Geliebter Unhold. Billy Remie. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Billy Remie
Издательство: Bookwire
Серия: Chroniken der Bruderschaft 4
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753189772
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Schmerz, den er immer gespürt hatte, wenn er Xaith betrachtete. Xaith hatte so sehr gelitten, Drachenaugen und übersät mit Pickeln, niemand hatte mit ihm spielen wollen, er war gehänselt und ausgeschlossen worden, hatte angefangen, Abneigung gegen alle gesellschaftlichen Formen zu empfinden. Je mehr er sich verschloss, je mehr hatte man ihn mit Verachtung gestraft. Er hatte gar nichts richtig machen können.

      Aber nicht nur Kinder waren grausam, viel schlimmer waren diese überfürsorglichen Eltern, die ihre Sprösslinge panisch weitergezogen hatten, wann immer Xaith in die Nähe kam.

      So auch Jins eigener Vater.

      Er erinnerte sich an ihre erste – die wirklich allererste – Begegnung, damals im großen, dunklen Thronsaal des Blutdrachenkönigs. Xaith, der kleine Prinz, hatte auf dem Schoß seines Vaters gesessen, winzig im Vergleich zu König Desiderius, aber seine beeindruckende, mystische Präsenz hatte seine kindliche, winzige Gestalt wieder wett gemacht.

      Als Jins Vater mit dem König eine Unterredung führte – über Handel und Zusammenarbeit – war Xaith vom Schenkel seines Vaters gerutscht, hatte Jin mit großen Augen angesehen, Abneigung im Blick, als wollte er sagen: »Bleib mir bloß fern.« Doch er war nicht grob, das hatte Jin gleich bemerkt, er trug lediglich einen schweren Schild vor sich her, dahinter war er unsicher, zerbrechlich. Das Herz lag ihm auf, nicht in der Brust, so leicht berührbar, so leicht zu verletzen, es genügte ein falscher Blick. Und Verletzlichkeit verwandelte sich bei Xaith sofort in Hass – auf die Welt und insbesondere auf sich. Es war so unheimlich leicht, in ihm zu lesen.

      Vom ersten Moment an hatte Jin das Bedürfnis verspürt, ihm näherzukommen, seine Hand zu nehmen und ihn mit Freundlichkeit zu überschütten, ihm zu zeigen, dass die Welt und ihre Völker schön waren, wollte ihn lächeln sehen, hatte sich ausgemalt, sein einziger Freund zu werden.

      Doch als er damals einen Schritt auf ihn zumachte und Xaith ihn zwar argwöhnend ansah, aber nicht zurückwich, hatte Jins Vater ihn gepackt und hinter sich geschoben.

      Eine Geste, die leicht so missverstanden werden konnte, dass der Vater den Sohn festhielt, damit er nicht auf den König zulief, denn es war nicht erlaubt, die Stufen zum Thron zu betreten. Doch Jin wusste es besser, sein Vater wollte nicht, dass er sich mit Xaith anfreundete. Und Xaith hatte es auch gewusst, Hass war in seine Augen getreten und er hatte sich umgedreht und war fortgegangen.

      Kaum waren sie aus dem Thronsaal getreten, hatte Jins Vater ihn an den Schultern genommen und auf ihn eingeredet. »Halte dich von dem jungen Prinzen fern, er ist gefährlich, hörst du?«

      »Wieso sollte er gefährlich sein?«

      Das konnte er ihm auch nicht erklären, niemand konnte es ihm erklären. »Er ist es eben einfach, er ist seltsam, das sagen alle. Spiel mit Vaaks, der ist ein Mensch, so wie du.«

      Natürlich hatte er mit Prinz Vaaks gespielt, er hatte seine Kindheit mit ihm verbracht, aber dadurch auch am Rande mit Xaith, wenn auch auf eine völlig andere Weise als erhofft, denn Xaith sah in ihm keinen Freund, sondern nur den Jungen, der ihm seinen Bruder wegnahm.

      Es war lange her, zu lange, nun waren sie erwachsen, zumindest ihre Körper waren es, und doch hatte sich nichts geändert, der alte Groll, der tiefsitzende Argwohn und die Eifersucht waren genauso präsent wie vor Jahren.

      Dabei war alles, was Jin je wollte, Xaiths Gesicht zu nehmen, sodass er ihm nicht mehr entweichen konnte, und ihm eindringlich zu erklären, dass er nicht seltsam oder anders oder auch nur einen Hauch hässlich war, ganz gleich was ein paar oberflächliche, neidvolle Betrachter behaupteten.

       Du bist nicht allein in der Dunkelheit, Xaith, viele von uns sind mit dir dort, selbst die, die wie die Sonne lächeln. Wir trauen uns nur nicht, uns bemerkbar zu machen.

