftsstube zurückgegangen, um das Verlangte zu holen, denn trotz des Goldes war noch kein einsprechender Wanderer von Mr. Sutton's Station ungespeist abgewiesen worden.

      Wie die Deutschen noch im Hofe lagerten und sich ein paar schattige Stellen zum Ausruhen gesucht hatten - nur Malchus blieb in der Sonne sitzen und briet - betrat ein anderer Trupp von Wanderern den Hof, und eine wunderlichere Gesellschaft wie die letztgekommene hätte sich auf der ganzen Welt nicht zusammen finden lassen und war auch wirklich nur allein in Australien möglich.

      Sie bestand aus einem jener herumziehenden Schwärme von Eingeborenen, sogenannten „Schwarzen", die ihre frühere Heimath in den jetzt von den Weißen besiedelten Districten gehabt hatten und daraus vertrieben worden waren, so daß sie jetzt unstät in der Welt umherstreiften. Die Bäume, die ihnnen früher ihr Harz geliefert, waren niedergehauen; das Wild, das sie zu ihrem Lebensunterhalt erbeutet, ebenfalls erlegt oder vertrieben worden; den Nachbarstämmen durften sie dabei nicht in das Revier kommen, denn denen galten sie als Feinde, und das Einzige, was ihnen noch übrig blieb, war, sich ihren Unterhalt von den weißen Eindringlingen zu erbetteln. /97/

      Wie sie sich aber früher vielleicht auf der Jagd oder bei ihren wilden und barbarischen Kriegszügen ausgezeichnet haben mochten, eine solche Fertigkeit hatten sie jetzt in dieser neuen Beschäftigung erworben, und etwas Zäheres im Betteln, als diese einfachen Naturkinder entwickelten, läßt sich nicht gut auf der Welt denken. Uebrigens verschmähten sie auch nicht zu stehlen, wo sich ihnen irgend eine günstige Gelegenheit bot, und ob das nun ein Schaf aus irgend einer Heerde draußen im Busch, ein Laib Brod in irgend einer einzelnen Rindenhütte, ein Huhn oder selbst ein Kalb von einer der Stationen war, blieb sich gleich - nur genießbare Gegenstände mußten es sein, Anderes konnten sie nicht gebrauchen - war es doch nur der Hunger, mit dem sie einen unausgesetzten, erbittterten Kampf ihre ganze Lebenszeit hindurch führten.

      Aber wie wunderlich hatte sich ein Theil dieses kleinen Trupps herausstaffirt, oder war vielleicht zum Scherz von irgend einem Ansiedler so aufgeputzt, denn kein wilder Volksstamm der Welt haßt jedes Kleidungsstück mehr, wie der Australier. Haben die Weißen sich doch sogar genöthigt gesehen, Gesetze für diese Stämme zu geben, oder vielmehr Verbote zu erlassen, daß sie die Städte wenigstens nicht betreten dürfen, ohne mindestens mit einem bis zum halben Schenkel niedergehenden Hemd bekleidet zu sein, und sonderbarer Weise waren es vorzüglich die Frauen, die sich am längsten gegen diesen ungewohnten und verhaßten Zwang sträubten.

      Hier im innern Land aber, wo sie draußen im Busch in ihren Gunyos campirten, und nur dann und wann einmal eine einzeln gelegene Station heimsuchten, erkannten sie gar kein solches Gesetz an, und sieben von dem Schwarm, Männer, Frauen und Mädchen, schritten in der Tracht des Urwalds in den Hof. Die Männer nur mit ihren Waffen, einer kurzen leichten Keule und dem Bumerang geschmückt, die Frauen mit einem kleinen Netz über der Schulter versehen, um etwa erhaltene oder erbeutete Lebensmittel hinein zu thun, aber Alle sonst vollkommen nackt.

      Nur zwei von ihnen, ein junger Bursche und eine ältere Frau waren, wie schon vorher erwähnt, auf das Wunderlichste, und zwar in europäischer Kleidung herausgeputzt. /98/

      Der junge Bursche trug nämlich auf dem bloßen Leibe ein Paar alte schwarze Hosen und einen schwarzen Frack von vorsündfluthlichem Schnitt, mit dem er Gott weiß wie viele Wochen draußen im Busch in Regen und Sonnenschein gelegen haben mochte, ohne daß je eine Bürste an das Kleidungsstück gekommen wäre. Natürlich ging er barfuß, aber um den Nacken hatte er auch noch ein einst hellblau gewesenes Seidentuch geschlagen und auf dem Kopf einen richtigen, wenn auch entsetzlich mitgenommenen Cylinderhut, den er, als er den Hof betrat, nach allen Seiten hin auf das Zierlichste schwenkte.

