Kulllmann kann's nicht lassen. Elke Schwab. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Schwab
Издательство: Bookwire
Серия: Kullmann-Reihe
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750237162
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Verkehrspolizei wollen, dass wir vom LKA zum Unfallort kommen, weil Fahrerflucht vermutet wird.«

      »Ich beeil mich.« Anke gähnte in den Hörer.

      »Nein, du brauchst dich dafür nicht aus dem Bett zu quälen. Ich will dich einfach nur informieren, damit uns der Chef morgen keine Schwierigkeiten machen kann. Diese Sache übernehme ich allein und rufe dich rechtzeitig wieder an.«

      Diese Rücksichtnahme rührte Anke. Außerdem war sie froh, nicht aufstehen zu müssen. Ihre Schwangerschaft machte sie häufig müde, ein Zustand, der neu für sie war. Erleichtert ließ sie sich zurück in die Kissen sinken und dachte noch eine Weile darüber nach, wie überaus fürsorglich Erik sich ihr gegenüber verhielt, seit er wusste, dass sie Mutter wurde. Ganz am Anfang seiner Dienstzeit in Saarbrücken hatte er ihr einmal von seiner Familientragödie erzählt. Das war ein Thema, das er seither nicht mehr angesprochen hatte. Vermutlich, weil es ihm zusetzte. Er hatte seine Frau und seine Tochter durch einen Autounfall verloren. Aber das war noch nicht das Ende der Geschichte; seine Frau war schwanger und auf dem Weg zu ihrem Gynäkologen zur Untersuchung, als es passierte. Bei diesem Gedanken musste Anke sich schütteln vor Entsetzen. Schützend hielt sie ihre Hand auf den Bauch, der sich inzwischen deutlich unter ihren Kleidern abzeichnete. Sie war jetzt im fünften Monat. Vor einigen Tagen hatte sie die erste Bewegung gespürt, was ihre Einstellung zu der Schwangerschaft ganz und gar verändert hatte. Diese zarten Bewegungen waren für sie der unumstößliche Beweis, dass da wirklich ein Kind heranwuchs, ihr Kind.

      Am nächsten Morgen wurde sie in aller Frühe erneut durch das Telefon geweckt. Wieder war es Erik, der ihr riet, ins Büro zu kommen, bevor der Chef ankam.

      Anke traf rechtzeitig ein.

      Der neue Chef, der erst seit fünf Monaten die Abteilung leitete, war prinzipientreu und unerbittlich. Da konnte Anke ihre Schwangerschaft nur schwerlich als Entschuldigung einsetzen, wenn es darum ging, sich vor nächtlichen Einsätzen zu drücken. Dieter Forseti hatte die Nachfolge von Norbert Kullmann angetreten. Kullmann war jahrelang Ankes Vorgesetzter und ihr bester Lehrmeister und Berater gewesen. Obwohl inzwischen fünf Monate vergangen waren, gelang es Anke immer noch nicht, sich an den neuen Chef zu gewöhnen. Die Umstellung war extrem. Während Kullmann fürsorglich und väterlich für sie war, gab sich Forseti immer ernst, streng, sogar stets bemüht, keine menschlichen Züge von sich preiszugeben.

      Erik sah übernächtigt aus. Kaffee brodelte in der Kaffeemaschine. Sogleich stellte er ihr eine Tasse vor die Nase, doch Anke konnte zurzeit den Geruch von Kaffee nicht ertragen. Hastig sprang sie von ihrem Stuhl auf, rannte zur Toilette und knallte die Tür hinter sich zu. Kurze Zeit später kam sie zurück.

      Erik begann mit seinem Bericht: »Auf der Neuhauser Straße zwischen Saarbrücken-Rußhütte und Riegelsberg ist ein Auto in einer S-Kurve von der Straße abgekommen, über die auslaufenden Leitplanken geschleudert und einen Abhang hinuntergestürzt.« Während er sprach, legte er Anke Polizeifotos vor. »Das Fahrzeug ist zum größten Teil ausgebrannt. Eine Frau saß auf dem Beifahrersitz.«

      Die Fotos von der stark verbrannten Frauenleiche waren schrecklich. Bei diesem Anblick hatte Anke Mühe nicht schon wieder zur Toilette zu rennen.

      »Das Auto wird in der Kriminaltechnik auf Spuren von Fremdeinwirkung untersucht, die Leiche ist in Homburg in der Rechtsmedizin. Ich warte noch auf einen ersten Bericht.«

      »Wer hat den Unfall gemeldet?«, fragte Anke.

