»Satellitennavigation«, hatte sie ihm lächelnd zugeflüstert.
Da fiel ihm wieder ein, dass sie ihm, während der Instruktionsfahrt erklärt hatte, dass sie ihre Hausboote jederzeit orten konnte.
Inzwischen lag die Penichette in einer Lücke zwischen hohen Bäumen am Flussufer vertäut. Thorsten wäre von selbst nie auf diese romantisch anmutende Stelle gekommen. Aber die offenbar ganz schön wuschige Blondine hatte ihn zielstrebig an ein Plätzchen gelotst, wo sie ungestört am Strand ein Abendessen auf offenem Feuer braten und anschließend im Boot übernachten konnten. Sogar eine passable Flasche Wein, zwei magere Steaks und eine Baguette hatte sie mitgebracht.
Dass die Dame nicht bloß seiner Ausstrahlung erlegen sein dürfte, sondern wahrscheinlich in erster Linie davon ausging, dass er vermögend sein könnte, störte ihn nicht wirklich. Etwas Ernstes mit ihr kam für Thorsten keinesfalls infrage, obwohl sie leidlich Deutsch sprach und er sich eine verwöhnte Geliebte durchaus leisten konnte. Aber sich den Urlaub mit einer üppigen, französischen Mademoiselle zu versüßen: Weshalb sollte er darauf verzichten?
Thorsten stellte sich erwartungsvoll vor sie hin. Seine nackten Füße standen jetzt genau im Zentrum des Vorlegers. Muriels Beine öffneten sich und umschlangen seine Hüften.
»Komm näher!«, lockte sie.
»Wie denn?«, brummte er. Seine vom Alkohol geröteten Augen versuchten mit mäßigem Erfolg, ihr Gesicht zu fixieren. Immerhin stand er nahe genug, um seine Hände an die seitlichen Verschlüsse ihres Bikinihöschens zu legen. Die hatte er am Nachmittag bereits aus der Ferne studieren können, während sie ihm, sich auf dem Vordeck rekelnd, den Weg zu der lauschigen Stelle am Ufer gewiesen hatte. Er nestelte herum. Weil er den Mechanismus nicht gleich durchschaute, fühlte er einfach unter dem Stoff, ob und wie heiß sie war.
Auch sie nestelte. Hinter der Bank ertastete sie die genau an dieser Stelle verlaufende Leine, um sie Stück für Stück zu sich zu ziehen. Wie erwartet, bemerkte er nichts davon.
Vorsichtig zog sie weiter, bis sie den ersten Widerstand an der Leine spürte.
Die Schlinge verhakte sich genau wie bei ihren regelmäßigen Testläufen zuvor in den Saugnäpfen der Gummimatte. Zwischen halb geschlossenen Lidern sah sie, dass die Ränder der Matte sich wie bei einem Tabaksbeutel aufrichteten und das Seil emporhoben. Gelernt ist gelernt, dachte Muriel zufrieden. Wohlig stöhnend öffnete sie ihre Schenkel. Zog die Knie an, um ihm die Fußsohlen auf die Brust zu setzen.
Er lehnte sich locker dagegen, ließ die Hände weiter über ihren Körper wandern.
Erst ein Ruck an der Leine. Danach stieß sie ihn mit der gesamten Kraft ihrer Beine von sich weg. Die Schlinge um die Fußgelenke stoppte ihn, noch aufrecht stehend, praktisch im Flug. Wie ein getroffener Kegel klatschte er rücklings ins Wasser.
Muriel schnappte sich einen Bootshaken, um ihn niederzudrücken, falls er es schaffen sollte, wieder aufzutauchen. Außerdem würde dies einem zufälligen Zeugen klarmachen, dass sie versucht hatte, dem ins Wasser gefallenen Partner zu helfen. Die bereits einsetzende Dämmerung begrenzte die Sicht ohnehin auf die unmittelbare Umgebung des Bootes. Sie wählte den Zeitpunkt schließlich genau so sorgfältig aus, wie alles Andere.
Der Kampf dauerte nur eine Minute. Sein Zappeln erlahmte rasch.
Muriel verlängerte die Leine um einige Meter. Die Strömung des Flusses würde ihn ein Stück hinter dem Boot ans Ufer treiben. Dort konnte Muriel die Schlinge lösen, ohne ihn anheben zu müssen, wozu sie wohl auch gar nicht imstande gewesen wäre.
Mit dem Bootshaken in der Hand eilte sie über das Stegbrett vom Boot ans Ufer. Knietief im Fluss stehend zog sie den Haken am lang gestreckten Arm durchs Wasser, bis sie die Leine erwischte. Selbst wenn ihr jetzt jemand zugesehen hätte. Was sie da genau trieb, blieb buchstäblich im Dunkeln. Nun watete Muriel bis zu den Hüften in den Fluss. Im Schutz des Wassers löste sie die Schlinge von seinen Füßen und streifte sie stattdessen über sein rechtes Handgelenk.
