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Viertes Kapitel
Lasten
„O, wie schwer ist es doch, seine Last wieder auf die Schultern zu packen und weiter zu wandern,“ seufzte Margaret am Morgen nach der Gesellschaft; denn die vergnügten Ferien, die nun zu Ende waren, hatten ihr die ohnehin wenig angenehme Aufgabe nicht lieber gemacht.
„Ich wollte, es wäre immer Weihnacht oder Neujahr!“ antwortete Jo gähnend.
— „Wir würden uns dann nicht halb so sehr darauf freuen, wie jetzt. Aber es ist gar zu schön in Gesellschaften zu gehen, Bouquets geschenkt zu bekommen, in einem schönen Wagen nach Hause zu fahren und sich auszuruhen, statt sich zu quälen. Man kommt sich mehr vor wie andere Leute, und du weisst, ich beneide immer andere junge Mädchen, die es so gut haben. Ich liebe nun einmal den Luxus,“ sagte Margaret, während sie untersuchte, welches von zwei abgetragenen Kleidern das am wenigsten abgetragene sei.
„Luxus ist uns nun einmal nicht beschieden, darum lass uns nicht murren, sondern unser Bündel aufpacken und munter weiter wandern, wie die Mama. Tante March ist sicherlich keine leichte Bürde, wenn ich gelernt habe, sie ohne Klage zu tragen, so wird sie von selbst von meinen Schultern gleiten, oder so leicht werden, dass ich sie nicht mehr fühle.“
Diese Idee gefiel Jo und heiterte sie auf; aber auf Margaret hatte sie nicht denselben Einfluss; ihre Bürde, die aus vier verzogenen Kindern bestand, schien ihr schwerer als je. Sie hatte nicht einmal, wie gewöhnlich, Lust, sich mit einem blauen Bande zu schmücken und ihr Haar auf die kleidsamste Weise zu ordnen.
„Wozu nützt es, mich hübsch zu machen, es sieht mich ja niemand als die vier ungezogenen kleinen Geschöpfe, und niemand kümmert sich darum, ob ich hübsch bin oder nicht,“ murmelte sie, indem sie ihre Schublade heftig zustiess. „Ich werde mein Leben lang zu arbeiten und zu quälen haben, nur dann und wann ein kurzes Vergnügen, werde alt und hässlich und bitter werden, weil ich arm bin und mich meines Lebens nicht freuen kann, wie andere junge Mädchen. Es ist eine Schande!“
So fuhr Margaret fort, sich ihrer verdriesslichen Stimmung hinzugeben und war beim Frühstück sehr wenig liebenswürdig. Alle schienen mehr oder weniger verstimmt. Lieschen hatte Kopfweh und lag auf dem Sofa wo sie sich mit der Katze und ihren drei jungen Kätzchen zu trösten suchte. Amy war verdriesslich, weil sie ihre Aufgaben nicht gemacht hatte und ihre Gummischuhe nicht finden konnte. So konnte das Flöten nicht lassen und machte ihre Vorbereitungen mit möglichst grossem Geräusch, während Frau March damit beschäftigt war, einen Brief zu beendigen, der gleich abgehen musste. Auch Hannah war übellaunig; sie konnte kein spätes Aufbleiben vertragen.
„Ich habe nie eine mürrischere Familie gesehen!“ rief Jo ausser sich, nachdem sie ein Dintenfass umgestossen, ihre beiden Stiefelbänder abgerissen und sich auf ihren Hut gesetzt hatte.
„Du bist die übellaunigste von allen!“ rief Amy, indem sie mit den Thränen, die auf ihre Schiefertafel sielen, ihr ganz verkehrtes Exempel auslöschte.
„Lieschen, wenn du diese abscheulichen Katzen wieder mit heraufbringst, so werde ich sie ertränken lassen,“ rief Margaret ärgerlich, während sie sich bemühte, sich einer jungen Katze zu entledigen, die ihr auf den Rücken geklettert war und ihren Platz gerade so gewählt hatte, dass sie sie nicht erreichen konnte.
Jo lachte, Margaret schalt, Lieschen flehte und Amy meinte, weil sie sich nicht besinnen konnte, wieviel neunmal zwölf sei.
„Mädchen! Mädchen! verhaltet euch doch einen Augenblick ruhig. Ich muss diesen Brief mit der ersten Post abschicken, und ihr bringt mich mit eurem Streit und eurer bösen Laune um Sinn und Verstand,“ rief Frau March, indem sie zum dritten Male ein verkehrtes Wort in ihrem Briefe durchstrich.
Es trat eine augenblickliche Stille ein, bald von Hannah unterbrochen, die hereinfuhr, zwei heisse Apfelbröte auf den Tisch legte und ebenso wieder hinaus stürzte. Es war in der Familie eine hergebrachte Sitte, diese Apfelbröte zu backen, und die Mädchen nannten sie ,Muffs‘, denn sie hatten keine andere und fanden die heissen Pasteten an kalten Tagen sehr angenehm für die Hände. Hannah vergass nie, sie zu backen, wie viel sie auch zu thun haben, und wie verdriesslich sie auch sein mochte, denn der Weg war lang und kalt, die ,armen Dinger‘ bekamen kein anderes zweites Frühstück und kehrten selten vor drei Uhr nach Hause zurück.