      Wie oft hatte er ihm etwas in der Art sagen wollen, doch wann immer Xaiths geschlitzte Pupillen in seine Augen blickten, wann immer sie sich gegenüberstanden, verabschiedete sich sein Mut fluchtartig wie ein verängstigter Deserteur, und er bekam keinen Ton mehr heraus.

      So wie jetzt, da es so vieles gab, was er ihm sagen wollte – sagen musste. Und alles, was ihm gelungen war, war ein saudummes: »Du musst nach Hause kommen.« Nachdem er über Jahre hinweg an einsamen Lagerfeuern sich eine lange Rede zurechtgelegt hatte, was er ihm sagen wollte, kam nur ein fadenscheiniges »Komm nach Hause« aus seinem Mund.

      Er wollte die Stirn gegen die Wand schlagen.

       Du hast es vermasselt, Jin.

      Er runzelte die Stirn, als er den Kopf für einen Moment in den Nacken legte und sein eigenes, unbedeutendes Schicksal beklagen wollte, denn plötzlich bemerkte er die gähnende Stille.

      Einen langen Moment hielt er ruhig, hörte sogar zu atmen auf, um ganz sicherzugehen. Nur das leise Zwitschern einiger Vögel war zu hören, was bedeutete, dass die Tiere in die nähere Umgebung zurückgekehrt waren.

      War er so in Gedanken versunken gewesen, dass ihm nicht aufgefallen war, wie das Beben und Kreischen abgebrochen war?

      Offensichtlich, aber das war auch nicht das erste Mal, dass ihn die Grübeleien über Vaaks´ Ziehbruder derart eingenommen hatten, dass um ihn herum die gesamte Welt in die Ferne rückte und er wie in einem dunklen Raum saß, ausgefüllt von Gedanken über Xaith.

      Aber nun war es tatsächlich still.

      Jin wagte es, sich zu bewegen, die zimtbraunen Augen auf die Deckendielen gerichtet. Etwas Licht fiel hindurch, erkämpfte sich seinen Weg ins Gewölbe und streifte sein von Sommersprossen übersätes Gesicht.

      »Xaith?«, flüsterte er und blickte zu den anderen hinüber, die noch immer tief und erschöpft schliefen, wie junge Wölfe im Rudel – alle aufeinander.

      Ein süßes Bild, ein herzerwärmender Anblick, der Jin immer wieder lächeln ließ.

      Das bist du wirklich, dachte er über Xaith, dieser Kerl dort, der mit einem Jungen kuschelt, der ihm eine Schulter bietet, der Wärme zu geben hat. Du bist nicht das Monster, zudem alle dich machen wollten.

      Nein, dachte Jin grimmig, Xaith war es nicht, sein Bruder Riath war es.

      »Xaith?«, flüsterte er wieder und kroch über den Boden zu der Gruppe hinüber. »Xaith, ich glaube, es ist weg.«

      Keine Rührung, flache, tiefe Atmung. Xaith sah so müde aus, nicht nur körperlich, selbst im Schlaf hing ihm ein dicker Mantel Schwermut an, sein Gesicht war eine hagere, düstere Maske voller Trauer.

      Jin zog es das Herz in der Brust zusammen, er hob mitfühlend einen Mundwinkel und streckte seine Hand aus, um Xaith eine schwarze Strähne aus der Stirn zu streichen. Just in diesem Augenblick schnappte Xaith schnell wie eine Schlange zu. Nicht mit dem Mund, zum Glück, seine Fänge wären schmerzhaft gewesen, doch sein fester Griff, der sich um Jins Handgelenk zusammenzog, war alles andere als angenehm. Haut klatschte auf Haut und durchbrach die Stille. Feurige, geschlitzte Drachenaugen sahen hart und drohend in Jins Gesicht, bohrten sich wie flammende Dolche in seinen Blick.

      Für einen Moment verharrten sie so, Jins Herz schlug so wild in seiner Brust, dass er kaum zu atmen vermochte, weshalb er ihn zitternd aus den Lungen entließ. Xaith war so… warm.

      Xaiths Gesicht wurde etwas weicher, als er Jin erkannte, doch um seinen Mund veränderten sich die grimmigen Züge nicht.

      »Was ist?«, fragte er mit rauer, barscher Stimme.

      »Ich… ich glaube«, stammelte Jin geflüstert. Warum flüsterte er? »Ich glaube, das Vieh ist weg, die Vögel sind zurück und es ist still.«

      In diesem Moment schien auch Xaith die Stille zu bemerken, er runzelte die Stirn und lauschte angestrengt, seine Augen flogen über die Decke.

      »Hmm, stimmt.« Er ließ so abrupt Jins Handgelenk los, dass dieser in der Hocke taumelte und beinahe auf den Hintern geplumpst wäre. Xaith stand auf, ungeachtet aller anderen, die ihm so nahe waren, als wäre er ihr Mittelpunkt, ihr Herz. Und er verließ sie ohne Rücksicht.

      Der fremde Junge wäre beinahe mit dem Gesicht auf den Boden geschlagen,