Zurück auf der Heckplattform zog sie den Körper wieder an den Bootsrumpf heran. In der Nacht durften die Boote der Touristen nicht fahren. Muriel kam dies nicht ungelegen, denn sie hatte viel zu tun. Sie musste alles finden, was er bei einer normalen Abreise mitgenommen hätte. Es sollte schließlich so aussehen, als ob er das Boot ordentlich zurückgegeben hätte. Gegen eine kleine Gebühr war das an jedem gewünschten, mit einem Auto erreichbaren Punkt an der Saône möglich. Als besonderen Service brachte der Bootsverleih den Gästen auf Wunsch sogar den eigenen Wagen an eine solche Stelle.
Muriel ordnete und packte seine Sachen. Ordnen in dem Sinne, dass Thorstens Wertsachen und Bargeld in ihren Besitz wechselten, während der Rest seiner Habseligkeiten erst in seinem Gepäck und schließlich in einer zweiten Phase in seinem Auto landen würde. Zu guter Letzt wollte sie das Fahrzeug am Rand einer von der Saône entfernten Stadt stehen lassen. Mit eingestecktem Schlüssel. Dass dieser Wagen von der Polizei gefunden oder als herrenlos gemeldet wurde, war praktisch ausgeschlossen. Stattdessen dürfte er wie von selbst spurlos verschwinden. Den Schmuck ihres Opfers würde sie in einer Pfandleihe derselben Stadt versetzen.
Muriels Methode funktionierte nicht zum ersten Mal reibungslos, abgesehen von kleinen Verbesserungen, die sich im Lauf der Zeit ergeben hatten. Das Wichtigste dabei: Sie begnügte sich mit dem, was sie leicht bekommen konnte, ohne jede Gier. Trotzdem reichte die Beute des Sommers meist aus, um in einigem Wohlstand durch den Winter zu kommen. Der Hausbootsverleih arbeitete naturgemäß bloß im Sommerhalbjahr. Im Winter lebte Muriel im Elsass, abseits der Saône und von vermögenden Touristen. Und nicht zuletzt weit entfernt von ihren Arbeitskollegen, denen ihr vergleichsweise aufwendiger Lebensstil eventuell auffallen könnte.
Bisher war meistens alles gut gegangen, aber Muriel hatte natürlich einen Plan B, falls sich nicht gleich eine Gelegenheit zum Zuschlagen ergab. Sie konnte warten, und wenn sie dafür mit den Männern schlafen musste, machte ihr das nichts aus. Ein verächtliches Lächeln umspielte ihre Lippen. Nur einmal wäre sie beinahe aufgeflogen. Wie immer, wenn sie daran dachte, durchzuckte der Schreckmoment sie bis in die Fingerspitzen. Ihr Opfer hatte etwas gemerkt und sich aus der Schlinge gewunden. Sie misstrauisch gemustert. »Was soll das denn werden?«
Muriel seufzte erleichtert. Zum Glück war sie geistesgegenwärtig gewesen. »Nur ein Fesselspiel. Du hast doch gesagt, du bist offen für alles. Und jetzt macht dir das keinen Spaß?«
Im Lauf der Zeit war ihr natürlich der eine oder andere durch die Lappen gegangen, doch das machte nichts. Solange niemand Verdacht schöpfte … Todesursache Ertrinken, was könnte natürlicher sein? Bislang war sie noch nie von der Polizei befragt worden, und wenn es doch einmal dazu käme – sie beherrschte die Rolle des naiven Blondchens perfekt.
***
Natürlich war auch Muriel nicht als männermordendes Monster geboren worden. Als kleines Mädchen, bei einem Ferienaufenthalt in Obhut ihres Großvaters Jean, prägte sie ein schreckliches Erlebnis. Jean lebte als Schleusenwärter in einem der winzigen Häuschen, die bis heute an fast jeder Schleuse stehen. Während inzwischen eine automatisierte Hydraulik die Tore schließt und der gesamte Ablauf einer Schleusung keinerlei menschliche Kraft mehr benötigt, sah Jeans Arbeitsalltag früher ganz anders aus.
Selbstverständlich ließen die Schiffer die schon damals äußerst anmutige Muriel bereitwillig auf ihr Boot, damit ihr während der Schleusung nichts passieren konnte. Sie liebte es zum Beispiel, sich am Deckrand kniend an die Reling zu lehnen und mit einer Weidenrute eifrig im einströmenden Wasser zu rühren.
Bei einer solchen Gelegenheit tauchte die halb verfaulte Fratze einer Wasserleiche genau im Kreis ihrer Rute auf. Bald darauf wurde die Leiche geborgen, und das war ein Glück. Wie sonst hätte sich erklärt, was die süße Muriel dermaßen erschreckt hatte, dass sie eine ganze Woche lang nicht mehr sprechen wollte?
Dieses Trauma, stellte sie bald fest, erwies sich als praktische Begründung für fast alles. Deshalb hielt sie den Zustand aufrecht, obwohl sie das Erlebnis in