      Die Frau dagegen, ein abschreckend häßliches Weib, was durch die Kleidung nur noch mehr hervorgehoben wurde, hatte den dürren Körper in ein großgeblümtes Muslinkleid gehüllt, das sein erstes Debüt jedenfalls einmal auf einem Balle in Sidney, gemacht, und auf diesem Körper schlimmer als zum Kehrichthaufen degradirt war. Auf dem Kopfe trug sie einen ebenfalls schon längst abgelegten Seidenhut, mit einer wahren Unmasse schmutziger künstlicher Blumen, und dazu eine ordinäre rothwollene Schärpe um den Gürtel. Sonst ging sie natürlich barfuß, das Kleid überall eingerissen und mit großen Schmutzflecken, und auf dem Rücken, eben so gut wie die übrigen Frauen, ein altes bastgestricktes Netz mit einem Stück Harz und einem Ueberreste halbgerösteter Hammelrippen - die Ueberbleibsel ihrer letzten Mahlzeit.

      Ordentlich elegant sahen die nackten Eingeborenen neben ihr aus, die sich mit der natürlichen Grazie jedes wilden Stammes bewegten, weil sie ihre Blöße eben nicht fühlten. Nur im Anfang zeigten sie sich noch etwas schüchtern, weil sie eben nicht wußten, wie sie empfangen werden würden.

      Der Stockkeeper, der gerade über den Hof kam, begrüßte sie auch mit einem von seinen Kernflüchen, denn er wußte recht gut, wie willig sie ihm da draußen im Busch Alles stehlen würden, was ihnen eben an jungem Vieh unter die Finger kam; Gertrud aber, die sich bis jetzt stets freundlich gegen die Eingeborenen gezeigt, winkte die jungen Mädchen heran und wies sie nach der Küche, wo sie zu essen haben sollten. Die Bewohner der Stationen waren zu sehr an die /99/ Erscheinung dieser Menschen gewöhnt, um etwa daran Anstoß zu nehmen oder das geringste Störende darin zu erblicken.

      Die Eingeborenen waren von sieben oder acht Hundegerippen begleitet, die sich aber scheu zu ihren Herren hielten, denn zwei große langhaarige Känguruhunde, die auf dem Hofe in der Sonne gelegen, standen auf und umkreisten mit emporgesträubten Haaren und hochgehobenen Schwänzen die ruppige Schaar. Eben so wenig sicher fühlten sich auch wahrscheinlich die Eingeborenen selber mit ihren nackten Beinen in solcher Nachbarschaft, und griffen ihre „Waddies" schärfer auf, um sich im Nothfall gegen einen etwaigen Ueberfall vertheidigen zu können. Aber des Stockkeepers Stimme hielt die Hunde zurück, die auch - zu stolz vielleicht, über solche Köter herzufallen, dem Rufe langsam Folge leisteten und sich nur jetzt vor das Herrenhaus legten, als ob sie den fremden Eindringlingen dorthin jedenfalls den Zutritt verweigern wollten.

      Noch ein paar Eingeborene befanden sich aber auf dem Hofe, die bis jetzt, von Niemandem bemerkt, wenigstens von Niemandem beachtet, in der einen Ecke gestanden hatten, aber nun ebenfalls langsam vorkamen, um den neuen Besuch zu betrachten. Es waren zwei Emus oder australische Kasuare, die schon seit mehreren Jahren zahm auf der Station gehalten wurden, und oft selbst kleine Streifzüge in die Nachbarschaft unternahmen, ohne je daran zu denken, ihre ihnen gelassene Freiheit zu mißbrauchen. Von den schwarzen Männern und Frauen nahmen sie auch nicht die geringste Notiz und schienen es nur auf die fremden Hunde abgesehen zu haben, nach denen sie mit ihren langen, harten Schnäbeln hackten und die unglücklichen Bestien winselnd und knurrend noch dichter zwischen die Füße ihrer Herren hineintrieben.

      Malchus, der dieser ganzen Gruppe den Rücken zudrehte, hatte wohl den Lärm der Neugekommenen gehört, war aber viel zu müde oder auch gleichgültig gewesen, selbst nur den Kopf nach ihnen umzudrehen, und saß noch immer auf seinem Baumstumpf, sich mit dem breitgehaltenen und schon ganz durchnäßten Taschentuch Luft zufächelnd.

      Den Schwarzen war indessen Niemand unbedeutend, denn von Jedem konnten sie nach Umständen ein Stück Brod /100/ oder ein Stück Geld bekommen, und da Malchus hier gerade den Mittelpunkt der ganzen Scenerie einnahm, mochte es auch sein, daß sie ihn für eine ganz besondere