Die Schiffe der Waidami. Klara Chilla. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klara Chilla
Издательство: Bookwire
Серия: Die Piraten der Waidami
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738017557
Скачать книгу
Hund aus der Nische trat.

      „Veranlasse, dass im Dorf das Gerücht gestreut wird, Tamaka habe Ronam und seine Tochter getötet und wäre deshalb noch in der Nacht geflüchtet.“

      Sagan beeilte sich, zu nicken, und rannte davon, um den Auftrag seines Herrn auszuführen.

      Begegnung

      Ein stetiger Wind aus Nordosten trieb die Monsoon Treasure mit vollgeblähten Segeln zügig voran.

      Captain Jess Morgan stand neben seinem Ersten Maat auf dem Achterdeck. Cale Stewart hatte soeben die Vorräte überprüft. „Unsere Wasserfässer sind so gut wie leer, und wir haben nur noch ein wenig Dörrfleisch an Bord. Das Obst, auf das du so viel Wert legst, ist auch ausgegangen. Wir werden so nicht mehr bis nach Changuinola gelangen, Jess. Auf der Karte befindet sich aber nicht weit von hier eine Insel, wir sollten dort an Land gehen und zumindest ein wenig jagen und Frischwasser auffüllen.“

      „Gut, Cale. Lass Kurs setzen.“ Jess nickte zustimmend. “Sind auf der Karte irgendwelche Ansiedlungen verzeichnet?“

      „Hm, ein paar Fischerdörfer könnten sich dort befinden.“

      „Dann lass uns einkaufen.“ Jess grinste den Mann unbeschwert an. „Den Männern wird ein wenig Abwechslung gut tun.“

      Cale Stewart runzelte die Stirn: “Wir werden dort, wenn es überhaupt eine Fischersiedlung gibt, keine großen Reichtümer vorfinden, Jess.“

      „Die Männer brauchen ein wenig Spaß und es ist einfacher, den Fischern die Vorräte abzunehmen.“ Jess lächelte ihn unschuldig an. „Ein paar Männer müssen trotzdem jagen gehen, wir brauchen einen abwechslungsreichen Speiseplan, sonst wird uns Hong nur madigen Schiffszwieback reichen.“

      Der Erste Maat seufzte und kratzte sich grinsend am Hinterkopf. „Aye, Sir, diese Drohung lässt mich auch ein Waisenhaus überfallen.“ Die beiden Männer lachten sich übermütig an, und Cale wandte sich ohne ein weiteres Wort ab. Er beeilte sich, Jintel die Anordnungen weiterzugeben. Kurz darauf bellte die etwas heisere Stimme des Profos über Deck, und die Männer sputeten sich, den Befehlen nachzukommen.

      Nach gut einer halben Tagesreise erreichten sie die Insel, die von einer üppigen Vegetation überwuchert war. Jess befahl, die Insel zu umsegeln, nachdem er in einer seichten Bucht einen Trupp Männer zum Jagen ausgesetzt hatte.

      Das kleine Fischerdorf schmiegte sich an die hinter ihm aufragenden Steilwände. Eine große Hütte lag etwas versetzt zwischen zehn weiteren, etwas kleineren Hütten und schien über diese zu wachen.

      Jess Morgan schob sein Spektiv zusammen und ließ die Boote aussetzen. Jintel würde mit drei weiteren Männern als Wache zurückbleiben.

      Den Männern des Landungstrupps stand die Vorfreude in die Gesichter geschrieben, als sie zügig in die Boote abenterten. Jess stellte sich in den Bug des ersten Bootes, während Cale Stewart das zweite übernahm. Voller Schwung wurden die Riemen durch das klare Wasser der fischreichen Bucht gezogen und trieben die Boote auf den friedlichen Strand zu.

      Einige Fischerboote dümpelten im Wasser. Am Strand waren Netze auf Gerüsten zum Trocknen ausgebreitet, und ein paar Fischer flickten ihre Netze. Kinder spielten zwischen den Hütten und sahen den Ankömmlingen voller Neugierde entgegen.

      Die Fischer ließen ihre Arbeit sinken und wandten sich den Booten misstrauisch zu. In diese Gegend verirrte sich selten ein ehrbares Handelsschiff und an dem bunt zusammengewürfelten Haufen, der sich jetzt näherte, ließ nichts auf friedliche Händler schließen.

      Zuerst war es nur wie ein Hauch, der sich warnend über die Hütten und die Menschen legte, dann aber eindringlich anschwoll und die Bedrohung greifbar machte. Angst breitete sich aus, getragen von der kalten Erkenntnis, dass sie so gut wie wehrlos waren. Eilig wurden die Kinder in die Hütten gezogen, deren bis dahin offene Türen sofort fest geschlossen wurden.

      Währenddessen hatten die Boote das Ufer erreicht. Jess und seine Männer sprangen in das knöcheltiefe Wasser. Die groben Stiefel wühlten den feinsandigen Untergrund auf, und das bis dahin so klare Wasser trübte sich ein. Sie wateten, die Boote hinter sich herziehend, an Land.