„Verziehe deine Katzen und verabschiede deine Kopfschmerzen, Lieschen. Adieu, Mama, wir sind heute Morgen eine nichtswürdige Bande; aber wir wollen als wahre Engel wieder heimkommen. Schnell, Margaret!“ Und so ging hinaus, mit dem Gefühl, dass die Pilger diesen Morgen ihre Wanderung nicht in der rechten Weife antraten.
Sie wandten sich immer um, ehe sie um die Ecke bogen, denn sie wussten, ihre Mutter stand am Fenster, um ihnen zuzulächeln und mit der Hand zu winken. Es war ihnen, als hätten sie’s ohne diesen Gruss nicht aushalten können, für den ganzen Tag, fortzugehen; denn in welcher Stimmung sie auch sein mochten, der Anblick dieses mütterlichen Gesichtes wirkte auf sie wie Sonnenschein.
„Wenn Mama uns mit der Faust drohte, anstatt uns Kusshände zuzuwerfen, so geschähe uns ganz recht; denn undankbarere Geschöpfe, als wir sind, hat es nie gegeben,“ rief Jo, die in dem schmutzigen Wege und dem scharfen Wind eine Art bitterer Befriedigung empfand.
„Ich bitte dich, verschone mich mit deinen Kraftausdrücken,“ sagte Margaret, dicht verschleiert wie eine weltmüde Nonne.
„Ich liebe gute starke und bezeichnende Ausdrücke,“ sagte Jo, indem sie ihren Hut festhielt, der ihr eben vom Kopfe flog.
„Nenne dich selbst wie’s dir beliebt; aber ich bin kein undankbares, nichtswürdiges Geschöpf und will mich nicht so nennen lassen.“
„Du bist ein stiefmütterlich behandeltes Wesen und heute entschieden übellaunig, weil du nicht allezeit dem Glücke im Schosse sitzest. Du Aermste! warte nur, bis ich mein Glück gemacht habe, dann sollst du in Wagen, Eisrahm, Schuhen mit hohen Absätzen und schönen Bouquets schwelgen und rothhaarige Jünglinge in Menge haben, mit denen du tanzen kannst.“
„Wie albern du bist, Jo;“ aber Margaret konnte es nicht lassen, über den Unsinn zu lachen, und das that ihr wohl.
„Es ist ein Glück für dich, dass ich noch zuweilen einen Scherz mache, denn wenn ich mir auch das Ansehen einer geknickten Blume geben und den Kopf hängen lassen wollte wie du, so würden wir schön berathen sein. Freue dich, dass ich noch an allem eine komische Seite finden kann, um mich aufzuheitern. Höre nur auch auf zu klagen, komm fröhlich nach Hause und sei ein gutes Mädchen.“
Jo klopfte der Schwester mit einem ermuthigenden Blicke auf die Schulter, als sie sich für den Tag trennten, um jede ihren Weg zu gehen, jede an ihrem warmen Apfelbrot sich die Hände erwärmend und sich bemühend, fröhlich zu sein, trotz winterlichen Wetters, schwerer Arbeit und unerfüllter jugendlicher Wünsche.
Als Herr March sein Vermögen verlor, indem er einem unglücklichen Freunde aufzuhelfen versuchte, baten die beiden ältesten Töchter, man möge ihnen erlauben, etwas zu unternehmen, um ihren eigenen Unterhalt zu verdienen. Da ihre Eltern der Ansicht waren, dass sie nicht zu früh anfangen könnten, ihre Willenskraft zu üben und durch Fleiss sich eine unabhängige Stellung zu schaffen, so willigten sie ein, und die beiden Mädchen begannen ihr Werk trotz aller Hindernisse mit soviel gutem Willen, dass es gelingen musste. Margaret fand eine Stelle als Erzieherin kleiner Kinder und fühlte sich mit ihrem kleinen Gehalte ganz reich. Sie liebte, wie sie sagte, den Luxus, und ihr grösster Kummer war ihre Armuth. Es wurde ihr schwerer, sie zu tragen, als den anderen, weil sie sich der Zeit erinnern konnte, wo ihr Haus schön, ihr Leben voll Behaglichkeit und Vergnügen, und Mangel irgend einer Art ihr unbekannt war. Sie bemühte sich, nicht neidisch und unzufrieden zu sein, aber es war natürlich, dass das junge Mädchen sich nach hübschen Sachen, munteren Freundinnen, Gelegenheiten ihre Talente auszubilden und einem glücklichen Leben sehnte. Bei der Familie King sah sie täglich alles, was sie sich wünschte, denn die ältern Schwestern ihrer Zöglinge waren in die Gesellschaft eingeführt,