      »Ein Mann, namens Emil Tauber. Er kam an der Unfallstelle vorbei, sah das brennende Auto, konnte aber nichts mehr für die Frau tun.«

      »Ist er glaubwürdig?«

      »Er muss noch seine Aussage zu Protokoll geben, erst dann können wir mehr über ihn erfahren. Die Spurensuche hat inzwischen herausgefunden, in welche Richtung der Fahrer des Wagens geflüchtet ist. Sie sind noch vor Ort und suchen weiter.«

      »Heißt das, dass tatsächlich ein Tötungsdelikt vorliegt?«

      »Das können wir nur aus dem Verhalten des Autofahrers schließen. Wenn derjenige sich in den nächsten Stunden noch meldet, dann könnte eine Schockreaktion vorliegen und wir müssen unsere Theorie ändern.«

      »Welche Theorie?«

      »Ganz einfach: Der Fahrer kommt von der Straße ab, das Auto fängt Feuer, er rettet nur sich aus dem Auto und lässt die Beifahrerin in den Flammen zurück. Warum auch immer. Es kann vorsätzlicher Mord vorliegen oder unterlassene Hilfeleistung. Vielleicht war er zu besoffen um zu merken, was wirklich los war. Im Kriminallabor werden alle Spuren ausgewertet, vielleicht finden sie dort einen entscheidenden Hinweis.«

      »Und zwar?«

      »Wie wär’s mit einem Feuerzeug?« Erik lachte müde.

      »Ja stimmt! Das wäre wie im Fall unseres Diebes Robbie Longfinger, den man an seinen langen Fingern erkennt.«

      Dieter Forseti betrat in Begleitung seiner Mitarbeiterin Claudia Fanroth das Büro. Claudia war gleichzeitig mit ihm in diese Abteilung gekommen und arbeitete immer an seiner Seite. Da hatte Ankes erster Eindruck sie nicht getäuscht: Claudia war und blieb unnahbar. Sie machte nicht die geringsten Versuche, sich mit den anderen Mitarbeitern der Abteilung zu arrangieren. Ihre Zusammenarbeit ging über die obligatorischen Dienstvorschriften nicht hinaus. Außer bei Erik, überlegte Anke, als sie aus ihren Augenwinkeln beobachtete, wie sie sich gezielt vor seinen Augen niederließ. In ihrem maßgeschneiderten Hosenanzug wirkte sie wie immer tadellos. Ihre blonden Haare waren akkurat zurückgebunden, da lag kein Haar falsch. Ihre ebenmäßigen Gesichtszüge waren dezent geschminkt, was ihre hohen Wangenknochen und ihre weit stehenden, großen Augen betonte. Sie könnte als Fotomodell Karriere machen, gestand Anke dieser Frau zu. In ihrer Gegenwart fühlte sie sich mit ihrem immer dicker werden Bauch besonders unförmig und plump. Das waren Augenblicke, in denen sie erkannte, dass sie noch viel über sich selbst lernen musste – sie musste lernen, sich so zu akzeptieren, wie sie war. Ein dicker Bauch während einer Schwangerschaft war das Natürlichste auf der Welt. Das erging allen Frauen so. Also: nicht kaschieren, sondern präsentieren, überlegte sie, auch wenn es schwerfiel.

      Jürgen Schnur und Esther Weis, die schon lange in der Abteilung arbeiteten, waren inzwischen ebenfalls eingetroffen und die Arbeit konnte beginnen. Erik berichtete bis ins Detail, was es an Hinweisen über den neuen Fall gab. Forseti hörte konzentriert zu. Erst als Erik fertig war, wandte sich der Dienststellenleiter an Anke und fragte: »Warum lassen Sie ihren Kollegen alles allein vortragen?«

      Anke wurde heiß. Dieser Kerl bemerkte aber auch alles. Aber klein beigeben durfte sie nicht, weil sie damit nicht nur sich selbst in Schwierigkeiten brachte.

      »Weil er alles Erwähnenswerte bereits genannt hat.«

      Diese Antwort war so geschickt, dass Forseti nicht weiter nachhakte. »Wer ist die Tote?«, ging er stattdessen zum Geschäftlichen über.

      »Sybille Lohmann«, antwortete nun Anke. »Witwe, ein Sohn, Sven Koch, wohnhaft in Riegelsberg-Walpershofen.«

      »Ist der Sohn schon informiert?«

      »Nein, wir haben erst in den frühen Morgenstunden anhand des Autokennzeichens die Identität des Opfers ermittelt. Es ist ihr Wagen, in dem sie gefunden wurde«, erklärte Erik diese brenzlige Situation.

      »Esther Weis und Jürgen Schnur, Sie beide werden das übernehmen«, bestimmte Forseti.

      Die beiden Angesprochenen nickten.

      »Gibt es bereits Ergebnisse aus der Rechtsmedizin?«

      Erik verneinte.

      »Ich warte auf einen Anruf von dort. Der Pathologe versprach, sich sofort zu melden, wenn er ein Ergebnis hat«, erklärte Anke schnell.

      »Warum dauert das so lange?«, schimpfte Forseti, worauf Jürgen Schnur ganz trocken reagierte: »Wir sind hier nicht ausgerüstet wie das Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Aber wir machen unsere Arbeit gut.«

      »Das will ich hoffen«, konnte Forseti darauf nur entgegnen und teilte die Aufgaben ein. »Frau Deister, ich will auf Ihre Umstände Rücksicht nehmen und werde