      Mit einer geschmeidigen Bewegung zog Jess sein Schwert aus der Scheide und sah, wie seine Leute ebenfalls ihre Waffen zückten.

      Ein älterer Mann ging entschlossen auf ihn zu und wollte sich ihm in den Weg stellen. Seine grauen Augen richteten sich auf die hochgewachsene Gestalt von Jess Morgan, der seinem Blick kalt begegnete und seinen Weg unverändert fortsetzte. In einer demonstrativ friedlichen Geste streckte der Mann dem näherkommenden Piraten seine Handinnenflächen entgegen, in der Hoffnung, er würde wenigstens einen Moment innehalten, um ihn anzuhören. Doch noch bevor der Alte seinen Mund öffnen konnte, um die hastig zurechtgelegten Worte an den Eindringling zu richten, schnitt ihm eine kaum wahrnehmbare Bewegung mit dem Schwert das Wort ab. Ohne einen Laut brach er zusammen. Feinkörniger Sand bestäubte sein Gesicht, als Jess Morgan gelassen an ihm vorüberschritt.

      Er lenkte seine weitausholenden Schritte zielstrebig auf die große Hütte. Hier musste der Anführer des Dorfes leben und diesem würde er jetzt einen Besuch abstatten.

      Die anderen Fischer hatten den skrupellosen Mord mit blankem Entsetzen beobachtet und stellten sich in Abwehrhaltung gemeinsam den Piraten entgegen. Ihre Hände griffen nach allen erreichbaren Waffen; Stöcke wurden drohend geschwungen, Bootshaken emporgereckt. Doch die Angst stand ihnen in die fassungslosen Gesichter geschrieben.

      Unbewegt betrachtete Jess die Männer und lächelte dann:

      „Im Interesse eurer Familien bitte ich darum, auf Gegenwehr zu verzichten. Es wird niemandem ein Leid geschehen. Wir bessern hier nur unseren Proviant auf und werden wieder in See stechen. - Sollte uns jemand davon abhalten wollen, werden wir eure Kinder zu Waisen machen und das ganze Dorf niederbrennen.“ Seine klare Stimme war deutlich bis in den hintersten Winkel der Bucht zu vernehmen und ließ nicht in den geringsten Zweifel daran, dass er es ernst meinte.

      Die Piraten bildeten eine lange Reihe hinter ihm und schauten erwartungsvoll auf die bleichen Gesichter der Fischer. Die Entschlossenheit, die anfangs noch in ihren Gesichtern gestanden hatte, war einer tiefen Resignation gewichen. Ihr Mut war gesunken, als sie den alten Mann hatten fallen sehen, und sie ließen ihre notdürftigen Waffen sinken.

      Cale Stewart tauchte direkt hinter Jess auf: „Durchsucht das Dorf nach Vorräten und allem, was wir gebrauchen können.“

      Sofort teilten sich die Männer auf und machten sich an ihr Werk, das Dorf zu plündern.

      Jess ging nun weiter, ein wenig darüber verwundert, dass sich noch kein Anführer an ihn gewandt hatte. Offensichtlich schien sich dieser in seiner Hütte zu verkriechen und die Konfrontation mit ihm zu scheuen. Er lächelte verächtlich, als er eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahrnahm. Instinktiv riss er seinen Schwertarm hoch und blockte damit den Hieb eines Schwertes ab, das plötzlich auf ihn niederstieß. Er drehte sich geschmeidig um, packte mit der freien Hand seinen Angreifer und riss ihn aus seinem Hinterhalt heraus. Ein älterer Mann taumelte hervor. Jess wollte gerade mit seinem Schwert zustoßen, als ihn ein gellender Schrei in der Bewegung innehalten ließ.

      „Nein!“ Eine schlanke Frau stand in der offenen Tür der Hütte und starrte ihn aus aufgerissenen Augen an. Der Anblick der Frau, der Klang ihrer Stimme kam ihm auf seltsame Weise vertraut vor. Verwirrt runzelte Jess die Stirn. In diesem Augenblick durchfuhr ein scharfer Schmerz seine Mitte. Zischend stieß er den Atem aus und starrte ungläubig auf den Mann, der ihn aus schreckgeweiteten Augen ansah. Seine Hand, in der eben noch ein Schwert gewesen war, war nun leer und zitterte. Jess blickte an sich herunter und sah nur den Schwertgriff aus seinem Bauch ragen. Langsam brach er in die Knie und schaute den Mann mit dem Versuch eines spöttischen Lächelns in die Augen.

      Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Dieser Mann, dieser Fischer, sah aus, wie sein um Jahre gealtertes Ebenbild. Seine eigenen eisblauen Augen starrten ihn aus seinem eigenen, scharfgeschnittenen, von Falten gezeichneten Gesicht entgegen. Ein Bild drängte sich in sein Bewusstsein. Ein Bild von diesem Mann, um viele Jahre jünger, wie er stolz auf seinem Boot stand. Er winkte einem kleinen Jungen zu, der am Strand